Die Umstellung auf das Ausschreibungssystem ändert nicht nur die ökonomischen Voraussetzungen für Windenergie. Sie hat auch Auswirkungen auf die Akzeptanz, die Bürgerbeteiligung und das Engagement vor Ort. Bisher stand mit der BImSchG-Genehmigung fest, dass ein Projekt auch umgesetzt werden kann. Die Investoren hatten damit die für sie höchste Hürde genommen, die formelle Öffentlichkeitsarbeit war abgeschlossen.
Weniger Mitgestaltungswille
Aber: Anwohner und Bürger nehmen ein Projekt ganz anders wahr als Planer. Sie reagieren oft erst, wenn sie mit den praktisch finalen Planungen konfrontiert werden. Ein Beispiel: Beim berüchtigten Bahn-Projekt Stuttgart 21 wurden die Umbau-Pläne der Experten seit mehr als einem Jahrzehnt diskutiert und öffentlich vorgestellt - etwa in Pressekonferenzen. Das große öffentliche Entsetzen brandete erst auf, als die sprichwörtlichen Bagger schon rollten. Die Arbeit der Planer war längst getan, da fing die Auseinandersetzung der Öffentlichkeit mit dem Projekt erst richtig an.
Bei der Planung von Windparks wussten die Anwohner bis 2016: Wenn hier ein Genehmigungsverfahren startet, dann wird der Windpark bei einem positiven Bescheid fast sicher gebaut. Dementsprechend hoch war der Wille, sich schon in der Planung für oder gegen einen Windpark zu engagieren. Ist die Realisierung jedoch auch nach erfolgreicher Genehmigung nicht sicher, weil die Ausschreibung noch aussteht, sinken Aufmerksamkeit und Wille zur Mitgestaltung seitens der Bürger. Warum sollte ich mich für oder gegen ein Projekt engagieren, das vielleicht ohnehin keinen Zuschlag bekommt?
Hinzu kommt der gestiegene Druck auf die Gewinnmargen der Projektierer. Sie sind versucht, an der Bürgerbeteiligung zu sparen. Ist die Ausschreibung einmal gewonnen, besteht rechtlich keine Verpflichtung zur Beteiligung mehr; theoretisch könnten die Bauherren die überrumpelten Anwohner nun einfach ignorieren. Das ist der Spagat, in dem sich die Branche derzeit befindet: Weniger Zwang zur Akzeptanzarbeit vor Ort bei höherem gesellschaftlichem Bedarf an Akzeptanzgewinnung. Denn die Bedeutung lokaler Zustimmung zeigt sich in den aktuellen Reaktionen mehrerer Bundesländer, in denen die Windausbauziele zur Disposition stehen. Und auch auf Bundesebene sind zwar alle Parteien für Klimaschutz. Aber keiner will die Windkraft gegen den Widerstand der Menschen durchdrücken.
Swingbürger
Derzeit ist die Zustimmung für die Energiewende mit 80 bis 95 Prozent ungebrochen hoch. Das Bild ändert sich jedoch, wenn man nach der Zustimmung zu Windprojekten vor Ort fragt: 2016 fanden laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag von Renewable Energy Hamburg je nach Region nur noch 64 bis 75 Prozent Windräder in Wohnortnähe zumindest akzeptabel (die Studie lässt sich auf der Website der Hamburger Wirtschaftsförderer unter der Rubrik Service downloaden). Das ist zwar immer noch die Mehrheit, doch viele Projektierer teilen die Erfahrung des lauter werdenden Protests.
Die Schuld wird oft dem sogenannten Nimby-Effekt zugesprochen, der Kurzform von „Not in my Backyard“. Dahinter verbergen sich theoretische Befürworter der Energiewende – aber nur, solange sie selbst nicht betroffen sind. Tatsächlich umfasst diese Gruppe allerdings laut der Fraunhofer-ISE-Studie Komma-P kaum 15 Prozent. Die Wissenschaft hinterfragt daher inzwischen das stark vereinfachende Konzept und geht von einer Vielzahl unterschiedlicher legitimer und vorgeschobener Gründe für Ablehnung oder Akzeptanz aus. Neben der Gruppe der Nimbys unterscheiden die Autoren der Komma-P-Studie drei weitere Gruppen: die Unterstützer (29 Prozent), die Unentschiedenen (29 Prozent) und die Kritiker (27 Prozent). Die Unterstützer stimmen von sich aus mit den Zielen der Energiewende überein und nehmen dafür auch kleinere Unannehmlichkeiten in Kauf. Die Gruppe der Kritiker kann mit Argumenten oft nicht mehr erreicht werden. Zu gewinnen gilt es daher vor allem die Unentschlossenen. Sie sind – in Analogie zu den Swing States in den USA – die Swingbürger.
Entscheidend sind für diese Gruppe vor allem zwei Faktoren: die Möglichkeit finanzieller Beteiligung, was unter das Stichwort Verteilungsgerechtigkeit fällt, und ein positiv erlebter Beteiligungsprozess, kurz Verfahrensgerechtigkeit.
Viele sogenannte Beteiligungskonzepte konzentrieren sich vor allem auf die Verteilungsgerechtigkeit – was besonders die positiv-passiven Bürger überzeugen kann. Die weit größere Gruppe erreicht man jedoch eher über die Verfahrensgerechtigkeit. Hier sind umfassende Konzepte notwendig: Die Fragen, wer den Prozess initiiert und welche Themen diskutiert werden, wer beteiligt wird und welche Dauer die Prozesse haben, entscheiden über das Ergebnis, ergibt eine IASS-Studie.
Eine detaillierte Akteursanalyse kann je nach Region eine Art passives Potenzial von bis zu 60 Prozent aufdecken, Konfliktlinien aufzeigen und erste Handlungsoptionen offenbaren – einer Fallstudie der Universität Stuttgart zufolge können selbst Bürgerwindinitiativen noch davon profitieren.
Auf die solchermaßen offengelegten Zustimmungen und Widerstände kann man dann gezielt eingehen: Sowohl indem man selbst als Planer kritische Punkte aufgreift als auch indem man die Befürworter des Projektes gezielt stärkt. So wird am leichtesten vermieden, dass die Stimmung vor Ort durch wenige laute oder gut organisierte Totalverweigerer von „kritisch neutral“ auf „ablehnend“ kippt. Im Anschluss lassen sich die geeigneten Mittel zusammenstellen – von einer qualitativ passenden Pressearbeit über Runde Tische und Beteiligungsformate zu zielgruppengeeigneten Informationskampagnen. Denn ob man Hauswurfsendungen oder Webportale nutzt, ist keine Geschmacksfrage, sondern hängt von den zu erreichenden Gruppen ab.
Projektierer und Windplaner sollten sich im eigenen Interesse nicht aus der Verantwortung für die Akzeptanz des Energiewendeprojekts entlassen. Denn sie haben vor Ort das größte Potenzial, Vertrauen aufzubauen. Dabei geht es nicht darum, ein Erfolgsrezept zu finden, um Kritiker zu beruhigen. Vielmehr geht es um Akzeptabilität: Wer profitiert von Energie und Einnahmen, welche Kompromisse sind fair und wer wurde an der Entscheidungsfindung umfassend und ergebnisoffen beteiligt. Ein Windpark, der in jeder Hinsicht akzeptabel ist, braucht Klimaleugner und Nimbys nicht zu fürchten.
Autoren: Marcus Franken und Jesko Habert, Kommunikationsagentur Ahnen amp; Enkel, www.ahnenenkel.com
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