von Sven Ullrich
Das Potenzial für die Installation von Solarstromanlagen in Berlin liegt bei bis zu zehn Gigawatt. Das reicht aus, um etwa die Hälfte des Stromverbrauchs der Hauptstadt zu decken, wie eine neue Studie der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin zeigt.
Auf den Dächern von Berlin ist genügend Platz, um Solarstromanlagen mit einer Gesamtleistung von bis zu zehn Gigawatt zu errichten. Das ist das Ergebnis einer Neuberechnung des Solarpotenzials der Hauptstadt durch Wissenschaftler der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW). Die zehn Gigawatt sind aber das Maximalszenario. Eine realistische Berechnung ergibt ein Solarpotenzial von 6,3 Gigawatt, was aber immer noch um fast 85 Prozent über den bisherigen Berechnungen liegt, die im Jahr 2012 im Solaratlas Berlin veröffentlicht wurden.
Die Forscher haben die geeigneten Dachflächen neu berechnet, die für die Installation von Solaranlagen geeignet sind. Sie simulierten für jedes Gebäude Berlins die Solarstromerzeugung sowie den eigenen Energieverbrauch. Zudem haben sie hinderliche Kriterien wie beispielsweise den Denkmalschutz und die in Berlin für Solarprojekte ungünstigen Eigentumsstrukturen berücksichtigt, die auch die Optimierungen des Potenzials ökonomisch einschränken. Schließlich befindet sich etwas mehr als die Hälfte des Potenzials auf Wohngebäuden, vor allem auf Mehrfamilienhäusern. Nur ein Teil davon ist Eigentum von größeren genossenschaftlichen, städtischen oder kommerziellen Immobilienunternehmen. Der größte Teil ist im Besitz von Privateigentümern, die nur schwer zur Installation von Solaranlagen zu bewegen sind.
Neubauten mit einbezogen
Geeignete Dachflächen von Gebäuden mit Gewerbenutzung haben hingegen einen Anteil von 35 Prozent. „Wir waren überrascht, dass nur knapp zehn Prozent der potenziellen Flächen auf den öffentlichen Gebäuden zu finden ist“, sagt Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energie an der HTW und Mitautor der Studie. „Wir müssen versuchen, wirklich alle Dächer dieser Stadt für Solarenergie zu nutzen.“
Für die Berechnung des aktuellen Solarpotenzials haben die Forscher auch die Neubauten der vergangenen Jahre berücksichtigt. Damit basiert das jetzige Potenzial auf dem Gebäudebestand aus dem Jahr 2016. Die bisherigen Berechnungen des Solarpotenzials im Solaratlas Berlin basieren auf dem Gebäudebestand des Jahres 2008. Allein dadurch steigt das Potenzial im Vergleich zum Solaratlas um 300 bis 500 Megawatt – je nach Mindestgröße der geeigneten Fläche. So wurde für das Maximalszenario eine Mindestgröße auf Schrägdächern von fünf Quadratmetern veranschlagt. Die minimale Größe auf Flachdächern muss mindestens 15 Quadratmeter betragen, um in der Berechnung des Solarpotenzials als geeignet angesehen zu werden. Im realistischen Szenario, bei dem Dachaufbauten, Gauben und ähnliche Hindernisse mit berücksichtigt werden, liegt die Mindestgröße auf Schrägdächern bei 15 Quadratmetern und auf Flachdächern bei wenigstens 40 Quadratmetern.
Technologische Entwicklung berücksichtigt
Außerdem haben die Forscher der HTW die aktuelle Moduleffizienz sowie die technologische Entwicklung in den kommenden Jahren mit eingerechnet. Schließlich liegt der Wirkungsgrad nicht mehr bei 15 Prozent, wie sie im Solaratlas zugrunde gelegt wurden, sonder inzwischen eher bei 16,7 Prozent. Dadurch steigt die Leistung, die auf einer gegebenen Fläche installiert werden kann. Diese Moduleffizienz haben die Berliner Forscher beim realistischen Szenario zugrunde gelegt. Im Maximalszenario gehen sie sogar von einem Wirkungsgrad von 20 Prozent aus.
Zudem haben sie die aktuelle Entwicklung des Anlagendesigns mit berücksichtigt. Denn auf Flachdächern werden die Generatoren inzwischen mehrheitlich in Ost-West-Ausrichtung und nicht mehr nach Süden aufgeständert, um den Eigenverbrauchsanteil zu erhöhen. Dadurch sinkt zwar die mögliche Stromerzeugung aus solchen Anlagen auf Flachdächern. Da die auf allen Dächern Berlins installierbare Leistung aber viel höher liegt, können die im realistischen Szenario ausgerechneten 6,3 Gigawatt immerhin 5,9 Terawattstunden Strom produzieren. Aus den Basisdaten des Solaratlas‘ wurden 4,1 Terawattstunden Strom berechnet. Wenn das Solarpotenzial aber wie im Maximalszenario berechnet, auf zehn Gigawatt steigt, könnten alle dies Anlagen immerhin 9,7 Terawattstunden Strom produzieren.
46 Prozent des Stromverbrauchs decken
Das würde mehr als ausreichen, um das Ziel des Berliner Senats zu erreichen. Die Landesregierung strebt an, bis zum Jahr 2030 ein Viertel des Stromverbrauchs in der Hauptstadt mit Solarstrom zu decken. Schließlich verbrauchen die Berliner derzeit gut 13 Terawattstunden Strom. Damit könnten selbst die im realistischen Szenario berechneten 5,9 Terawattstunden 46 Prozent des Verbrauchs in Berlin decken. Damit reicht es aus, gut die Hälfte des Potenzials zu heben, um das anvisierte Ziel zu erreichen.
Dafür reicht allerdings die derzeitige Zubaugeschwindigkeit nicht aus. Momentan trägt die Photovoltaik mit einem Halben Prozent zur Stromerzeugung Berlins bei. „Um den heutigen Stromverbrauch Berlins zu einem Viertel mit Solarenergie zu decken, müssten wir ab sofort jedes Jahr so viele Anlagen neu bauen, wie wir insgesamt in den letzten 20 Jahren errichtet haben“, rechnet Volker Quaschning vor. „Das ist eine Steigerung um den Faktor zehn.“ Dazu kommt noch, dass der Stromverbrauch zum Beispiel durch Elektromobilität weiter ansteigt.
Unter den jetzigen Rahmenbedingungen werde der Berliner Senat sein Ziel verfehlen, betont Quaschning. „Wir können es uns nicht leisten, beim Klimaschutz weiter auf der Bremse zu stehen“, sagt er. „Wenn freiwillige Anreize nicht fruchten, müssen die Daumenschrauben angezogen werden und langfristig auch ordnungspolitische Maßnahmen in Betracht kommen.“ Das ginge beispielsweise durch höhere Kriterien für die Energieeffizienz von Bestandsgebäuden, die ohne Solaranlage nicht mehr zu erreichen wären.