Tatsächlich hatte Gamesa zwei Wochen vor der Trennung bei den Spaniern einen Verlust im ersten Geschäftsquartal des Jahres 2012 einräumen müssen. Es war das erste Minus in der zweieinhalbjährigen Amtszeit Calvets. Wie auch die Branche insgesamt leidet das Unternehmen unter sinkenden Gewinnmargen bei kaum rückläufigen Kosten. Die Konkurrenz chinesischer Turbinenbauer, die enorme Produktionsüberkapazitäten aufgebaut haben, sowie zwei Jahre in Folge mit einem bestenfalls langsam gewachsenen Weltmarkt haben die Preise verfallen lassen. 2011 hatte Gamesa zwar zehn Prozent mehr Windenergieanlagenleistung weltweit installiert als im Vorjahr. Doch die Gewinnmarge war von einem ohnehin vergleichsweise niedrigen Niveau weiter gesunken.
In einer Erklärung zu der Personalentscheidung gab das Unternehmen am 23. Mai unter anderem an, Gamesa beantworte aktuelle Herausforderungen des Weltmarkts mit einer soliden globalen Wachstumsstrategie. Sie werde das Unternehmen in die Lage versetzen, aus einem Wachstum speziell in neu aufstrebenden Märkten Gewinn zu erzielen und Risiko zu streuen. Fakt ist, dass Gamesa im ersten Quartal im Vergleich zum Vorjahreszeitraum einen Zwölf-Prozent-Rückgang der direkt aus der Turbinenproduktion verkauften Leistung um 70 Megawatt verzeichnete. In den wichtigen Märkten Europa, Indien und China waren die Verkäufe im Vergleich zum Vorjahresquartal um knapp 30 Prozent bis mehr als die Hälfte gefallen. Boden machte das Unternehmen nur mit großen Verkäufen in den Vereinigten Staaten und in Lateinamerika gut. Allerdings erwartet die Branche gerade in den USA ab 2013 deutliche Rückgänge aufgrund eines erwarteten Endes der steuerlichen Förderung neuer Windparks. Dass der Umsatz im ersten Quartal dennoch um ein Drittel gewachsen war, verdankt Gamesa der Windparkentwicklung. Die Spanier verkauften hier Windparks mit einer Leistung von zusammen fast 400 Megawatt.
Martin muss profitablere Organisation anpeilen
Der „Schlüssel“ der Entscheidung für Martín liege im weiteren Ausbau einer mehr industriellen Fertigung, in einer profitableren Organisation sowie darin, „die Aktivitäten Gamesas zu fokussieren“, hieß es nun aus dem Hauptquartier auf Anfrage von ERNEUERBARE ENERGIEN.
Inwiefern diese Aussage die jüngste Ausweitung des Produktportfolios um immer neue Anlagen mit verschiedenen Rotorgrößen betrifft, präzisierte Gamesa nicht. Unverzüglich in Medienberichten auftauchende Gerüchte, die Verabschiedung Calvets könne mit dem Wunsch des ebenfalls spanischen Anteilseigners Iberdrola nach mehr Einfluss zu tun haben, bestätigten von ERNEUERBARE ENERGIEN befragte Branchenmarktexperten nicht. Er sei selbst überrascht, sagt etwa der Spanienbeobachter eines Marktanalyseunternehmens. Trotz allem habe Gamesa im Vergleich zu anderen Turbinenbauern sehr ordentlich gewirtschaftet. Verluste im eingebrochenen spanischen Heimatmarkt habe der Hersteller mit der Expansion in internationale Märkte kompensiert. Mehr Automatisierung und Industrialisierung der Gamesa-Fertigung sei auch mit Calvet machbar gewesen.
Herkunft des neuen CEO aus Automobilbranche wichtig?
Der 54-jährige Calvet war seit Oktober 2009 Vorstandsvorsitzender, nachdem er der Gamesa-Führungscrew 2005 beigetreten war. Sein Nachfolger war zuletzt neun Jahre lang Chef des Autokomponentenzulieferers CIE Automotive. Die Automobilindustrie gilt mit ihren Massenfertigungen oft als Vorbild der zukünftigen Windbranche. Gegen einen Zusammenhang allerdings der Herkunft Martins mit der Calvet-Verabschiedung wendet sich der von ERNEUERBARE ENERGIEN befragte Spanienmarktexperte: „Wenn sich ein Unternehmen mit der Erfahrung der Automobilbranche rüsten wollte, täte es besser daran, mit einem Automobilindustrieunternehmen zusammenzugehen.“ Allerdings sei womöglich ein Interesse Iberdrolas, sich Zugang zum Entwicklungs-Portfolio der Spanier zu verschaffen. Bisher machte der spanische Turbinenhersteller einen Großteil der jährlichen Windparkinstallationen für den Energiekonzern. 2011 hatten beide Unternehmen die Kooperation für Europa beendet.
(Tilman Weber)