Die Völkliinger Hütte ist angeblich das weltweit einzige Eisenwerk aus der Blütezeit der Industrialisierung, das vollständig erhalten ist. Seit ihrer Erhebung 1994 zum Unesco-Weltkulturerbe ist die inzwischen gut 140 Jahre alte Industrieanlage ein gigantischer Erfolg: Jährlich angeblich 300.000 Besucher besuchen dort stattfindende Kulturevents und Ausstellungen. „Selbst der Staub steht jetzt unter Denkmalschutz“, schrieb das Wochenmagazin Spiegel anlässlich des 20. Jahrestages der Neugeburt als eine der 41 Weltkulturerbestätten in Deutschland – schwankend wohl zwischen Bewunderung und Spott. Und jetzt sollen Investorenpläne diesen Zauber plötzlich ernsthaft bedrohen dürfen?
Als Gefahr für das Weltkulturerbe steht derzeit ein Windparkprojekt im Mittelpunkt einer öffentlichen hitzigen Debatte. Auf einer benachbarten Waldhöhe, drei Kilometer Luftlinie von der Völklinger Hütte entfernt hat tatsächlich der Bau des Windparks Bous mit drei Enercon-Windturbinen begonnen. Die Anlagen vom Typ E-115 werden mit 207 Meter Gesamthöhe auf der um knapp 150 Meter ansteigenden Waldhöhe sicherlich die Szenerie prägen. Die Projektierungsgesellschaft des Windparks, Dunoair, hat die Genehmigung zum Bau noch am 30. Dezember erhalten, und kann den Windpark daher noch zu den guten Festpreis-Bedingungen des bisherigen Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) ans Netz anschließen. Die Vergütung fällt allerdings wegen einer im neuen EEG 2017 eingebauten starken Degression in den kommenden Monaten rasch ab. Je später der Windpark ans Netz geht, desto weniger erhält der Betreiber pro Kilowattstunde – und je früher, desto mehr. Projektierer Dunoair will deshalb offenbar keine Zeit verlieren, die Rodungen der Windparkbaustelle haben offenbar schon begonnen.
Das Saarländische Umweltministerium selbst mahnt bereits mit einer Strafanzeige gegen die Investoren, sollten die mit der Turbinenerrichtung schon anfangen, ehe die Unesco den weiteren Bestand des Weltkulturerbes Völklinger Hütte auch nach dem Bau des Windparks bestätigt habe. Schon in der Genehmigung des Windparks hatte die zuständige Umweltbehörde diesen Vorbehalt hineingeschrieben: Der Windpark dürfe nur dann gebaut werden, wenn das Welterbe-Zentrum in Paris zustimme. Auf jeden Fall seien die Windräder aber „im Wirkraum der Völklinger Hütte“ geplant.
Die Mahnungen gehen zurück auf vergangene Entscheidungen der Unesco-Weltkulturerbe-Bewahrer. Die hatte beispielsweise dem sächsischen Elbtal den Titel wieder aberkannt, nachdem die Stadt Dresden über den Fluss eine Brücke für eine Umgehungs-Schnellstraße gespannt hatte. Auch das Mittelrheintal dient als Negativbeispiel: Hier hatte die Unesco zur Ausarbeitung einer „Sichtachsenstudie“ geführt, die vor dem Bau von Windparks an den Rändern des Mittelrheintals warnt: Dies würde die geschützte Landschaft technisch umformen.
In Völklingen hatten die Welterbe-Hüter bisher schon einmal eine Entscheidung treffen müssen: Den Bau eines Gasometers hatten sie dann erlaubt, obwohl der die Völklinger Hütte nun überragt.
Dass ausgerechnet ein rostiger und gewiss nicht anmutiger Industriebau durch die optische Erscheinung eines Windparks in seiner Denkmalsfunktion gefährdet würde, mag man mit spöttischem Lächeln und dem Verweis auf den als schrullig verschriienen Charakter des Saarlands abtun.
Doch viel besser wäre es, endlich eine oder gerne auch viele bundesweite ernsthafte Debatte über die Veränderungswirkung der Energiewende auf unsere Landschaften zu führen. Ein altes Industriedenkmal wie die Völklinger Hütte könnte ja beispielsweise sogar noch an Bedeutung gewinnen, wenn dahinter moderne, aber viel nachhaltigere Industrieanlagen wie Windturbinen aufragen. Mancherorts, wie beispielsweise das Museum Paläon bei Braunschweig spielen gerade mit solchen Eindrücken äußerst beeindruckend und professionell. Das Museum zeigt alte prähistorische Speere, die bei der Kohleförderung in einem nahegelegenen Tagebau gefunden wurden. Der futuristische architektonisch ansprechende Bau des Museums lässt im Treppenhaus förmlich den Clash der Energiewirtschaftskulturen von früher und heute erleben: im Treppenaufgang sehen Besucher durch ein Großfenster auf der einen Seite auf den Tagebau und das daran anschließende kürzlich stillgelegte Kohlekraftwerk. Auf der gegenüberliegenden Seite blicken sie ebenfalls durch ein Großfenster auf einen nahegelegenen Windpark. Und dazwischen, im Museum, bewundern die Besucher dann steinzeitliche Speere, deren Alter und Fragilität vor dem Hintergrund der im Treppenhaus erlebten jüngeren Energiegeschichte plötzlich besonders intensiv erlebbar werden.
Auch die Völklinger Hütte könnte von diesem Spannungsfeld in einer optischen Sichtachse mit dem Windpark vielleicht ähnlich profitieren.
Doch wie auch immer die Entscheidung der Unesco in Völklingen ausfällt: Die Erneuerbare-Energien-Branche sollte selbstbewusst mitdiskutieren, dass Ihre Anlagen die Landschaften in Deutschland verändern. Und die Landschaftsschützer sollten anerkennen, dass Deutschlands Kulturlandschaft immer schon eine Industrielandschaft war. Dann könnten beide Seiten auch leichter akzeptieren, wenn an der einen oder anderen Stelle Sichtachsen wirklich geschützt bleiben müssen: Etwa Flusstäler oder Waldhöhenzüge mit berühmten alten Burgen drauf. In Regionen mit hohen Windparkkonzentrationen hingegen, das würde diese Debatte auch ergeben können, wächst ein neues Selbstbewusstsein heran: Igendwann könnte die eigene Region ja als einzigartig und auf gekonnte Art und Weise überformte Landschaft selbst Weltkulturerbe werden.
(Tilman Weber)