Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch

Perspektiven auf eine neue Wirtschaft

Fabian Kauschke

Schnell soll es jetzt gehen. Zumindest schneller als bislang wird die Wasserstoffwirtschaft in vielen Facetten ausgerollt: Planung, Erzeugung, Speicherung, Transport, Infrastruktur, Beratung, Ausbildung. Entlang der gesamten Wertschöpfungskette entstehen Projekte, die auf den gemeinsamen Weg des Wasserstoffs einzahlen.

Auch die Bundesregierung hat die Notwendigkeit von mehr Geschwindigkeit erkannt und Ende Mai 2024 den Entwurf eines Wasserstoffbeschleunigungsgesetzes präsentiert. Die Verfügbarkeit des Gases und zugehörige rechtliche Rahmenbedingungen sollen für Tempo sorgen. Konkret wird darauf gezielt, Erleichterungen für den vorzeitigen Maßnahmenbeginn, beschleunigte Vergabe- und Nachprüfverfahren und Rechtswegverkürzungen zu etablieren. Zudem werden die Infrastrukturvorhaben des Beschleunigungsgesetzes als überragendes öffentliches Interesse eingeordnet. Gute Erfahrungen hätte man damit beim Ausbau der erneuerbaren Energien gemacht. Auch hiermit sollen behördliche Schwierigkeiten umgangen werden. Anvisiert ist ein Inkrafttreten des Gesetzes Ende 2024. Über mehr Tempo freut sich auch die Wasserstoffbranche. Wie sehen also aktuelle Projekte aus? Worauf kommt es dabei an? Und woran hakt es noch?

Gesamte Wertschöpfungskette findet Beachtung

Abo Energy hat den ersten Spatenstich für ein Wasserstoffprojekt im logistischen Herzen Deutschlands vollbracht. Der Projektentwickler fokussiert sich schon länger nicht mehr rein auf Wind, wie es der vorherige Name Abo Wind verdeutlicht hatte. Neben Solarenergie und Stromspeicherung rückt auch das Thema Wasserstoff immer mehr in den Fokus. Im hessischen Hünfeld-Michelsrombach bleibt Wind aber ein Thema. Denn das Projekt umfasst neben einem Elektrolyseur auch eine Windenergieanlage des Herstellers Nordex mit einer Nennleistung von 4,8 Megawatt (MW). Der erzeugte Strom wird direkt an zwei Elektrolysesysteme mit einer Leistung von 5 MW weitergeleitet. Die PEM-Wasserstofferzeuger produzieren unter Normalbedingungen rund 90 Kilogramm H₂. Zusätzlich ist die Errichtung eines 10-MW-Solarparks angedacht, um den Anteil des vor Ort erzeugten grünen Stroms zu erhöhen. Anschließend verwenden geeignete Fahrzeuge den Wasserstoff auch vor Ort oder er wird zu Tankstellen mithilfe von mobilen Speichern gebracht, die selbst keine Produktion aufweisen. Ausschlaggebend für das Projekt war auch der Standort. „Wir sind einerseits an der stark frequentierten Autobahn A7. Zudem befindet sich unser Vorhaben direkt in einem großen Logistikpark, wo wir auch gute Chancen sehen, die ansässigen Unternehmen perspektivisch mit Wasserstoff zu versorgen. Denn so können sie ihre Fahrzeugflotten auf einen nachhaltigen und emissionsfreien Kraftstoff umstellen“, sagt Mike Luther, Abteilungsleiter Projektentwicklung & Sonderprojekte bei Abo Kraft & Wärme. Die Entwicklung einer Wasserstoff-Betankungsinfrastruktur sei ein Grundstein, um ansässige Unternehmen zur Anschaffung von Brennstoffzellen-Lkw zu motivieren.

Der Großteil des Wasserstoffs, den wir in Deutschland irgendwann benutzen werden, wird aus dem Ausland kommen.

Mike Luther, Abteilungsleiter Projektentwicklung & Sonderprojekte bei ABO Kraft & Wärme AG

Die Umbenennung von Abo Wind zu Abo Energy deutet auch eine verstärkte Internationalisierung an. Auch hierbei rückt Wasserstoff weiter in den Fokus, und das hat einen ausschlaggebenden Grund: „Der Großteil des Wasserstoffs, den wir in Deutschland irgendwann benutzen werden, wird aus dem Ausland kommen. Davon bin ich fest überzeugt“, bekräftigt Mike Luther. Dafür seien die Rahmenbedingungen in Deutschland aufgrund von Flächen- und Erneuerbare-Energien-Potenzial nicht optimal. Ganz anders sehe es beispielsweise in Kanada aus. Mit dem Projekt „Toqlukuti’k Wind and Hydrogen“ plant der Projektentwickler in Neufundland und Labrador die Entwicklung eines Fünf-Gigawatt-Windparks, der etwa 400.000 Tonnen Wasserstoff pro Jahr produzieren soll. Damit sollen rund zwei Millionen Tonnen Ammoniak pro Jahr exportiert werden. Das zeigt: Es handelt sich um ganz andere Größenordnungen als in Deutschland.

Salzkavernenspeicher umrüsten

Die gesamte Wertschöpfungskette findet auch bei EWE große Beachtung. Bei dem Projekt „Clean Hydrogen Coastline“ geht es nicht nur um die Erzeugung, sondern auch um Speicherung und Infrastruktur. Das Projekt in Niedersachsen profitiert dabei von der Nähe zur Windenergie, den EWE-Gasverteilnetzen und der zentralen Lage in Europa.

Die Reinheit von Wasserstoff von nahezu 100 Prozent ist vor allem für Anwendungen in der Mobilität von Bedeutung.

Wasserstoffspeicherung, die besonders für die Verwendung in der Industrie wichtig sein wird, befindet sich oft noch in Testphasen. Hierbei orientiert man sich an den Möglichkeiten, die Erdgas bietet. So beschäftigt sich ein Teilprojekt von EWE mit dem Standort Huntorf bei Elsfleth in Niedersachsen – seit mehr als 50 Jahren ein wichtiger Speicherstandort. In sieben Salzkavernen speichert der Energiedienstleister hier Erdgas. Das soll sich in Zukunft jedoch ändern. Nimmt die Bedeutung von Wasserstoff zu, nimmt diejenige des Erdgases ab. Daher soll die erste Kaverne für die Speicherung von grünem Wasserstoff umgerüstet werden. Der Vorteil: Keine neue Bohrung wird somit nötig.

Damit dieses Vorhaben auch erfolgreich abgeschlossen werden kann, testet EWE im brandenburgischen Rüdersdorf, ob die Wasserstoffspeicherung analog zur Erdgasspeicherung sicher und zuverlässig funktioniert. Untersuchungsschwerpunkte sind unter anderem die chemischen und thermodynamischen Prozesse, wie beispielsweise Temperaturveränderungen und die Wasserstoffqualität. Die Reinheit von Wasserstoff von nahezu 100 Prozent ist vor allem für zukünftige Anwendungen im Mobilitätssektor vor Bedeutung. Die Ergebnisse der ersten Betriebsphase über einen Zeitraum von drei Monaten seien zufriedenstellend. „Aus meiner Sicht ist das Projekt schon ein sehr essenzielles für die gesamte Branche. Viele Themen wurden und werden in der Theorie mal betrachtet, aber in der Praxis noch nicht wirklich angewandt“, bestätigt Tobias Moldenhauer, Geschäftsführer der EWE Hydrogen. Der Energiedienstleister verfügt mit insgesamt 37 Salzkavernen über 15 Prozent aller deutschen Kavernenspeicher. Diese könnten perspektivisch auf Wasserstoff umgerüstet werden.

Viele Themen wurden und werden in der Theorie mal betrachtet, aber in der Praxis noch nicht wirklich angewandt.

Tobias Moldenhauer, Geschäftsführer der EWE Hydrogen

Die wichtigen Schnittstellen

Die Beispiele zeigen eine klare Entwicklung an: Es werden Projekte ausgerollt, die von der Produktion des Stromes über die Elektrolyse und Speicherung bis hin zur Verwendung den ganzheitlichen Blick erfüllen. Jedoch auch zwischen diesen Bausteinen gibt es Perspektiven, die Beachtung finden müssen. Denn auch sie sind essenziell für den Weg des Wasserstoffs in die Anwendbarkeit. Die TÜV Nord Group handelt hierbei aktiv. Die operativ getrennten Unternehmen vereinen eine Reihe an Dienstleistungen unter der Initiative Hydrohub. Dazu gehören in der Entwicklungsphase Machbarkeitsstudien und Gutachten sowie der Umgang mit Behörden, Genehmigungen und Fördermitteln und abschließend auch der Anlagenbau. Diese Kompetenzen kommen beispielsweise beim Bau einer 10-MW-Elektrolyse-Anlage nach erfolgreichen Machbarkeitsstudien am TÜV Nord Campus in Essen zusammen.

Beratung bei jeder Frage

Wer diese Bestandteile nicht aus dem Blick verlieren möchte, sucht sich am besten kompetente Partner. Besonders die Komplexität in einem neuen wachsenden Marktsegment führt leicht zur Unübersichtlichkeit. Damit Klarheit über Projekte herrscht, helfen Projektmanagementberatungen wie Drees & Sommer bei der Planung und Umsetzung. Geht man beispielsweise davon aus, dass ein bestehender Chemiestandort den Ansatz verfolgt, grünen Wasserstoff in seine Prozesse zu integrieren, dann folgen zuerst Fragen nach der Standortbewertung und Machbarkeit daraus. Welche Art von Elektrolyseur eignet sich am besten dafür, den zukünftigen Energieverbrauch zu decken? Und wie verhält es sich überhaupt mit dem Baurecht? Außerdem müssen geeignete Umsetzungs- und Abwicklungskonzepte entwickelt werden. Das sind Fragen, die gern zum Zeitfresser werden, da lange Prozessketten überwunden werden müssen. Verlangsamt sich dadurch ein Projekt stark, können beispielsweise Investitionsentscheidungen wegfallen. Die Projektmanagementberatung agiert daher auf der Seite des Kunden und versucht, dessen Wunsch nach Wasserstoff zu unterstützen.

Die treibende Kraft bei den betrieblichen Fortbildungen sind die Unternehmen.

Christian Jaffke, KWS Energy Knowledge

Wasserstoff-Fachkräfte weiterbilden

Für die Grundvoraussetzung, dass die vielen Perspektiven zusammenkommen, herrscht in der gesamten Erneuerbaren-Energien-Branche Mangel: Es fehlen qualifizierte Fachkräfte. An der KWS Energy Knowledge werden diese seit rund 70 Jahren zu Energiethemen aus- und weitergebildet. Auch das Thema Wasserstoff findet in einem zweieinhalbtägigen Kurs mittlerweile Beachtung. In den Basiskompetenzen lernen Teilnehmende entlang der Wertschöpfungskette gesetzliche Regelungen und technische Details kennen. Neben dem rechtlichen Rahmen fokussiert sich die Fortbildung auf die technischen Gegebenheiten, wie die Produktion oder die Speicherung, sowie die Anwendung der Technologie. Auch die Anlagen- und Betriebssicherheit ist ein entscheidendes Thema, da Wasserstoff ein anderes Gefährdungspotenzial aufweist als herkömmliches Erdgas. Für die weiterführende Entwicklung ist aber das Interesse von Unternehmen ein wesentlicher Faktor. Das bestätigt auch Christian Jaffke von KWS: „Die treibende Kraft bei den betrieblichen Fortbildungen sind die Unternehmen. Spätestens wenn ‚Kunden mit Aufträgen drohen‘, brauchen sie entsprechend qualifiziertes Personal. Aktuell spüren wir noch eine gewisse Unsicherheit bezüglich der Marktentwicklung, aber schon jetzt schicken viele Unternehmen interessiertes Personal zur Grundlagenschulung.“ Das Weiterbildungszentrum plant, H2 stärker in den Lehrplan einzubinden und in Zukunft Kurse anzubieten, die noch stärker in die Tiefe des Elements einsteigen.

Eine Frage bleibt bestehen

Alle Perspektiven zeigen, dass die Möglichkeiten von Wasserstoff vielfältig sind und aktiv angegangen werden. Damit diese Entwicklungen jedoch in die Nähe der zehn Gigawatt der nationalen Wasserstoffstrategie führen, braucht es auf jeden Fall noch eins: eine klare Regulatorik. Bislang benötigt die Wasserstoffindustrie zum Wachsen Förderungen. Ein gutes Beispiel dafür sind die IPCEIs (Important Projects of Common European Interest) der Europäischen Union, die aktuell wichtige Großprojekte fördern. Dazu gehört auch das „Clean Hydrogen Coastline“-Projekt. Dafür reichte EWE 2020 eine Skizze des Projektvorhabens ein. Der sogenannte Notifizierungsprozess wurde im Februar 2024 abgeschlossen, sodass EWE erwartet, dass die Förderungen in den nächsten Wochen von der Bundesregierung freigegeben werden. An diesen wichtigen Förderzuschlägen hängen oft Investitionsentscheidungen. Unternehmen würden aktuell eine Kostenabschätzung abgeben und daraus folgend einen Förderantrag stellen. Wenn dieser sich dann stark verzögert, kann es sogar zu Projektabbrüchen kommen. Daher müsse man hier schneller werden, sodass Investoren auch Lust und hätten einzusteigen. „Neue Technologien gehen in der Regel mit erheblichen technologischen, aber auch marktlichen Risiken einher. Förderung ist notwendig in jedem Fall, aber das System muss am Ende langfristig ohne Förderung funktionieren“, erkennt auch Tobias Moldenhauer, Geschäftsführer der EWE Hydrogen: Die erneuerbaren Energien seien hierfür eine gute Blaupause, bei denen man langsam in Marktmodelle komme, die nicht mehr von der EEG-Vergütung abhängig seien.

Förderung ist in jedem Fall notwendig, aber das System muss am Ende langfristig ohne Förderung funktionieren.

Tobias Moldenhauer, Geschäftsführer der EWE Hydrogen

Was sind also die Lösungen dafür? Eine Möglichkeit, dass Förderungen zumindest schneller eintreffen, ist die Weiterbildung von Behördenmitarbeitern. Wasserstoffvorhaben konfrontieren diese mit Details über eine neue Technologie, zu der oft noch keine Kompetenzen aufgebaut werden konnten, was ein Hemmnis darstellt. Hierbei kommen Bildungszentren wie die KWS ins Spiel. „Gemeinsam mit Partnern aus Wissenschaft und öffentlicher Verwaltung erarbeiten wir ein Qualifizierungskonzept, um die Bewertungskompetenz der Mitarbeitenden in den Genehmigungsbehörden zu erhöhen und damit die Prozesse deutlich zu beschleunigen“, sagt Christian Jaffke von KWS.

Und die Frage nach der Regulatorik? Mit dem Wasserstoffbeschleunigungsgesetz reagiert die Bundesregierung zumindest auf Probleme, die Projekte zeitlich verzögert haben. Auch wird der Entwurf einer Importstrategie bis zum Ende des Jahres erwartet. Vielleicht bringt diese dann die ersten Anreize für ein nachhaltiges Marktmodell für Wasserstoff.

Jetzt weiterlesen und profitieren.

+ ERE E-Paper-Ausgabe – jeden Monat neu
+ Kostenfreien Zugang zu unserem Online-Archiv
+ Fokus ERE: Sonderhefte (PDF)
+ Webinare und Veranstaltungen mit Rabatten
uvm.

Premium Mitgliedschaft

2 Monate kostenlos testen