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Gute Zeiten, schlechte Zeiten

Tilman Weber

Wind Europes Marktanalysten bleibt offenbar nur noch tiefes Seufzen: „Es ist schwer, die niedriger als erwarteten Windturbinen-Errichtungen punktgenau auf einen Faktor zurückzuführen“, lässt die Organisation ihren Politik-Analysten Pierre Tardieu ERNEUERBARE ENERGIEN antworten. 12,9 Gigawatt (GW), knapp 20 Prozent weniger neue Windkraft hatten die Windenergieunternehmen in den Ländern der Europäischen Union (EU) fertiggestellt als von Wind Europe mit 16 GW prognostiziert. Dabei hätte das ohnehin nur eine Stagnation bedeutet. Über den gesamten Kontinent hinweg verfehlten sie mit 16,4 GW die Erwartungen sogar um klar mehr als 20 Prozent. Die Prognose sah hier ein um 2,6 auf 20,9 GW wenig verstärktes Ausbaugeschehen vor.

So kam zwar immer noch klar mehr neue betriebsbereite Nennleistung an die europäischen Stromnetze als in allen Jahren des vorigen Jahrzehnts. Allerdings war 2024 das Jahr mit der geringsten Installationsaktivität Europas seit 2021 und im EU-Gebiet das schlechteste Marktjahr seit 2022, wobei der starke Wirtschaftsraum hier auch nur knapp besser als 2021 abschnitt.

Letztlich lässt sich Wind-Europe-Mann Tardieu zufolge ein fehlender Zugriff auf Stromnetz-
anschlüsse als aktuell besonders große Hürde ausmachen. Der inzwischen Jahr für Jahr vergeblich erwartete Aufschwung bei den Anlagenerrichtungen bleibe auch deshalb aus, weil es auf Netzanschlussanträge oft keine Antworten gäbe und dies riesige Kapazitäten lahmlege. Das blockierte Volumen könnte die Europas errichtete Windkraft fast verdreifachen: „Zugang zum elektrischen Netz zu bekommen, ist nun Engpass Nummer eins, wenn es ums Aufstellen von Windparks geht“, sagt Tardieu. Für „mehr als 500 Gigawatt“ warteten die Projektierer auf eine Annahme ihrer Netzanschlussanträge. In Betrieb waren Ende 2024 Windparks mit 285 GW, davon knapp 37 GW offshore – im Meer.

113 Gigawatt (GW)Windkraftzubau weltweit bilanziert die Internationale Erneuerbare-Energien-Agentur Irena für 2024 – nach 116 GW im Jahr zuvor. China, Indien, Australien und Türkei legten um 0,6 bis 4 GW im Zubau zu, Europäische Union und USA verloren im Vergleich zum Vorjahr beide 2 GW.

Langsame Elektrifizierung dämpft Bedarf

Außer an zu zähen Netzanschlussprozessen lasse Europa die Branche am unzureichenden Netzausbau leiden, attestiert Wind Europe. Außerdem bremse die zu langsame Elektrifizierung der Energieversorgung den erhofften Nachfrageschub für Windstrom aus. So stagniere das Tempo beim Wechsel der Energieversorgung hin zum grünen Strom im Verkehr, in der Industrieproduktion und beim Heizen – weg von fossilen Treibstoffen und den Kohlendioxid (CO2) verursachenden Treibhausgasemissionen. Gemäß EU-Klimaschutzziel müsste der Stromnutzungsanteil von heute 23 Prozent bis 2050 auf 61 Prozent der Gesamtenergieversorgung ansteigen. Auch dass zu wenige EU-Länder wie das hier vorbildliche Deutschland die Genehmigungen für Windparks durch von der EU empfohlene Regelungen verkürzten, etwa durch Höchstbearbeitungsdauern, nimmt Tardieu in seinen Befund: Die Genehmigungssituation insgesamt habe sich 2024 verschlechtert.

Im Einzelnen prägten jedoch auch ungünstige wirtschaftliche Rahmenbedingungen die nationalen Situationen – auf unterschiedliche Weise. Wind Europe zählt Inflation, hohe Rohstoffpreise oder Lieferkettenengpässe auf, in Deutschland zum Beispiel bei Netzanschlusstechnik – wohl auch als Folge anhaltend angespannter internationaler Handelsbeziehungen und geopolitischer Konflikte. So hatte ausgerechnet Europas Führungsmarkt trotz zeitgleicher Rekordgenehmigungen für neue Projekte mit 15 GW beim Zubau an Land unerwarteterweise den Rückwärtsgang eingelegt. Statt prognostizierten bis zu 4 GW betrug er bekanntlich nur 3,3 GW, 200 Megawatt (MW) weniger als im Vorjahr.

Minus durch Schweden, Niederlande, Polen

Ansonsten schlugen statistisch insbesondere Schweden, Niederlande und Polen negativ zu Buche. Schwedens Markt halbierte sich. 2023 hatten die Windenergieunternehmen dort knapp 2 GW neu fertig gestellt. Nun waren es 1.015 MW. Die im Oktober 2022 einem sozialdemokratischen Minderheitskabinett nachgefolgte christdemokratisch-konservative und wirtschaftsliberale Dreierkoalition beruht auf einer Tolerierung durch die stramm rechten Schwedendemokraten. Die „Windkraft gegenüber weniger wohlwollende“ neue Regierung in Stockholm könnte im zweiten Jahr im Amt bereits die Bilanz der Windkraft negativ beeinflusst haben – im Zusammenspiel mit von starken Vetorechten mehr Gebrauch machenden Kommunen, deutet Tardieu an. Das schwedische Vergütungssystem ist zudem anders als viele nationalen Vergütungssysteme in Europa fast nur von Strommarktpreisen abhängig und setzt ansonsten auf den Handel grüner Stromverbrauchszertifikate. Es reagiert somit empfindlich auf die Stromnachfrage. Diese litt aber 2024 unter schwachem Wirtschaftswachstum.

Mehr mussten die Niederlande zurückstecken. Nach 2,4 GW 2023 verzeichnete sie nun 161 MW Neubau. Das 2,2-GW-Minus ist einem statistischen Total-Ausfall geschuldet: Das bei Meereswindkraft sehr ambitionierte Nordseeland konnte 2024 keinen Windpark auf See fertig stellen. 2023 waren es zwei Offshore-Parks mit 1,9 GW. In dem westlichen Nachbarland werden – nach einem weiteren Nullausbaujahr auf See 2025 – erst 2027 wieder höhere dreistellige MW-Offshore-Nennleistungen ans Netz gehen und erst 2028 erneut 1,9 GW. Dabei wird sich die bis 2030 vorgesehene Offshore-Kapazität von 21 GW erst 2032 erreichen lassen.

Polen fiel um 352 MW zurück – der Zubau betrug noch 805 MW. Das Land setzt künftig hauptsächlich auf Offshore-Windkraft, deren Zubau nach erfolgten ersten Ausschreibungen 2025 beginnen wird. Ausschreibungen für Erneuerbaren-Projekte an Land hatten im vergangenen Jahr nur noch zu wenigen Windpark-Projektzuschlägen geführt. Windparkprojektierende setzen dort zuweilen lieber auf Stromlieferverträge mit großen Stromkunden, auf sogenannte PPA. Polens hoher Kohlestromanteil hat eher höhere, für PPA rentable Elektrizitätspreise zur Folge, so wertet es Wind Europe aus.

Während Schweden und Polen so bei den Windturbineninstallationen noch Rang sieben und acht der Windenergiemärkte des Kontinents belegten, rückten Großbritannien und Frankreich auf Rang zwei und drei vor. Dies verdanken beide Länder hohen Offshore-Zubauanteilen von 1,2 GW und 658 MW. Auch Deutschland stabilisierte mit 730 MW von Wind Europe verzeichnetem Offshore-Zubau noch den 2023-er Gesamtzubau von on- und offshore 3,9 GW auf nun 4,0 GW. Frankreich stagnierte als Nummer Drei bei 1,7 GW. Das Vereinigte Königreich verdiente sich als nicht EU-Land die Vizemeisterschaft durch ein leichtes statistisches Plus. Im Vergleich zum Vorjahr verbuchte United Kingdom (UK) 0,5 GW mehr. Doch mit 1,9 GW Gesamtzubau verfehlte UK die Wind-Europe-Erwartungen um fast die Hälfte. Insbesondere verspäteten sich Netzanschlüsse auf See. Ein Phänomen, das auch Deutschland betraf, wo alle Anlagen des 913-MW-Projekts Borkum Riffgrund 3 in der Nordsee fertig wurden, Netzkonzern Tennet den Anschluss aber erst Ende 2025 schaffen wird. Die Windpark-Inbetriebnahme verschiebt sich so sogar auf Anfang 2026.

500 Gigawatt etwa ist das Volumen an verhinderten Windparkkapazitäten, weil Projektierungsunternehmen noch auf Netzanschlüsse warten müssen. So ist es bei Wind Europe zu erfahren.

Finnland: Warten auf Wasserstoffmarkt

Finnland, Türkei und Spanien komplettieren mit 1,4, 1,3 und 1,2 GW noch vor Schweden den Club der sieben Länder mit Gigawattzubau. Dabei blieben auch im östlichsten skandinavischen Land die Turbinenerrichtungen ohne weiteren Auftrieb fast auf dem 1,3-GW-Vorjahresniveau. Finnische Energiepolitik verzichtet auf staatlich festgelegte Vergütungstarife oberhalb der Marktpreise. Vielmehr setzen Windparkinvestoren hier auf viel Interesse an PPA für Stromlieferungen durch die besonders stetig vom Wind angetriebenen finnischen Turbinen. Doch zwei Faktoren dämpfen den PPA-Appetit: So entwickelt sich der europäische Wasserstoffmarkt langsamer als erwartet und eine aktuelle Wirtschaftsrezession des Landes sowie die seit zwei Jahren EU-weite ökonomische Schwäche lassen Industrieunternehmen zurückhaltend agieren. Unklare und uneinheitliche politische Konzepte zur künftigen Versorgung der Industrie mit dem emissionsfreien Energieträger Wasserstoff (H2) als Prozessstoff etwa zur Stahlherstellung bremsen die Nachfrage. Vielleicht bald für Exporte ins übrige EU-Gebiet erzeugtes H2 soll energieintensive Industrien klimaneutral werden lassen und muss dann aus Elektrolyse mit Wind- und Sonnenstrom kommen. Dennoch könnten die geopolitischen Spannungen zwischen EU und Russland aufgrund Finnlands Lage an der russischen Grenze die Nachfrage nach PPA dort auch gestützt haben, sagt Tardieu, weil die Unternehmen von Brennstoffimporten unabhängig werden wollten.

Die Türkei als Nicht-EU-Land schloss erwartungsgemäß mit 1,3 GW um gewichtige 0,9 GW klar verbessert ab. Und als einziger EU-Gigawatt-Markt steuerte Spanien ebenso ein klares Plus bei, das 400 MW mehr errichtete als die 800 MW von 2023.

Als einzige weitere europäische Länder noch über der 500-MW-Marke vervollständigen Italien und Litauen das Ranking der ersten zehn europäischen Windkraftmärkte. Für Italien prognostiziert Wind Europe einen stetig zunehmenden Kapazitätszubau bis jeweils 1,8 GW 2029 und 2030. Seit 2021 lassen neue Ausschreibungen die Errichtungszahlen der Südeuropäer ansteigen, um 2030 ausgehend von nun 13 GW das Ausbauziel 28 GW zu erreichen.

Ausgerechnet aber die stark geregelte Offshore-Windkraft droht auf dem Kontinent ihre Berechenbarkeit zu verspielen. Abgesehen von zuletzt an unattraktiven Bieterregeln und fehlendem Investoreninteresse mancherorts gescheiterten Ausschreibungen neuer Projektflächen bleiben mehrere potenzielle Meereswindenergie-Staaten die Fahrpläne der Tender schuldig. Zudem dürften ab 2029 die fehlenden staatlichen Investitionen in mehr Hafenumschlagflächen sich rächen und Projekte verzögern, schreibt Wind Europe.

So setzt der Verband auch die Prognosen zurück. Anfang 2024 war er noch von einem Aufschwung beim Zubau im EU-Gebiet auf 2025 mehr als 20 GW on- und offshore ausgegangen. Jetzt sollen es nur 17,5 GW werden, um 2026 der 20-GW-Jahreszubauschwelle nahe zu kommen. Bis 2030 werde der Windparkbestand auf 351 GW zunehmen, weit entfernt vom 425-GW-Ziel der EU.

16,4 Gigawatt (GW) neue Windstromkapazität in Europa, davon 12,9 GW in der Europäischen Union (EU), kamen 2024 dazu. Das waren europaweit 1,9 GW und EU-weit 2,3 GW weniger als 2023, bilanziert Wind Europe den Jahreszubau.

USA: Rekord-Projektpipeline

Weltweit stagnierte der Windkraftzubau ebenfalls mit 113 GW nach 116 GW ein Jahr zuvor. Das vermeldete Ende März die Welt-Erneuerbarenagentur Irena. Eher zufällig ähnelt dieser globale Rückgang von 3 GW dem unseres Staatenbundes. Denn die Trends anderswo schlucken den EU-Effekt. So übertraf Windkraftführungsnation China ihren Rekord aus dem Vorjahr mit fünf Prozent mehr Zubauvolumen von nun knapp 80 GW. Dem chinesischen Plus von 4 GW steht der dritte rückläufige US-Windmarkt in Folge entgegen mit nochmals um 2 GW geringerem Zubau von 3.926 MW an Land und 132 MW auf See. Branchenverband American Clean Power Association (ACP) beklagt bereits ein Zehn-Jahres-Tief, auf 2025 verschobene Projekte hätten das Bilanzjahr geschmälert. Projektierer hätten sich „in langen Warteschlagen“ für den Netzanschluss anstellen müssen. Zudem habe die 2023 und noch 2024 anfangs ausgebliebene Neuregelung der Steuererleichterungen für Windparkinvestitionen negativ gewirkt, gab ACP preis. Ausgerechnet das 2022 eingeführte Gesetz zur Erneuerbare-Energien-Industrieförderung „Inflation Reduction Act“ stand dieser Neuregelung zunächst entgegen. Doch ACP verweist nun auch auf eine Rekord-Pipeline schon weit fortgeschrittener Projekte für mehr als 25 GW. Für 16 GW haben die Errichtungen begonnen.

Zugang zum elektrischen Netz zu bekommen ist nun Engpass Nummer eins.

Pierre Tardieu, Chief Policy Officer, Wind Europe

Brasilien bestätigte gemäß Irena mit 3,8 GW Zubau die Bedeutung eines Vier-GW-Marktes, nach 4,8 GW 2023. Die Politik hatte den Ausbau bewusst verlangsamt. Indien kam mit 3,4 GW nach einem 600-MW-Plus wieder dem zehn Jahre zuvor schon erreichten Niveau von knapp 4 GW näher. Experten des Finanzdienstes Crisil Ratings erwarten im frischen indischen Finanzjahr von April 2025 bis März 2026 die Verdopplung des Marktes auf 7,1 GW neu installierte Windkraft. Das sei auch wieder stabileren Rohstoffpreisen zu verdanken. Derweil legte der australische Windkraftmarkt um 1,4 auf 2,4 GW zu. 

Pueblo, November 2023: Der damalige US-Präsident Joe Biden spricht über Jobs und Investments in CO2-arme Energieerzeugung unter dem neuen Inflation Reduction Act.

Foto: The White House

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Indische Teilnehmerin der Windkraftmesse Wind Energy in Hamburg 2024 – ihr Land belegt Platz 5 im Ranking.

Foto: GWEC

Indische Teilnehmerin der Windkraftmesse Wind Energy in Hamburg 2024 – ihr Land belegt Platz 5 im Ranking.
Großbritanniens Minister für Energiesicherheit und Netto Null, Ed Miliband, geht auf Rotorblattfertiger von Siemens Gamesa in Hull zu.

Foto: UK Government - flickr.com (CC BY 2.0)

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Topmärkte

China 79,85 GW

USA 4,06 GW (ACP)

Deutschland 4,02 GW (WE)

Brasilien 3,84 GW

Indien 3,43 GW

Australien 2,38 GW

Windmärkte ab 2 Gigawatt (GW) Windkraftzubau 2024 gemäß American Clean Power Association (ACP), Wind Europe (WE) und Irena. Irena nennt Nettozahlen nach Abzug der Kapazitäten abgebauter Altwindturbinen. Allerdings zählte ACP bis Redaktionsschluss für die USA ein GW weniger als Irena.