Der nordrhein-westfälische Getriebebauer Flender hat am Tag der Eröffnungsfeier zum Firmenjubiläum am Freitag an seinem Teilefertigungsstandort Bocholt auf die eigene Neuentwicklung eines elektronischen Sensors zur Überwachung von Drehmoment und Lasten im Getriebe aufmerksam gemacht, der sich mit so genannter künstlicher Intelligenz (KI) betreiben lässt. In Flenders Getrieben für industrielle Anwendungen außerhalb der Windenergie soll sie Kosten sparen, aber auch besser als vorher weitere Überdimensionierungen in den Getriebedimensionen aufspüren helfen. Aus dem Vergleich zu einem parallel mit Echtzeit-Betriebsdaten gefütterten, simulierten digitalen Zwilling kann die KI die Abweichungen im Betrieb des echten Getriebes vom idealen Getriebebetriebs – verkörpert vom digitalen Zwilling – exakt ablesen. Auch in Windenergiegetrieben lassen sich mit Sensorik und KI sowohl der Instandhaltungsservice als auch der Betrieb zielgenauer auf den Zustand der Komponente abstimmen. Durch die Kombination von sogenannten Scada-Daten aus dem Anlagenbetrieb und Monitoringdaten lassen sich digitale Zwillinge des gesamten Antriebsstrangs erstellen und mit KI analysieren. Zudem verwies Flender auf die eigene bleibende Marktpräsenz bei Windenergie mit weiterhin einer Herkunft von weltweit jedem dritten Windturbinengetriebe aus einer Flenderfertigung.
Die Windenergieantriebe, die bei Flender heute 55 Prozent des Umsatzes ausmachen im Vergleich zum weiteren Flendergeschäft mit zum Beispiel Industriegetrieben oder Getrieben für den Einsatz in Minen – lassen den Zweiklang von Innovation und klassischer traditioneller industrieller Fertigung gut nachempfinden. So gelingt es Flender – wie auch zwei weiteren noch im Windenergiemarkt verbliebenen internationalen Getriebeschmieden – die Getriebe bei immer größerer Nennleistung der Windturbinen nicht breiter, länger oder höher werden zu lassen. Das Geheimnis ist eine stetig zunehmende Leistungsdichte – erreicht durch Designs von immer mehr Planetenzahnrädern in den ersten beiden Getriebestufen, um die Lasten über die um das Sonnenrad in ihrer Mitte abrollenden Antriebsräder besser zu verteilen. Gleitlager ersetzen zudem Kugellager, was Bauraum durch Wegfall der Rollen spart. Flender stellt das allergrößte Volumen an Bauteilen in Bocholt und auch einem entsprechenden Werk in China selbst her, Stirnräder zum Abtrieb der Rotation in den stromerzeugenden Generator, die außenverzahnten Planeten- und Sonnenantriebsräder sowie Hohlradzahnräder mit Innenverzahnung zum Abrollen der Planeten. Mit 1.500 Tonnen monatlicher Ausstoßkapazität ist die eigene Härterei in Bocholt für die Abschlussbehandlung der Zahnräder die nach eigenen Angaben größte Schachtofenanlage.
Zugleich will Flender mit dem Stand der Entwicklung technologisch immer mithalten – wenn nicht gemäß Aussage des Unternehmensmanagements ihr vorangehen. Einen Nachhaltigkeitspreis erhielt das Unternehmen 2023 für glaubwürdige Vorbereitungen dafür, 2030 in der Produktion die Klimaneutralität zu erreichen. Als Mittel für eine dafür CO2-neutrale Produktion haben Getriebebauer eine Elektrifizierung ihrer Anlagen, aber auch die Nutzung beispielsweise von Grünstrom zur Verfügung.
Weil die stetig modernisierten und leistungsverdichteten Getriebe immer weniger arbeitsintensive Herstellungsprozesse verursachen und weil Aufträge zuletzt aufgrund stockender Konjunktur weltweit im Windparkausbau nicht stetig eingingen, reduziert Flender an den Standorten in Nordrhein-Westfalen die Mitarbeiterzahl in den nächsten drei Jahren um bis zu 500 Stellen. Zugleich erklärte das Management zuletzt, dass die Aufträge aus vielen Ländern nun wieder anziehen – und in wohl schon ein bis eher zwei Jahren zu einem Umschwung mit deutlich mehr Getriebeauslieferungen führen dürften. Ohnehin erwartet die gesamte Branche in Europa und den USA einen massiven Aufschwung des Ausbaus von Offshore-Meereswindparks zum Ende des Jahrzehnts.
In 33 Ländern weltweit ist Flender mit Fertigungswerken oder mit Servicestandorten und Repräsentanzen vertreten. Die Getriebemontagen finden im benachbarten Voerde, in Indien und China vor allem statt, in Serbien montiert Flender eigene Generatoren und Generatorsegmente für getriebelose Windturbinen.
Auf der Bühne erinnerte der zur Feier gekommene Ministerpräsident des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst, daran, wie wichtig für Industrieunternehmen wie Flender auf „10, 15 oder 20 Jahre“ ausgerichtete Windkraft-Ausbauentwicklungen sind. Die Energiepolitik mehrerer Bundesregierungen habe dafür viele Jahre lang aber nicht gesorgt. Nur solche langfristigen politisch unterstützten Entwicklungen ließen Industrieunternehmen jedoch genügend Spielraum für ihre notwendigen großen Investitionen. Wüst forderte die Politik müsse der Industrie mehr Vertrauen in den Aufbau von benötigten Erzeugungskapazitäten anstelle von bürokratischen Vorgaben entgegenbringen. Außerdem müsse sie mehr Freiraum für Innovation schaffen.