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Personal

Wenn Fachkräfte mit Erfahrung nicht in Sicht sind, was machen Sie dann? 

Frau Bube, Herr Claessen, Herr Seifert, Sie alle drei sagen aus der Perspektive dreier sehr unterschiedlicher Unternehmen der Windenergiebranche dasselbe: Spezifisch für die Zwecke Ihrer Unternehmen ausgebildetes und zugleich erfahrenes Personal ist auf dem Arbeitskräftemarkt der Stellensuchenden nicht zu finden. Können Sie das konkreter erklären?

Andrea Bube: Egal, ob wir Projektentwickler, Elektrotechnikingenieure oder auch nur die Buchhalter oder Controller suchen. Sie alle sind kaum zu finden.

Ivo Claessen: Und die Engpässe werden in Zukunft noch schwieriger werden. Wir sehen das ganz konkret bei den so genannten Blue Collar Workern im Bereich Service Engineering und den Trouble Shoutern, aber auch bei Bauleitern oder Projektingenieuren. Das ist wirklich schwierig - vor allem auf der Offshore-Baustelle, aber auch im Servicebereich auf dem Festland.

Bube: Auf dem freien Markt können wir keine erfahrenen Projektentwickler finden.

Aber vielleicht sind wenigstens Allround-Ingenieure auf dem Markt, Herr Seifert, die Sie in begrenzter Zahl benötigen - manchmal nur einen oder zwei? Für Ihre Allround-Ingenieurdienste?

Marten Seifert: Nein. Es ist sehr schwer, sie zu finden. Vielleicht weil wir ein kleines Unternehmen sind, sind wir immer gezwungen, mit Praktikanten oder Werkstudenten zu arbeiten. Die übernehmen wir manchmal in ein Arbeitsverhältnis, dann ist das eine sehr fruchtbare Sache. Wenn wir es vom ersten Praktikum über die Werkstudentenphase bis zur Masterthesis richtig machen, sammeln sie zweieinhalb Jahre sehr nützliche Berufserfahrung. Zusätzlich müssen wir auf unserer lokalen Position hier in Norddeutschland aufbauen. Wir konnten einige Leute aus dem Konkurs des Windkraftanlagenherstellers Senvion holen. Und wir haben einige Leute aus unserem alten Netzwerk, die sich uns angeschlossen haben.

Sie müssen deshalb gute Fach- oder Führungskräfte aus anderen Branchen rekrutieren. Inwieweit müssen Sie dann aber ihre Anforderungen an deren Fähigkeiten zurückschrauben?

Claessen: Zugegeben, oft sind Personalverantwortliche erst einmal nicht bereit, die Realität zu akzeptieren und von ihrer Anforderungsliste abzuweichen. Aber wenn man dann sechs Monate im Suchprozess steckt und die Stelle immer noch nicht besetzt ist, weiß man, dass es an der Zeit ist, die Anforderungen zu senken. Andernfalls wird die Stelle weitere sechs Monate offen sein. Und dann wären die Auswirkungen größer, als wenn Sie eben Nachschulungsbedarf akzeptieren. Das wird in den nächsten Jahren zweifelsohne zunehmen.

Bube: Wir erwarten von den Bewerbern Erfahrung, stellen aber oft Kandidaten mit wenig Berufserfahrung beziehungsweise Berufsanfänger ein. Wir bauen sie auf und investieren viel Zeit in die MItarbeiter. Dabei müssen wir das Risiko in Kauf nehmen, dass sie vielleicht woanders hingehen, wenn sie endlich ihr Geschäft verstehen. Nehmen Sie den Bereich Netzanschluss: Die Bewerber sind meistens Absolventen. Sie werden kaum einen erfahrenen Elektrotechnikingenieur finden.

Wenn Sie also Erwartungen an die benötigten Fähigkeiten herunterschrauben müssen: Wann kann der Charakter eines Menschen für Sie wichtiger sein als diese Fähigkeiten?

Seifert: Die von uns gesuchten Qualifikationen lassen sich aber nicht so einfach reduzieren. Denn unsere Mitarbeiter arbeiten meist auf der Baustelle, sie arbeiten mit den Berichten der Kunden oder den Ingenieuren des Bauherrn. Und sie sind in das gesamte Projektumfeld eingebettet, müssen mit allen Anforderungen und allen Änderungen der Aufgaben zurechtkommen, müssen auch im Spannungsfeld zwischen Kunden und Lieferanten bestehen. Sie müssen wortgewandt sein und trotzdem die Aufgabe im Auge behalten. Aber wenn wir diese Leute nicht bekommen können, bilden wir unsere jungen Leute am Arbeitsplatz aus. Um die Anforderungen nicht zu senken, nehmen wir dann auch externe Experten, schließen uns mit anderen kleinen Unternehmen oder mit Freiberuflern oder ähnlichem zusammen, die für diesen Zweck geeignet sein könnten

Herr Detlefs, Sie dürften als Personaldienstleister eigene Ideen haben, wie die Branche sich in der Ansprache von Experten und guten Fachkräften verbessern könnte. Welche?

Arwid Detlefs: Zunächst einmal muss man herausfinden, wer die richtigen Personen sind. Das ist oft gar nicht so einfach. Ein Punkt aus meiner Sicht ist, dass es Unternehmen in dieser Branche gibt, die ihre Reaktionszeit verkürzen müssen. Für die Kommunikation heißt das, schneller mit den Kandidaten zu sein und ihnen das Gefühl zu geben: Nun, ich bin im Prozess und ich bin immer darüber informiert. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Reaktionszeit zu oft sehr lang ist. Die Unternehmen sagen, wir müssen erst dies und jenes besprechen. Und in dieser Zeit gehen die Bewerber verloren. Heute aber gilt: Wenn ein Kandidat offen für einen Wechsel ist, wird er von gleich ein paar Unternehmen angesprochen, von Headhuntern oder direkt von Unternehmen. Da kann es sich kein Unternehmen mehr leisten, Bewerbern zu sagen, sich in ein paar Wochen wieder zu melden. Jeder Bewerber will eine schnelle Reaktion und das Gefühl haben, in den Prozess eingebunden zu sein und über jeden Stand informiert zu sein. Unternehmen müssen deshalb regelmäßig kommunizieren – und so schnell, wie möglich, auch wenn Sie auch Auswahlprozesse einhalten müssen. Wir müssen zusätzlich auch die Frage der Quantität beantworten – indem wir die Kandidaten auf ein höheres Wissensniveau bringen, Universitäten unterstützen und versuchen, sehr früh mit vielversprechenden Kandidaten in Kontakt zu kommen ....   

Bube: Sie haben wirklich Recht, Herr Detlefs. Wir müssen schneller werden. Wenn wir also einen Headhunter für eine Stelle engagiert haben, haben wir rechtzeitig eine Antwort. Dann sind 24 Stunden die größte Zeitspanne für uns, jemandem Bescheid zu geben. Wir müssen das Gespräch sehr schnell führen. Warte nicht zu und diskutiere eine Personalie erst intern. Wenn Sie das tun, ist der Kandidat weg. Es ist jetzt ein Bewerbermarkt. Wenn Manager sagen, wir müssen über das Gehalt sprechen und über mobile Arbeit, sage ich: Nein. Wenn man mit Glück einen guten Kandidaten findet, muss man sich beeilen – der Vertrag muss schnell aufgesetzt sein und die Vorbereitung für das Onboarding muss sofort beginnen, also die Vorbereitung auf die Einführung neuer Mitarbeitenden in die Abläufe des Unternehmens. Das muss innerhalb von drei, am besten nicht mehr als zwei Wochen geschehen.

Aber die Branche braucht ja nicht nur Einzelpersonen,die Sie vielleicht noch heranziehen können. Sondern sie muss massenhaft einstellen – und vielleicht müssen das ja auch bald wieder sie. Ist hier nur die Politik am Zuge, durch neue Bildungsangebote diese Personalvolumen heranzuführen? Oder könnten Windkraftfirmen von sich aus antizyklisch Personal anstellen statt immer wieder anzuhalten, um neue Aufträge abzuwarten?

Detlefs: Man muss für die Personalstrategie in die Zukunft blicken, richtig. Aber Sie haben ja schon vorab den Bedarf definiert, sobald Sie beispielsweise als Projektentwicklungsunternehmen sagen, wir brauchen diese Fachkräfte für ein vielleicht erst in drei oder vier Jahren anziehende Windpark-Genehmigungen, wenn der Staat soweit ist – aber dass Sie deshalb jetzt schon für Ihre vorangehenden Prozesse der Windparkplanung viel Personal brauchen. Dem stimme ich natürlich zu.

Herr Claessen, im September musste Siemens Gamesa ankündigen, 2.900 Arbeitsplätze aufgrund der wirtschaftlich schwierigen Situation für Windturbinenunternehmen zu streichen. Dennoch: Könnten Sie nicht jetzt lieber Leute einstellen, bevor der Bedarf in der Branche zu überwältigend ist und zu wenig Personal Siemens Gamesa im nächsten Aufschwung dann nicht schnell genug mitgehen kann?   

Claessen: In der Vergangenheit haben wir ja Graduiertenprogramme durchgeführt, in deren Rahmen wir eine ganze Reihe hochqualifizierter Nachwuchskräfte ins Unternehmen geholt haben. Wir haben ihnen eine ganze Reihe von Praktika in verschiedenen Bereichen des Unternehmens in verschiedenen Teilen der Welt angeboten. Und wir haben eine Menge in sie investiert. Aber dann finden wir uns nach zwei Jahren in den meisten Fällen in einer Situation wieder, in der wir diese gut ausgebildeten, qualifizierten Leute haben, wir aber nur noch schwer für sie intern den richtigen Platz finden können – und dann verliert man sie. Langer Rede, kurzer Sinn: Es ist wirklich schwer, Leute einzustellen, bevor man nicht die richtigen Aufgaben für sie hat. Dennoch: Ja, das ist eine Herausforderung für uns.

Müsste die Branche mehr Ungewöhnliches wagen? Könnten atmende Belegschaften helfen, auf diese Volatilität der politischen Ausrichtung und auf Krisen zu reagieren? Sie könnten Arbeitskräfte entlang der vertikalen Wertschöpfungskette miteinander teilen, die vom Ingenieurdienstleister zum Anlagenbauer wechseln – und später zurückkehren?

Seifert: Das zielt wohl auf mich, da wir ja die Ingenieurdienstleister in unserer Runde sind. Aber obwohl wir gerne über den Tellerrand schauen, komme ich zum Schluss, dass das nicht funktionieren wird. Es ist nicht möglich, die persönlichen Pläne der Mitarbeiter und Branchenhintergründe und die Zeitpläne von Projekten in Einklang zu bringen. In der Tat sind die Dinge manchmal komplizierter, als es auf den ersten Blick aussieht. Das funktioniert auch anderswo wie bei einer einfachen Straßenbaustelle schon nicht: Da wird der Straßenbelag geöffnet, um Wasserleitungen zu verlegen, und wieder geschlossen. Und die Telefongesellschaft kommt fünf Monate später, um ihre Kabel dort zu verlegen. Und niemand ist in der Lage, diese Arbeiten anzugleichen, weil Installationsarbeiten komplex sind. Innerhalb eines Unternehmens ließe sich Personal natürlich austauschen. Wir haben das Glück, dass wir oft schon in sehr frühen Planungsphasen, aber auch später im Außendienst in Windparks eingebunden sind. Wir können hier intern in der Firma wechseln. Auch bei PNE, Frau Bube, könnten Sie das wie wir in begrenztem Maße.

Fachkräfte intern zu versetzen, funktioniert besser, wenn sich Mitarbeitende insgesamt mit einem Unternehmen identifiziert. Welche Rolle spielt die Unternehmenskultur? Herr Seifert, das dürfte für Sie am einfachsten sein, den Charakter Ihres Unternehmens zu prägen, weil Ihre Arbeit als Ingenieurdienstleister am klarsten geprägt ist …

Bube: Entschuldigung, ich muss antworten. Unsere Firmenkultur ist über die Jahre gewachsen. Und es gibt eine Menge an beruflichen Chancen für unsere Beschäftigten. Aber sie schätzen unsere Kultur. Jeder weiß, dass Projektentwicklung keine Sache für eine einzelne Person ist. Es ist immer das ganze Team, das zum Unternehmenserfolg beiträgt..

Seifert: Ich denke, für ein großes Unternehmen ist es schwieriger, den Charakter zu prägen, weil die Themen des Unternehmens so vielfältig sind - wobei ich Andrea Bube zustimme: Es ist möglich, diesen Charakter auch auf dem Weg des großen Wachstums zu erhalten. Sicherlich ist es für uns als kleines Unternehmen aber etwas einfacher, weil unsere Leute mehr oder weniger die gleichen Aufgaben haben. Auf gleicher Augenhöhe zu sein ist sehr wichtig für die Fachkräfte in so einem Unternehmen. 

Last but not least: Was muss die Politik zur Behebung des Personalnotstandes sofort tun?

Detlefs: Prozesse schneller und effektiver machen. Ich sehe keinen Bereich, der nicht in dieser Weise verbessert werden könnte. Politik in Bezug auf die Rekrutierung – ich habe keine konkrete Idee, welches bestimmte Gesetz wir dafür ändern könnten! Aber im Allgemeinen muss es sowohl für die Unternehmen auf der einen Seite wie für Politiker auf der anderen Seite darum gehen, komplizierte Prozesse zu vermeiden.

Claessen: Ja. Außerdem könnte die Regierung es vereinfachen, Menschen von außerhalb der Europäischen Union anzuziehen, die wir hier beschäftigt dürfen. Auch hat sie eine große Rolle dabei zu spielen, die Attraktivität des Sektors der erneuerbaren Energien für Schulen zu erhöhen. Bestimmte Schulen müssen die Art von Ausbildung anbieten, die dem Sektor der erneuerbaren Energien zu Gute kommt. Mit gezielten Anpassungen ließe sich ein Schritt nach vorne machen.

Seifert: Vor allem muss die deutsche Regierung ein stabiles Umfeld für erneuerbare Energien schaffen, anstatt Menschen davon abzuhalten, in diesem Bereich zu arbeiten. Wir haben Beschwerden von Leuten erhalten, die vor zwei, drei oder vier Jahren ihr Studium der erneuerbaren Energien in Flensburg oder Kiel abgeschlossen haben und keine Arbeitsstelle fanden. Das sollte nicht mehr vorkommen.

Dieses Expertengespräch ist Teil 2 des in  unserem Novemberheft ERNEUERBARE ENERGIEN 07/2022 veröffentlichten Austauschs von vier Personalexperten der Windenergiebranche. Falls Sie Teil 1 in unserem gedruckten Heft bisher nicht gelesen haben und kein Heft besitzen, können Sie es hier bestellen.