Die Fraunhofer-Institute für Solare Energiesysteme (ISE) sowie Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik (IEE) haben im Auftrag des nationalen Wasserstoffrates (NWR) eine Studie zur Bewertung unterschiedlicher Dekarbonisierungspfade für den Wärmemarkt durchgeführt. Die Studie entstand vor dem Hintergrund, dass der regionale Bereich der Wärmenutzung bis spätestens 2045 klimaneutral sein muss. Durch geopolitische Veränderungen unterliegen der Energiemarkt, sowie der Wärmesektor einer neuen Dynamik, die unteranderem durch hohe Energiepreise zu Stande kommt.
Die Studie berücksichtigt regionale Unterschiede in der Gebäude- und Prozesswärme in den vier Versorgungsgebieten Burg bei Magdeburg, Fellbach, Mainz und Westerstede. Bottom-Up Modell bedeutet in diesem Fall, dass von Einzelfällen auf die Gesamtentwicklung für den Energie- und Wärmemarkt geschlossen werden kann. Das soll möglich sein, da die Fallbeispiele sich in ihren lokalen Gegebenheiten, etwa im real existierendem Gebäudebestand oder der geographischen Lage unterscheiden und dadurch ein breites Bild darstellen.
Konkret wurden für die einzelnen Versorgungsgebiete Nachfrageprofile generiert, welche durch die Erhebung von Gebäudedaten erzeugt wurden. Dazu gehören beispielsweise die Raum- und Prozesswärme oder die Leistung der Bestandsanlagen. Anschließend wurden stündliche Werte für sieben repräsentative Wochen ausgewählt, um installierte und benötigte Leitungen und Energiemengen unter fünf Energieoptimierungen zu ermitteln. Aus diesen Inputdaten wurden abschließend für den Zeitraum 2025-2045 Simulationen der ausgewählten Netzgebiete unter verschiedenen Netzbelastungen durchgeführt.
Zentrales Ergebnis ist, dass die gesamte Bandbreite regenerativer Energieträger für die Wärmeversorgung gebraucht wird, um bis 2045 klimaneutral zu werden. Dazu gehören Photovoltaik und Windkraft für die Stromproduktion, Solarthermie, Geothermie und Biomasse als erneuerbare Energieträger, Fernwärme und Wasserstoff. Alle Szenarien der vier einzelnen Versorgungsgebiete sehen bis 2030 einen ähnlichen Weg vor. Dabei sind auf der einen Seite der prominente Einsatz von Photovoltaik- und Wärmepumpenleistung und auf der anderen Seite die industrielle Anwendung und zentrale Wärmeversorgung durch Wasserstoff bestimmend. Für die Dekarbonisierung in der Raumwärme ist der Ausbau von Wärmepumpen in allen Versorgungsgebieten das Hauptaugenmerk. Zudem soll der Einsatz von Wasserstoff langfristige Klimaziele nach 2030 in der Energie- und Wärmeerzeugung absichern. „Es ist wichtig, nun sehr schnell große Mengen günstigen Wasserstoff verfügbar zu machen - nicht nur für die Großindustrie, sondern auch für die an das Verteilnetz angeschlossenen Industrie- und Gewerbebetriebe sowie die (Fern-)Wärmeversorgung“, sagt Jörg Bergmann, Leiter der Arbeitsgruppe Infrastruktur und Wärme des NWR.
Die Notwendigkeit von Vor-Ort-Analysen ist eine weitere zentrale Erkenntnis der Studie. Aufgrund der Komplexität des Wärmemarktes variieren die Dekarbonisierungspfade aufgrund der lokalen Gegebenheiten der Versorgungsgebiete. Daher gewinnt kommunale Wärmeplanung an Wichtigkeit.
„Die Wärmewende findet lokal statt. Jede Kommune, jeder Stadtteil ist anders. Um dieser Komplexität und Individualität vor Ort gerecht zu werden, bedarf es eines dezentralen Betrachtungsansatzes “, stellt Katherina Reiche, Vorsitzende des NWR, fest. Somit steht der Aufbau von regionaler, nationaler und europäischer Versorgungsstruktur, als zentrale zwingende Voraussetzung für die erfolgreiche Wärmewende im Vordergrund. Die Studie erkennt, dass für die kommunale Wärmeplanung einheitliche Rahmenbedingungen in technischen Dimensionen, wie die CO2-Emissionsfaktoren für verschiedene Energieträger und ökonomischen Dimensionen, wie die Entwicklung von Energieträgerpreisen notwendig sind.
„Eine One-Size-Fits-All-Lösung existiert für den Wärmemarkt nicht. Transformationspfade müssen alle wesentlichen Technologien als mögliche Lösungsoption beinhalten, um für die lokal sehr unterschiedlich ausgeprägten Versorgungsaufgaben unter Einbeziehung aller Gesichtspunkte zu bestmöglichen Lösungen zu gelangen. Dies muss mit verpflichtenden kommunalen Wärmeplanungen angegangen werden“, Sebastian Herkel, Leiter der Abteilung Energieeffiziente Gebäude, Fraunhofer ISE.
Der Bundesverband der Deutschen Heizungsindustrie (BDH) bezeichnete den Ansatz der Studie als „innovativ“. BDH-Hauptgeschäftsführer Markus Staudt sieht den gesamten technischen Lösungsraum und den Ausbau erneuerbarer Energieträger im Fokus. Die vollständige Studie soll am 14.12.2022 veröffentlicht werden.