Nicole Weinhold
Die Coronakrise betrifft zunehmend auch die ausgeförderten EEG-Anlagen. Insbesondere die Windenergie ist schon ab 2021 betroffen. Sinkende Börsenstrompreise gefährden die Wirtschaftlichkeit eines technisch möglichen Weiterbetriebs. Was fordert die Branche von der Politik? Was will sie selbst tun? Wir sprachen mit Hermann Albers, Präsident des Bundesverbands Windenergie (BWE).
Ihr Verband hat schon 2016 auf das Volumen der ab 2021 aus dem EEG ausscheidenden Anlagen hingewiesen. Wurden Sie überhört?
2016 standen die abgesenkten Ausbauziele des EEG im Fokus. Wir wollten einen Netto-Zubau sicherstellen, um so den perspektivisch steigenden Bedarf an CO2-freiem Strom decken zu können. Di Bundesländer waren hier sehr aufgeschlossen, der Bund hat seine restriktive Linie allerdings durchgezogen. Richtig ist auch, dass es der Politik 2016 schwergefallen ist, vorausschauend bis 2021 zu blicken. Die notwendige Aufmerksamkeit für unsere Bedenken fand ich erstmals bei einem Gespräch mit Staatssekretär Thomas Bareiß. Das war im Frühsommer 2018.
Über welches Volumen sprechen wir?
Die Deutsche Windguard ermittelte 2016 rund 6.000 Windenergieanlagen mit einer Leistung von rund 4.500 MW, die im ersten Schritt ab 2021 betroffen sind. Bis 2026 folgend danach jährlich etwa 1.600 Windenergieanlagen mit einer installierten Leistung von rund 2.500 MW. Insgesamt geht es also um 15 bis 16 GW schon in den ersten Jahren. Das ist eine relevante energiewirtschaftliche Größe.
Sind die Bundesländer gleichmäßig betroffen, oder gibt es regionale Schwerpunkte?
Inzwischen liegen sehr genaue Zahlen der Fachagentur Wind an Land auf dem Tisch. Ihre Analyse aus dem Dezember 2019 zeigt, dass in einer ersten Welle 2021 in den sieben hauptbetroffenen Bundesländern 3.204 MW, davon allein 1.085 MW in Niedersachsen, betroffen sind. Im nächsten Jahr kommen dann in fünf Bundesländern nochmals 1.844 MW hinzu. Auch hier ist wieder Niedersachsen mit 592 MW an der Spitze.
Was bedeutet das?
Zunächst sind dies nur einfach ganz nüchterne Zahlen. Allerdings steht dahinter die Frage: Wie kann die Energiewende weitergehen, wenn Bestandsanlagen, aus welchen Gründen auch immer, nicht weiterbetrieben werden können und diese Kapazitäten aus dem Markt fallen? In einige Bundesländer droht ein negativer Zubau. Aus diesem Grund haben wir immer eine höhere Zubaulinie gefordert. Daher kommt auch die Debatte über den notwendigen „Netto“ Zubau. Gleichzeitig hat der BWE sich eingehend mit der Frage des Weiterbetriebs nach dem Auslaufen der EEG-Vergütung beschäftigt.
Droht hier ein dramatischer Abbau von Altanlagen und anschließend eine Stromlücke?
Wenn wir nicht handeln, kann dies passieren. Noch lässt sich dieses Szenario allerdings vermeiden. Wichtig dafür sind zwei Dinge: Es braucht einen gesetzlichen Rahmen, um den technisch möglichen Weiterbetrieb wirtschaftlich zu gewährleisten. Vor allem aber braucht es eine Strategie, die die Bestandsflächen für das Repowering in den Blick nimmt. Denn eigentlich wollen wir ja einen modernen Anlagenpark, mit hoch effizienten Anlagen. Leider zeigt sich, dass mindesten 50 Prozent der betroffenen Bestandsanlagen auf planerisch nicht mehr gesicherten Flächen stehen. Hier ist Handeln von Seiten der Bundesländer dringendst erforderlich, um ein Wegbrechen großer Kapazitäten zu verhindern. Denn diese Flächen haben, nach 20 Jahren Betrieb, genau die Akzeptanz und oft auch Bürgerbeteiligung, die sich heute in neuen Flächen erst schwer finden lässt. Hier braucht es ein einfaches, zügiges Verfahren. Wenn das nicht möglich ist, dann braucht es eine wirtschaftliche Grundlage für den Weiterbetrieb.
Weiterbetrieb oder Reopwering – was hat für den BWE Vorrang?
Für uns steht an erster Stelle immer das Repowering. Möglichst mit den Akteuren, die bereits heute aktiv sind und in enger Kooperation mit den Menschen und den Kommunen vor Ort. Dezentral und bürgernah sind keine von der Windbranche daher gesagten Floskeln,, sondern die Basis einer zukünftig CO2-freien Energiewelt. Der Weiterbetrieb kann die Brücke für das Repowering sein. Über 50 Prozent der betroffenen Betreiber stellen sich auf bis zu fünf Jahre Weiterbetrieb ein. Dieses Zeitfenster müssen die Bundesländer nutzen zur Entwicklung einer landesspezifischen Repoweringstrategie.
Gibt es eine Debatte welche Erlöse notwendig sind, um Altanlagen weiter zu betrieben?
Wir sprechen zunächst immer von Bestand. Die Anlagen sind nach 20 Jahren keineswegs alt. Sie erreichen lediglich das Ende der EEG-Förderdauer. Fast alle könnten dank guter Wartung und solidem Service technisch noch über eine Dekade nach dem Auslaufen der jetzigen Förderung sauberen Strom liefern. Wir haben auch im Verband viel über die notwendigen Erlöse diskutiert. Erste Studien sprachen von 2,8 bis 3,6 Cent/kWh. Die Fachagentur Wind an Land geht von 3,5 bis 5 Cent/kWh aus. Dabei benötigen kleinere Bestandsanlagen bis 1 MW eher den oberen Wert.
Ich neige aus eigener Projektkenntnis dazu, diese Zahlen als Basis zu nehmen. Im unteren Feld wird damit der Weiterbetrieb bis zum ersten größeren Schaden möglich sein. Der kann nach drei Monaten kommen oder gar nicht. Wer für die Erzeuger aber vor allem auch die Abnehmer des Windstroms, einen planbaren Weiterbetrieb will, braucht deshalb eine geglättete Erlöslinie. Vor der COVID-19 Krise haben wir als BWE daher gefordert den Weiterbetrieb durch einen CO2-Bonus von 2 Cent abzusichern. Dies erschien uns angesichts der damaligen Börsenstrompreise richtig. Heute landen wir damit bei 3 Cent und stellen fest: Es reicht fast nie.
COVID-19 hat alles verändert. An der Börse sind die Preise weggebrochen, eine Erholung ist nicht in Sicht.
COVID-19 hat unmittelbare Auswirkungen auf den Energiemarkt: Die Einspeisung von Wind und PV ist stabil und ergänzt sich über den Tag. Gas rutscht wegen der niedrigen Preise in der Merit-Order nach vorn und sichert das System. Steinkohle ist aus dem Markt gedrängt und steht still. Der Braunkohle geht es ähnlich. Dort sind einzelne Blöcke noch am Netz, weil sie auch für die Wärmeversorgung gebraucht werden. Die fossile Restlast, die lange mit 25 und mehr Gigawatt im Netz stand, ist deutlich geschrumpft. Die aktuelle Situation zeigt, wozu die Erneuerbaren wirklich fähig sind. Jetzt muss nur noch die Politik handeln.
Die Windenergie kann mit dem aktuellen Börsenpreis allerdings auch nicht leben.
Das stimmt. Der Mechanismus der Börse muss neu organisiert werden. In einer von den Erneuerbaren getragenen Energiewirtschaft ist ein anderes Strommarktdesign notwendig. Bis dahin braucht es kurzfristige Maßnahmen, die vor allem Flexibilität garantieren. Drei Beispiele: Betreiber von Wind und PV sollten nicht gezwungen werden jede Kilowattstunde ins Netz einzuspeisen. Die sich aus eigenen Kraftwerken versorgende Industrie muss angespornt werden, sich am Erneuerbaren-Strommarkt zu versorgen. Der Staat muss durchgehend Vorbild sein und seinen Strombezug bilanziell vollständig erneuerbar machen.
Reicht das für die Anlagen die ab 1. Januar ohne Förderung dastehen?
Der graue Börsenstrommarkt ermittelt heute einen Strompreis, der die CO2 Vermeidung nicht honoriert. Der Strom aus Bestandsanlagen ist volkswirtschaftlich wertvoller als der graue Strombörsenpreis. Das gilt es anzuerkennen. Wir brauchen die Kapazitäten der Bestandsanlagen, um die Zeit zu überbrücken, bis eine Repoweringstrategie politisch vereinbart ist. Der Marktwert für Windstrom liegt gerade bei rund 1 Cent pro kWh, die Terminmärkte sehen für die kommenden Jahre Preise von rund 3 Cent. Dies ist keine Basis. Es gilt deshalb neu zu denken. Niemand bestreitet, dass es einen Hochlauf der Wasserstofftechnologie geben muss. Wie wäre es z.B. ein Volumen von 2.000 oder auch 4.000 MW Bestandsanlagen für 5 oder 10 Jahre zu fördern um grünen Strom in Elektrolyseure zu bringen. Man könnte damit als großes Pilotprojekt im Norden der Bundesrepublik starten, denn die norddeutschen Länder haben eine Wasserstoffstrategie vorgelegt.
Bestandsanlagen und Wasserstofferzeugung zu verknüpfen ist keine neue Idee.
Und es muss auch nicht die Einzige bleiben. Bestandsanlagen können über verschiedene P2X-Technologien darstellen, wie grüne Back-up-Kapazitäten realisiert werden können. Es braucht nicht zentrale fossile Kraftwerke, die den Blackout verhindern, sondern intelligente flexible und dezentrale Back-up-Turbinen, die unser künftiges System sichern. Hier liegen enorme Chancen für die Akteure aus den Erneuerbaren-Branche, aber auch für regionale Netzbetreiber und Stadtwerke.
Haben sie die Hoffnung, dass die Bundesregierung solche Vorschläge aufgreift?
Wir erleben, dass der Diskursüber ein geeignetes Konjunkturprogramm ein Jungbrunnen der Ideen ist. Jetzt braucht es den Mut, diese Ideen auch umzusetzen. Die Menschen wollen mehr Nachhaltigkeit, mehr Klimaschutz und eine neue Ehrlichkeit, verbunden mit eigenen Lebenschancen und Perspektiven. Die dezentrale moderne Energiewelt kann hier einen starken Beitrag leisten. Dafür brauchen wir mehr erneuerbare Energien und nicht den Verlust von Bestandsflächen oder Kapazitäten.