Tilman Weber
Noch am Sonntag verzeichnete die zu den sogenannten sozialen Medien gezählte Kurznachrichtenplattform Twitter neue Solidaritätsbekundungen wie die des Regensburger Professors für Energiespeicher und Erneuerbare Energien, Michael Sterner: „@CKemfert ist eine hervorragende Wissenschaftlerin, die mit klarem Sachverstand argumentiert & vor allem auch sehr verständlich kommuniziert. Das brauchen wir gerade jetzt, wo das "fossile Energieimperium" zurückschlägt.“ Sterner spielte damit auf ein Buch der Wissenschaftlerin Kemfert an, die beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) als Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt fungiert. Das Buch war 2017 mit dem Titel „Das fossile Imperium schlägt zurück“ erschienen. Darin hatte Kemfert beschrieben, wie ihrer Beobachtung nach die fossile Energiewirtschaft mit Falschnachrichten aktiv gegen die Energiewende und ihre Akteure vorzugehen bereit ist.
Andererseits ließen sich am Sonntagabend unter dem Suchbegriff Kemfert auf Twitter noch 40 neue Tweets von Samstag und Sonntag mit überwiegend spöttischem oder gehässigem Unterton gegen die Wissenschaftlerin lesen. Viele von diesen bezogen sich entweder auf einen sie unterstützenden Artikel im Wochen-Politik-Magazin Der Spiegel, vom 3. März, oder auf die beiden Kemfert verurteilenden Beiträge in der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom Freitag, 6. März, sowie in der Wirtschaftszeitung Handelsblatt vom 25. Februar.
Denn so lange dauert die offene Fehde gegen Claudia Kemfert schon an, die als eine von sieben Mitgliedern dem regierungsunabhängigen und die nationale Politik beratenden Sachverständigenrat für Umweltfragen angehört.
Die Zeitung Handelsblatt hatte den Zusammenhang in ihrem Artikel von Ende Februar selbst hergestellt: Die Bundesregierung hatte in dem im Dezember 2019 veröffentlichten Klimaschutzgesetz einen Expertenrat angekündigt, der an 22 Stellen auftauche und damit wichtig zu werden scheine. Dieser Klimarat soll laut Klimaschutzgesetz den Fortschritt beim Klimaschutz in Deutschland gemäß dem neuen Gesetz überwachen und in begrenztem Umfang begutachten. Doch das Handelsblatt brachte Wissenschaftler in Anschlag, die in diesem Zusammenhang mehr oder weniger direkt oder indirekt vor einer Besetzung des Gremiums durch Kemfert warnten. Die Wissenschaftlerin kam selbst nicht zu Wort. Angeblich soll sie gefragt worden sein, sich aber nicht geäußert haben. Dafür brachte der Artikel die Kemfert-Attackierenden umso ausführlicher zu Wort, aber keine Verteidiger der Positionen der DIW-Expertin.
Das Wochenmagazin Spiegel hatte daraufhin am Dienstag, 3. März, dagegen gehalten – und die Zusammenhänge der attackierenden Akademiker offen gelegt, in denen diese tätig sind. So hat der Inhaber eines wirtschaftswissenschaftlichen Lehrstuhls an der Universität Düsseldorf, Justus Haucap, nicht nur einen Aufsichtsratsposten beim Düsseldorfer Energiekonzern RWE. Er ist auch mehrfacher Autor für die sozialstaats- und energiewendeskeptische Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), sein Lehrstuhl ist laut Spiegel von einer Düsseldorfer Milliardärsfamilie bezahlt. Und schließlich gehört Haucap auch dem Kuratorium eines Instituts an, das der FDP-Politiker und bekennende Anti-Klimaschutzpolitiker Frank Schäffler gegründet hat. Auch der Magdeburger Volkswirtschaftsprofessor Joachim Weimann ist ein Anti-Kemfert-Zeuge im Handelsblatt: Er hatte sich schon mehrfach gegen den Abschied von der Braunkohleverstromung in Stellung bringen lassen.
Am Freitag, 6. März, hatte die sehr konservative und streng wirtschaftsliberale Tageszeitung FAZ aus Frankfurt gegen Kempfert nachgelegt: In einem bis zur Hälfte des Artikels neutral die Vorgeschichte aufzählenden Bericht schwenkt der Autor in der zweiten Hälfte exakt auf die Argumentation der Kemfert-Gegner ein.
Kemfert argumentiere nicht wissenschaftlich, so versuchen die Attackierenden sie anzuschwärzen. Viele von Kemferts Aussagen seien schlichtweg unwahr. Dazu gehöre etwa diejenige: Die Energiewende habe den Steuerzahler bisher nichts gekostet, sondern ihm einen enormen Ertrag gebracht, die steigenden Strompreise seien eingestrichene überhöhte Gewinne der Versorger aus dem Handel mit Großhandelsstrom: Sie verlangten immer höhere Endkundenpreise, obwohl Wind- und Sonnenstrom den Handelsstrom immer billiger machten.
Möglicherweise war der Auslöser wie etwa in der FAZ dargestellt eine späte Replik aufgrund aufgestauter Emotionen auf einen Beitrag Kemferts im Wirtschaftsmagazin Capital. Im November hatte sie dort sich damit zitieren lassen, die Energiewende werde bekämpft von „laut schreienden Ewig-Gestrigen, die leicht widerlegbare Mythen in die Welt setzen“. Möglicherweise ist der Ansatzpunkt, um gegen Kemfert vorzugehen, aber auch der vom Spiegel beschriebene Grundkonflikt: Kemfert tritt wie viele für Klimaschutz kämpfende Wissenschaftler entschieden für eine Steuer auf CO2-Emissionen auf, die sofort klimaschädliche Produkte unwirtschaftlich werden ließe. Die Gegenseite wolle klimaschädliche Emissionen zwischen den Industrien und Unternehmen handeln lassen, hier würde sich ein Preis erst nach langer Zeit so einpendeln, dass er wirkt. Und ohne weiteren politischen Eingriff wohl trotzdem noch nicht – dieser Eingriff wird aber von einigen der entschiedensten Befürworter des Emissionshandels abgelehnt.
Vielleicht hat sich Kemfert auch unbeliebt gemacht, weil sie im Dezember Klimazölle der EU auf besonders klimaschädliches Fracking-Gas aus den USA gefordert hatte. Dies müsse die Europäische Union (EU) als Antwort auf die Drohungen der USA gegen die Fertigstellung der Gaspipeline Nord Stream 2 erwägen. Dabei seien zusätzliche Gas-Importstrukturen wie bei Nord Stream 2 auch nicht gut, weil sie beim Verschleppen der Energiewende helfen.
Fakt ist, dass insbesondere Anti-Windkraftinitiativen wie auch rechtslastige Blogger sie mit täglichen Beiträgen angreifen. Auch der Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Christoph Schmidt, war einer der Attackierenden im Handelsblattartikel. Der ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete und Miterfinder des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), Hans-Josef Fell, verwies schon am 28. Februar auf Schmidts Verbindungen zur INSM: Schon bei den EEG-Novellen weg von der bisherigen gesicherten Vergütung hin zu Ausschreibungen mit der Folge einer geringeren Beteiligung von mittelständischen Akteuren an der Energiewende, habe Schmidt über die INSM mitgewirkt, schreibt Fell.
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