Tilman Weber
Nun also baut sich die konjunkturelle Welle der Offshore-Windenergie wirklich auf. Gemäß Prognose des internationalen Windenergie-Councils GWEC folgt auf den 2019 gezeigten Rekordzubau neuer Erzeugungskapazitäten von sechs Gigawatt (GW) ein steiler Anstieg der jährlichen Installationen bis 2024 auf 15 GW. Der Anteil der See wird sich dabei auf 20 Prozent verdoppeln. Verbunden ist das Wachstum allerdings mit einem Bedeutungsverlust der bisherigen Großbaustelle Nordsee.
So war 2019 vielleicht eines der letzten Jahre, in denen Großbritannien und Deutschland zusammen den Ausbau dominierten. Ihre 2,9 GW allein bestätigten die Vormacht der Nordsee. China blieb mit 2,4 GW einstweilen nur größter nationaler Meereswindkraftmarkt. Auch das China vorgelagerte Taiwan fiel noch nicht ins Gewicht: Der erste taiwanesische Offshore-Windpark Formosa 1 mit 128 Megawatt (MW) ging bekanntlich 2019 ans Netz. Bis 2025 aber sieht Taipeh die Inbetriebnahme von 5,6 GW Seewindkraft vor. In Deutschland ist derweil die von der Bundesnetzagentur als Zwischenziel zugelassene Kapazität erreicht. Erst 2022 folgen hier Projekte aus den deutschen Offshore-Wind-Ausschreibungen ab 2017. Bis 2025 werden nur neue 3,1 GW fertig.
Zwar dürften bis Mitte des Jahrzehnts das Vereinigte Königreich und die Niederlande mit grob zehn und fünf GW die Baustelle Nordsee und britische Seegebiete gut beleben. Das geht aus den von GWEC verbreiteten nationalen Prognosen sowie aus Ausschreibungsergebnissen hervor. Doch neue große und mittelgroße Märkte lassen künftig auch andere Meeresregionen bedeutsam werden. Lesen Sie hier über fünf Märkte im Kurzporträt, in denen jüngste Entscheidungen aufhorchen lassen.
USA: Nationale Ziele, Ausgangsposition
15 Flächen vor der US-Atlantikküste hat das zuständige Bureau of Ocean Energy Management (BOEM) zur Entwicklung von Offshore-Windparks vermietet. Nach BOEM-Berechnungen bieten sie Raum, um 21 GW zu installieren. Die sich zum Bau von Windparks im Atlantik bekennenden Ostküsten-Bundesstaaten New York, Maryland, New Jersey, Massachusetts, Virginia und Connecticut zielen auf eine Windparkflotte im Atlantik mit einer Kapazität von zusammen 25,4 GW, die mal 2030, mal 2035 am Netz sein soll. Für neun Projekte mit 6,4 GW haben die Projektierer schon bevorzugte Turbinenhersteller und teils das Turbinenmodell benannt. GWEC geht im Jahresreport von Anfang 2020 sogar davon aus, schon bis Ende 2025 knapp 10 GW im Betrieb zu sehen.
Pilotwindparks und Vorzeigeprojekte
Als weit fortgeschritten gilt Vineyard Wind. Das 800-MW-Vorhaben soll 20 Kilometer vor der Küste von Massachusetts entstehen. Investoren sind der spanische Energiekonzern Iberdrola und der dänische Fonds Copenhagen Infrastructure Partners. Bevorzugter Turbinenlieferant ist MHI Vestas. Allerdings ist das zuletzt geplante Netzanschlussdatum 2022 nicht mehr zu halten. 2019 hatte das BOEM eine längere Prüfdauer für die Genehmigung angekündigt. Weil das Projekt wegweisend für künftige Vorhaben sei, müssten die umweltrechtlichen Fragen umso genauer geprüft werden. Nun ist der entscheidende Record of Decisions – eine Anweisung zum Umgang mit Umweltschutzauflagen – für Ende 2020 vorgesehen. „Vineyard Wind arbeitet weiter am Vorankommen des ersten großformatigen kommerziellen Offshore-Windparks in den USA“, äußert sich ein Sprecher auf Nachfrage durch ERNEUERBARE ENERGIEN. „Dutzende Umweltstudien müssen neu erstellt werden.“ Mit Blick auf einen noch anhaltenden Streit mit regionalen Fischern sagte der Sprecher: „Eine Idee ist es, präzise Fischfang-Routen dazwischen zuzulassen.“ Hier dürfte Vineyard Wind den Standard im Nordosten der USA vorgeben. Nun könnte es mit den kleineren Siemens-Gamesa-Windparks Slippjack und Southfork mit 120 und 130 MW zum Kopf-an-Kopf-Rennen um die erste kommerzielle Inbetriebnahme kommen. Projektierer ist hier Windstromriese Ørsted.
Der größte Offshore-Windpark, der bis 2025 erstmals ins US-Netz einspeist, könnte das 2,6-GW-Baufeld Coastal Virginia Offshore Wind werden. Nachdem zunächst je eine 880-MW-Bauphase pro Jahr von 2024 bis 2026 vorgesehen war, erwägen die Macher den Bau nun „in einem Rutsch, um Skalierungseffekte zu erzielen“, wie Tim Fischer betont. Er ist Manager des mit der Entwicklung beauftragten dänischen Planungsunternehmens Ramboll. Ebenso sei zu klären, sagt Fischer, ob alle Turbinen 2026 oder die Anlagen schrittweise ab 2025 in Betrieb gehen. Bevorzugter Lieferant ist Siemens Gamesa, der wie Ende Mai vermeldet eine neue 14-MW-Turbine mit 122-Meter-Rotor liefern soll. Das Gesamtinvestitionsvolumen beträgt mehr als acht Milliarden Dollar. Weil der staatliche regulierte Energieversorger Dominion Energy der Investor ist, sieht Fischer bei der Genehmigung einen Vorteil. Alle Unterlagen will Ramboll noch 2020 einreichen, um 2022 die Baugenehmigung zu erhalten.
Vergütung
Für Vineyard Wind hatte sich laut einer Studie aus dem Energieministerium vom Februar 2019 eine effektive Anfangsvergütung von 9,8 US-Cent pro Kilowattstunde (kWh) abgezeichnet. Doch die Verzögerungen des Projektes rütteln an dem Betrag. Dieser setzt sich zusammen aus dem Preis, den Vineyard Wind bereits in einem langfristigen Stromliefervertrag mit regionalen Energieversorgern vereinbarte, und dem ITC genannten staatlichen Förderinstrument. Der ITC ist ein Steuernachlass, der einen Teil der Investitionen absetzbar macht. Er sinkt nun mit jedem späteren Inbetriebnahmejahr, um Kostensenkungen der Branche nachzuzeichnen.
Japan: Nationale Ziele, Ausgangsposition
Ein nationales Ziel zur Offshore-Windenergie gibt es in dem asiatischen Inselstaat trotz einer langen Offshore-Windkraftgeschichte nicht. Im vorigen Jahrzehnt hatten mehrere japanische Unternehmen Pilotanlagen errichtet. Der Windkraftverband JWPA schlug der Regierung in Tokio eine Erzeugungskapazität von zehn GW bis 2030 vor. Mit mehreren Novellen hatte diese 2019 die gesetzliche Grundlage für einen Startschuss geschaffen. Investoren haben 14,8 GW für die umweltrechtlichen Genehmigungsverfahren angemeldet, für rund drei GW sind diese gestartet oder beendet. Eine erste Ausschreibung soll noch 2020 starten. Für bis zu zwei GW reichen die ersten drei bis vier Projekte, die dank guten Entwicklungsstandes in der ersten Hälfte des Jahrzehnts den Netzanschluss erreichen können. Das Energieministerium hat ihre Offshore-Nutzungszonen als besonders aussichtsreich definiert und will dort mit Tender eins die Entwicklung anstoßen.
Pilotwindparks und Vorzeigeprojekte
Startprojekt ist der Windpark Akita Noshiro nördlich der japanischen Hauptinsel. In den zwei Baufeldern des 140-MW-Projektes ist schon das Kabelverlegeschiff aktiv. Investoren- und Betreibergesellschaft ist ein Konsortium japanischer Unternehmen um Handelskonzern Marubeni, deren eingesetztes Kapital die Nachrichtenagentur Reuters Anfang 2020 auf umgerechnet gut 800 Millionen Euro schätzte. 2022 sollen die im April bei MHI Vestas bestellten Turbinen ans Netz: 33 Anlagen vom Typ V117-4.2 MW.
Vergütung
Die Offshore- Vergütung ergibt sich grundsätzlich aus langfristigen Stromlieferverträgen (PPA) und Ausschreibungen. Allerdings hatte sich das Marubeni-geführte Konsortium des Akita-Noshiro-Windparks entschieden, den Starterwindpark ganz ohne Ausschreibung und damit ohne zusätzliche Vergütung schneller voranzubringen. Es will sich ganz auf die in einem 20-jährigen PPA-Vertrag mit dem Energieversorger Tohoku Electric Power vereinbarte Vergütung stützen. Wer hingegen an den Ausschreibungen teilnimmt, steht im Wettbewerb über den geforderten Vergütungspreis, durch den Grad einer möglichst umfangreichen Beteiligung der regionalen Wirtschaft sowie durch eine Koordination mit lokalen Mitinvestoren.
Frankreich: Nationale Ziele, Ausgangsposition
Das neue mehrjährige Energieprogramm PPE sieht für 2023 eine betriebsbereite Windkraft im Meer von 2,4 GW vor. Bis 2028 soll die Einspeisung aus mindestens 5,2 bis zu 6,2 GW erreicht sein. Bisher hatte Paris 2012, 2014 und 2019 sieben Zuschläge erteilt. Daraus folgend werden die ersten sechs Windparks mit 2,9 GW Gesamtkapazität bis 2023 im Atlantik ans Netz gehen. Für Nordseewindpark Dunkerque mit 600 MW ist der Netzanschluss 2026 vorgesehen. Langjährige Gerichtsverfahren, Auseinandersetzungen mit Fischern, Naturschützern und Anwohnern und komplexe Prüfverfahren hatten die Projekte um Jahre verzögert. Nun will Paris den Ausbau verstetigen. So sollen weitere Vergütungstitel für bis zu zehn GW an Investoren gelangen. 2021 und 2022 werden zwischenzeitlich zwar nur drei kleinere 250-MW-Auktionen stattfinden – reserviert für schwimmende Windparks in Mittelmeer und Atlantik. Doch 2020 und von 2023 bis 2030 wird Paris jährlich je ein Ein-GW-Tender ausloben.
Pilotwindparks und Vorzeigeprojekte
Irgendwann 2022 kann von zwölf Kilometern vor der Küste aus dem 480-MW-Windpark Saint Nazaire der erste französische Offshore-Windstrom fließen. Die Turbinenfertigung durch den Hersteller GE beginnt nun. Im Sommer rollten die ersten fertigen Maschinenhäuser vom Typ Haliade mit sechs MW Nennleistung aus der Fertigungshalle im Hafen von Saint Nazaire, kündigt ein Sprecher von EDF Renouvelables an. Die Produktion der Offshore-Umspannstation begann Anfang 2020. Rund zwei Milliarden Euro investiert das Konsortium des französischen Energiekonzerns EDF mit zwei kanadischen Großinvestoren. Durch Testfischereifahrten im Baugebiet sei ein Einvernehmen mit der Fischereibranche zustande gekommen. Trotz der zuletzt erlassenen Bewegungseinschränkungen zum Schutz vor der aktuellen Corona-Viruspandemie rechnet EDF mit der Inbetriebnahme spätestens zu Ende 2022.
Vergütung
Die ersten zwei Auktionsrunden hatten Vergütungen von rund 20 Cent pro kWh eingebracht. Das Ausschreibungsverfahren sah vor, dass die Projektierer mit dem Netzbetreiber einen langfristigen 20-jährigen Stromliefervertrag aushandelten. Dieser PPA sah einen fixierten kWh-Preis vor, der aber je nach erreichter Erzeugungsauslastung des Windparks variierte und die von den Projektierern zu bezahlenden Netzanschlüsse beglich. 2018 korrigierte Paris nach Nachverhandlungen die nun branchenunüblichen Preise auf 13,1 bis 15,5 Cent pro kWh. Der Tender 2019 erfolgte über einen neuartigen „wettbewerblichen Dialog“, bei dem die Projektierer während des Bieterprozesses mit Ämtern, Kommunen und örtlichen Firmen die Projektbedingungen weiter klären und Gebote nachbessern. Der Windpark Dunkerque erreichte den Zuschlag bei 4,4 Cent pro kWh – nach dem sogenannten CFD-Modell: Hier bezahlt der Netzbetreiber die Differenz zwischen vereinbartem Preisniveau und dem niedrigeren Preis, den der Windparkbetreiber für seinen Strom im Großhandel erhielt. Steigt der Handelspreis über CFD-Niveau, steckt der Netzbetreiber den Überschuss ein.
Polen: Nationale Ziele, Ausgangsposition
Bislang stehen Ausbauziele nur im Entwurf des ersten polnischen Offshore-Windkraft-Gesetzes. Darin sieht Warschau vor, bis 2027 für 9,6 GW die Vergütungszuschläge erteilt zu haben. Die erste Auktion gilt einem Anschubvolumen von 4,6 GW, das bis 2022 ausgeschrieben sein soll. 2025 und 2027 sollen zwei Tender für jeweils 2,5 GW Ostsee-Windkraft folgen. Für die Verabschiedung werde die Novelle noch im Sommer ins Parlament gelangen, sagt der Chef des Offshore-Windenergieverbandes, Mariusz Witonski zu ERNEUERBARE ENERGIEN, der ein Inkrafttreten spätestens für September erwartet.
Pilotwindparks und Vorzeigeprojekte
Die am weitesten fortgeschrittenen Offshore-Windenergie-Projekte der polnischen Ostsee sind Baltyk II und III sowie Baltica 3. Die hier investierenden Projektierer sind der größte privatwirtschaftliche Energieversorger des Landes, Polenergia, in Zusammenarbeit mit dem norwegischen Ölkonzern Equinor für die beiden Baltyk-Windparks sowie für Baltica 3 die teilstaatliche PGE Gruppe, die Polens führender Energiekonzern ist. PGE kooperiert mit dem polnischen Treibstoffunternehmen.
Dieser Artikel ist eine Kostprobe aus unserem Print-Magazin. Hier erhalten Sie ein kostenloses Probeheft unserer nächsten Ausgabe.
Wollen Sie neue Erkenntnisse zum Offshore-Windkraftmarkt im Blick behalten? Dann abonnieren Sie doch unseren kostenlosen Newsletter! Hier können Sie sich anmelden.