Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch
Recht

Verträglich oder nicht?

Am 15.12.2004 wurde die überarbeitete Richtlinie 2004/108/EG [3] zur elektromagnetischen Verträglichkeit (EMV) von der Europäischen Kommission veröffentlicht. Diese ersetzt die bisher geltende EMV-Richtlinie 89/336/EWG [2] verbindlich seit dem 20. Juli 2009 und findet sich seitdem häufig auf CE-Konformitätserklärungen für  Windenergieanlagen wieder. Zu Recht? Diese Frage sowie die mit der neuen EMV-Richtlinie verbundenen Verpflichtungen stellen Hersteller und Betreiber von Windenergieanlagen vor neue Herausforderungen, wie im vorliegenden Aufsatz dargestellt wird.

Artikel 1 der geltenden EMV-Richtlinie nennt ihren Gegenstand und Geltungsbereich. Darin heißt es: „Gegenstand dieser Richtlinie ist die elektromagnetische Verträglichkeit von Betriebsmitteln. Sie soll das Funktionieren des Binnenmarkts für Betriebsmittel dadurch gewährleisten, dass ein angemessenes Niveau der elektromag­netischen Verträglichkeit festgelegt wird. Diese Richtlinie gilt für Betriebsmittel gemäß der Begriffsbestimmung in Artikel 2“. Dazu führt Artikel 2 weiter aus:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
a)    „Betriebsmittel“ ein Gerät oder eine ortsfeste Anlage;
b)    „Gerät“ einen fertigen Apparat oder eine als Funktionseinheit in den Handel gebrachte Kombination solcher Apparate, der bzw. die für Endnutzer bestimmt ist und elektromagnetische Störungen verursachen kann oder dessen bzw. deren Betrieb durch elektromagnetische Störungen beeinträchtigt werden kann;
c)    „Ortsfeste Anlage“ eine besondere Kombination von Geräten unterschiedlicher Art und gegebenenfalls weiteren Einrichtungen, die miteinander verbunden oder installiert werden und dazu bestimmt sind, auf Dauer an einem vorbestimmten Ort betrieben zu werden“.

Demnach ist der Begriff Betriebsmittel ein Oberbegriff für Geräte und ortsfeste Anlagen, und es fallen alle Geräte und ortsfeste Anlagen in den Anwendungsbereich der EMV-Richtlinie, die elektromagnetische Störungen verursachen können oder deren Betrieb durch diese Störungen beeinträchtigt werden kann. Damit sind alle elektrischen und elektronischen Apparate, Anlagen, Installationen und Systeme betroffen, die elektrische und/oder elektronische Bauteile enthalten.

Ortsfeste Anlagen


Ein Teil der Bestimmungen der Richtlinie gilt für Geräte und ortsfeste Anlagen gemeinsam, so etwa die allgemeinen Schutzanforderungen und der Grundsatz, wonach diese Schutzanforderungen in harmonisierten Normen konkretisiert werden können, deren Anwendung freigestellt ist. Bezüglich des Nachweises der Einhaltung der Schutzanforderungen jedoch, macht die Richtlinie deutliche Unterschiede zwischen Geräten und ortsfesten Anlagen. So fordert sie für Geräte, die an jedem Ort in der EU in Verkehr gebracht und in Betrieb genommen werden können, die Einhaltung eines vorgeschriebenen Konformitätsbewertungsverfahrens sowie die CE-Kennzeichnung. Dieses Verfahren erscheint für ortsfeste Anlagen aber nicht sinnvoll.

Der Begriff “ortsfeste Anlage“ ist nach Auffassung der Europäischen Kommission ein umfassender Begriff für elektrische Installationen bestehend aus Geräten unterschiedlicher Art und weiteren Einrichtungen, die auf Dauer an einem unveränderlichen Ort zusammengefügt sind. Unter diesen Begriff fallen kleinste elektrische Anlagen sowie große Energie- und Telefonnetze für kommerzielle und industrielle Anwendungen. Aber auch “große Maschinen“ können ortsfeste Anlagen sein.
Eine förmliche Konformitätsbewertung solcher Anlagen ist auf Grund ihrer Größe und Komplexität oft schwer durchführbar und in Einzelfällen sogar unmöglich. Zudem unterliegen ortsfeste Anlagen häufig einer laufenden Veränderung, wodurch die förmliche Konformitätsbewertung ihrer nicht definierten und veränderlichen EMV-Bedingungen ebenfalls problematisch erscheint.

Aus diesen Beweggründen verzichtet die EMV-Richtlinie auf eine förmliche Konformitätsbewertung und CE-Kennzeichnung von ortsfesten Anlagen. Sie schreibt aber vor, dass solche Anlagen nach den anerkannten Regeln der Technik zu installieren und die Angaben zur vorgesehenen Verwendung der installierten Komponenten zu berücksichtigen sind. Die Maßnahmen zur Einhaltung der Schutzziele der EMV-Richtlinie sind zu dokumentieren. Ferner ist ein  Verantwortlicher zu benennen, der die entsprechenden Unterlagen für die zuständigen Behörden zu Kontrollzwecken über den Lebenszyklus der Anlage zur Einsicht bereit hält.

EMV und Windenergieanlagen


Doch wie ist nun die EMV-Richtlinie auf Windenergieanlagen anzuwenden? Eine Windenergieanlage wird in Einzelteilen an den Bestimmungsort transportiert und vor Ort zusammengesetzt, errichtet und in Betrieb genommen. Sie wird ausschließlich an diesem Ort betrieben. Entsprechend dieser Voraussetzungen ist die Windenergieanlage gemäß der in der EMV-Richtlinie gegebenen Begriffsdefinition eine ortsfeste Anlage. Zudem gibt die Europäische Kommission in ihrem Leitfaden zur Anwendung der EMV-Richtlinie [4] eine nichtumfassende Liste mit Beispielen für ortsfeste Anlagen, worin der Begriff “Wind Turbine Stations“ zu finden ist, der von der Bundesnetzagentur mit “Windenergieanlagen“ übersetzt wird [1].

Auf Grund dieser Festlegung ist in Zukunft ein erheblicher Beratungsbedarf auf Hersteller-, Projektierer- und Betreiberseite von Windenergieanlagen und Windparks zu vermuten. Die EMV-Richtlinie legt fest, dass in der Dokumentation von Windenergieanlagen und Windparks Informationen enthalten sein müssen, welche Maßnahmen zur Einhaltung der EMV-Schutzziele getroffen wurden. Dem Anlagenhersteller, Projektierer und Parkbetreiber wird hier eine aktive Rolle zugewiesen, die EMV-Dokumentation für seine Windenergieanlagen und Windparks auf aktuellem Stand zu halten und so den Nachweis auf Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik zu erbringen. Diese beginnen bereits bei der Planung und setzen sich bis zur Montage und Inbetriebnahme durch die unterschiedlichsten beteiligten Errichterfirmen fort. Während des Betriebs der Windenergieanlagen sind Wartung, Instandhaltung, Reparatur oder Modifikation, die Auswirkungen auf die elektromagnetische Verträglichkeit haben, ebenfalls zu dokumentieren.

Zu einer richtlinienkonformen EMV-Dokumentation gehören insbesondere
die Montage-, Betriebs- und Wartungsanleitungen der installierten Geräte wie Generator, Umrichter, Schaltschränke,
die die EMV betreffenden Konstruk­tionsüberlegungen der Windenergieanlage und Beschreibung der Lösungen zur Einhaltung der EMV-Schutzanforderungen,
Informationen über Abschirmung,
Kabelschirmung, Kabelführung,
Messberichte, falls solche vorhanden sind,
sowie Verweise auf angewandte Normen bzw. Normenteile.

Messen und dokumentieren 


Wenn auch die EMV-Richtlinie eine förmliche Bewertung nicht vorschreibt, empfiehlt es sich jedoch EMV-Messungen anhand einschlägiger EMV-Normen soweit wie anwendbar vorzunehmen. Zudem verpflichtet auch die zentrale Norm zur Auslegung von Windenergieanlagen EN 61400-1:2005 [6] den Hersteller zur EMV-Bewertung und zu entsprechenden Messungen. Dabei verweist sie auf einschlägige EMV-Normen, wie zum Beispiel die harmonisierten Fachgrundnormen EN 61000-6-1 und 61000-6-2, deren Anwendung auf Windenergieanlagen nicht uneingeschränkt möglich ist und daher mit erfahrenen Experten diskutiert werden sollte.

Die EMV-Richtlinie fordert die Benennung einer Person, die für die Feststellung der Konformität einer ortsfesten Anlage mit den einschlägigen grundlegenden Anforderungen der EMV-Richtlinie zuständig ist. Dies bedeutet, dass für jede installierte Windenergieanlage und jeden Windpark ein EMV-Ansprechpartner vorhanden sein muss. In Deutschland wird die EMV-Richtlinie durch das EMV-Gesetz (EMVG) [5] in nationales Recht überführt. Nach dem EMVG ist der Betreiber für die Einhaltung der grundlegenden Anforderungen und das Vorhalten der aktuellen Dokumentation verantwortlich. Das EMVG sieht für Ordnungswidrigkeiten ein Bußgeld bis zu 50.000 Euro vor.

Die Verpflichtungen zur EMV-Verantwortung stellt insbesondere Windparkbetreiber vor eine neue Aufgabe. Da Windparkbetreiber in der Regel nur über begrenztes EMV-Fachwissen verfügen, werden sie die entsprechende Fachkompetenz vom Windenergieanlagenhersteller, vom Windparkprojektierer, vom Instandhalter und von weiteren Beteiligten, die über den Lebenszyklus Arbeiten an Windenergieanlagen vornehmen, einfordern. Auf Grund der Komplexität des Themas ist es für viele Unternehmungen jedoch schwer eine entsprechende Fachkompetenz vorzuhalten. Bei den hierfür in Frage kommenden Fachleuten sind spezielle Kenntnisse sowohl zu den einschlägigen EMV-Normen sowie zu deren Anwendbarkeit auf verschiedenartigste Anlagen und Konfigurationen erforderlich. Insbesondere unabhängige Sachverständige bieten hier den Herstellern, Projektierern und Betreibern von Wind­energieanlagen und Windparks umfassende Hilfestellung bei der Bewertung und Einhaltung von EMV. Ein professioneller und erfolgreicher Umgang mit der EMV-Richtlinie ist daher keine Glückssache! 

[1]    Bundesnetzagentur (2007): Leitfaden zur Anwendung der Richtlinie 2004/108/EG des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die elektromagnetische Verträglichkeit.
[2]    Europäisches Parlament/Europäischer Rat (1989): Richtlinie 89/106/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die elektromagnetische Verträglichkeit vom 3. Mai 1989. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 139 vom 23. Mai. 1989.
[3]    Europäisches Parlament/Europäischer Rat (2004): Richtlinie 2004/336/EWG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die elektromagnetische Verträglichkeit und zur Aufhebung der Richtlinie 89/336/EWG. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 390/24 vom 31. Dezember 2004.
[4]    Europäische Kommission (2007): Guide for the EMC Directive 2004/108/EC.
[5]    Gesetz über die elektromagnetische Verträglichkeit von Betriebsmitteln (EMVG) vom 26. Februar 2008 (BGBl I. S. 220), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2409).
[6]    EN 61400-1 (2005): Windenergieanlagen –
Teil 1: Auslegungsanforderungen.

Holger Berndt
Germanischer Lloyd Industrial Services GmbH
Erneuerbare Energien Zertifizierung (GL)