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Begehrte H2-Qualifizierung, doch Unsicherheit bremst

Fabian Kauschke

Seit rund fünf Jahren nimmt die Anzahl von Beschäftigten in den erneuerbaren Energien wieder stetig zu. Dennoch ist sie in Deutschland nicht an ihrem historischen Höchststand. Diesen hatte die Branche schon im Jahr 2011 erreicht, mit über 400.000 Beschäftigten. Aufgrund von politischen und regulatorischen Gegebenheiten ist diese Zahl in den folgenden acht Jahren um rund 100.000 Arbeitende gesunken. Besonders die Solarindustrie hat starke Einbußen verbucht. Nun ist sie im Aufschwung und Teil dieses Aufschwungs ist auch ein neuer Energieträger, der die vorherigen Entwicklungen nicht mitgemacht hat und daher an seinem Anfang steht: grüner Wasserstoff. Dennoch steht die schnell wachsende Wasserstoffbranche vor denselben Herausforderungen wie andere: Wie bilden die Unternehmen gezielt Fachkräfte aus für die notwendigen Anwendungen und Techniken und vermeiden den absehbaren Mangel an Fachkräften? Und sehen Unternehmen überhaupt die Notwendigkeit, ihre Beschäftigten in den Bereichen der Wasserstoffwirtschaft zu schulen?

Weiterbildungsprogramme decken Wertschöpfungskette ab

Um diesen offenen Fragen Angebote entgegenzustellen, bieten Weiterbildungszentren bereits Schulungsprogramme für interessierte Unternehmen an. Die Inhalte orientieren sich dazu meist an den wesentlichen Stationen der Wasserstoff-Wertschöpfungskette. Somit spielen besonders Grundlagen zur Erzeugung, Speicherung und Infrastruktur eine zentrale Rolle. Vermittelt werden auch die übergeordnete Bedeutung von Wasserstoff für die Energiewende sowie die Ziele der deutschen und europäischen Wasserstoffstrategie. Zum Basiswissen gehören zudem chemische und physikalische Eigenschaften. Damit vermitteln die Weiterbildungszentren die verschiedenen Technologien zur Produktion und Nutzung des Energieträgers H2, zum Beispiel Power-to-Gas, Gasturbinen oder Brennstoffzellen. Zudem werden die Integration in bestehende Netze, die Auswirkungen für Verteilnetzbetreiber sowie die weitreichenden Anwendungen in den Sektoren Industrie, Energie und Mobilität intensiv diskutiert. Am Weiterbildungszentrum für innovative Energietechnologie (WBZU) in Ulm erlangen Teilnehmende im Bereich Wasserstoffmobilität so beispielsweise das Zertifikat für Gasanlagen in Fahrzeugen nach DGUV-FBHM-099.

In Schulungsangeboten zur Wasserstoffarbeit geht es um Grundlagen der Erzeugung, Speicherung und Infrastruktur.

Das Thema Sicherheit decken viele Schulungsprogramme mit ab. So werden in den meisten der sichere Umgang mit Wasserstoff, der Explosionsschutz und die Dichtheit von Wasserstoffsystemen gelehrt. In manchen Fällen planen die Akademien, den Gebäudesektor und Heizungstechniken ebenfalls abzudecken.

Führungskräfte geben Impuls

Aber welche Unternehmen sollten sich überhaupt jetzt schon mit dem Thema Wasserstoff beschäftigen? Der Haupteinflussfaktor hierbei ist die Energie­intensität der Prozesse eines Unternehmens. Daher werden häufig die Stahl- oder Chemieindustrie benannt, die so große Energiemengen benötigen, dass diese nicht elektrifizierbar sind. Dazu gehören natürlich ebenso Unternehmen, die in die Planung von Wasserstoffprojekten und den Aufbau der notwendigen Infrastruktur direkt involviert sind.

Jedoch können auch Stadtwerke oder Kommunen mittels Wasserstoff beispielsweise das Energieportfolio einer Stadt in Richtung Klima­freundlichkeit und Resilienz erweitern. Sie alle sind daher Zielgruppe der Schulungen. „Diese Schulungen sollten im Unternehmen für bereichsübergreifende Sensibilisierung und Fortbildung sorgen; sowohl für befähigtes als auch technisches Personal, Energiebeauftragte, Entwicklungsingenieure, Produktionsleiter, Arbeitsschutz, Controller und Geschäftsführung angeboten werden“, sagt Frederike Westenberger von der TÜV-Nord-Akademie. Somit kann ein grundlegendes Wissen über die Thematik vermittelt werden, und zukünftige Projekte lassen sich von dieser Basis aus künftig qualifiziert angehen. Besonders relevant dürfte wohl die Schulung der technischen Abteilungen sein, die sich mit der Forschung und Entwicklung befassen.

Damit in einem Unternehmen die Notwendigkeit für grünen Wasserstoff dargestellt wird, benötigt es ebenso geschulte Führungskräfte. Diese stellen im Weiteren die Ressourcen bereit und unterstützen relevante Abteilungen. „Eine der Hauptherausforderungen ist hierbei, die Interessen beziehungsweise die unterschiedlichen Sichtweisen der beteiligten Unternehmen und Partner in Einklang zu bringen“, bestätigt Jan Heinze, Geschäftsführer der Heinze Akademie. Daher sollten sich Führungskräfte ein tiefergehendes, fundiertes Wissen aneignen.

Interesse steigt

Das ist die Vorgehensweise, die Weiterbildungszentren empfehlen. Doch wie verhält es sich wirklich? Zeigen Unternehmen Interesse, aktiv Personal zu schulen? Gerade „zu Beginn des Hochlaufes der Wasserstoffaktivitäten konnten wir eine große Bereitschaft erkennen, sich mit den bis dahin wenig bekannten Eigenschaften und Anwendungen des Wasserstoffes zu beschäftigen“, sagt Gunter Maetze vom Weiterbildungszentrum für innovative Energietechnologie (WBZU). Das Haus der Technik (HDT) sieht ebenso ein wachsendes Interesse. Dieses sei motiviert durch gesellschaftliche Forderungen nach mehr Nachhaltigkeit. Dadurch wolle man die Energieversorgung teilweise oder vollständig umstellen. „Um mit der schnellen technologischen Entwicklung Schritt zu halten, wendet man sich zunehmend an uns“, bestätigt Michael Graef, Chefredakteur des HDT-Journals. Dieses Interesse sieht man auch an der Heinze Akademie. 135 Teilnehmer haben dort seit Mai 2021 den Vollzeitkurs erfolgreich abgeschlossen, im berufsbegleitenden IHK-Zertifikatslehrgang wurden in eineinhalb Jahren 80 Modulprüfungen abgenommen. Die Akademie erwartet einen ansteigenden Weiterbildungsbedarf bei Ingenieuren bis 2027, bei Meistern und Technikern sowie gewerblich-technischen Fachkräften bis 2029.

Um mit der schnellen technologischen Entwicklung Schritt zu halten, wendet man sich zunehmend an uns.

Michael Graef, Haus der Technik

Rahmenbedingungen verunsichern

Diese Position teilen jedoch nicht alle Weiterbildungsakademien: „Aus unserer Erfahrung beobachten wir ein eher zurückhaltendes Interesse. Es kann aber natürlich sein, dass hier andere Angebote auf dem Markt mehr angenommen werden. Wir gehen davon aus, dass dies auch mit den aktuell noch unsicheren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der abwartenden Haltung vieler Unternehmen bezüglich der künftigen Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft zusammenhängt“, heißt es von der BDEW-Akademie. Hierbei seien die noch nicht klar definierten Rahmenbedingungen ausschlaggebend.

Eine ähnliche Situation erkennt die TÜV-­Nord-­Akademie: „Es herrscht Unsicherheit aufgrund fehlender rechtlicher und normativer Grundlagen sowie der Wirtschaftlichkeit von Projekten. Diese Faktoren führen zu einer abwartenden Haltung der Unternehmen, ob sie tatsächlich in Wasserstofftechnologie investieren und ihr Personal entsprechend schulen werden.“

Fachkräftemangel besteht bereits

Die Zurückhaltung von Unternehmen an Wasserstoffausbildungen von der Pike auf geht einher mit der aktuellen Situation des Arbeitsmarktes der Wasserstoffwirtschaft. Hier ist bereits ein Mangel an Fachkräften zu erkennen, doch sei dies ein grundsätzliches Phänomen, das nicht nur mit dem Wachstum dieses speziellen Arbeitsmarktes einhergeht. So ist der Fachkräftemangel in der Wasserstoffwirtschaft auf die grundlegende Problematik zurückzuführen, dass durch den demografischen Wandel überall der Nachwuchs knapp ist.

Das HDT sieht den möglichen Lösungsweg in der Weiterqualifizierung von vorhandenem Personal. Das WBZU erkennt, dass eine Lücke an passenden Qualifizierungsangeboten mittlerweile für viele Themenbereiche mit Weiterbildungsmöglichkeiten geschlossen wurde. „Etwas anders sieht es im Bereich der Ausbildungen aus. Hier mahlen die Mühlen langsamer und es wird noch eine Weile dauern, bis die Wasserstoffthemen überall Eingang in die Lehrpläne gefunden haben“, sagt Gunter Maetze.

57.000 Erwerbstätige mehr wird es durch den Ausbau der Wasserstoffwirtschaft bis 2045 geben.

Die Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften steigt in den nächsten Jahren nach dem aktuellen Trend. „Finden Unternehmen keine Fachkräfte mehr auf dem freien Arbeitsmarkt, können wir Arbeitssuchende gezielt und gefördert durch die Agentur für Arbeit weiterqualifizieren“, schlägt Jan Heinze vor. Das benötige jedoch eine Vorlaufzeit.

H2-Hochlauf erhöht Erwerbstätigenzahl

Wie Arbeitskräftebedarf und Arbeitskräfteangebot in den kommenden Jahren für die Wertschöpfungskette Wasserstoff zusammenkommen, untersucht eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, einer Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit. Mithilfe einer Szenarien­analyse wurde der Einfluss von grünem Wasserstoff auf den Arbeitsmarkt bis 2045 untersucht. Die Szenarien vergleichen den Einfluss einer aufgebauten Wasserstoffwirtschaft mit dem Einfluss einer fehlenden.

Die Ergebnisse zeigen, dass der Hochlauf des Wasserstoffs durchweg positive Effekte auf die Zahl der Erwerbstätigen hat. Sie liegt in diesem Szenario bis 2045 um durchschnittlich rund 57.000 Personen höher als im Referenzszenario. In absoluten Zahlen steht vor allem das Baugewerbe vor einem höheren Arbeitskräftebedarf, der mit dem Ausbau erneuerbarer Energien für die Erzeugung grünen Wasserstoffs und dem Aufbau der Wasserstoffinfrastruktur einhergeht. Positive Effekte gibt es auch in den Bereichen Architektur- und Ingenieurbüros, technische Untersuchung, Erziehung und Unterricht sowie im Maschinenbau. Der Forschungsbericht zeigt mehr Bedarf an administrativen Berufen. Dabei werde deutlich, dass es in vielen dieser Berufsgruppen bereits heute zu Engpässen kommt, was den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft verzögern könnte.

Als einen wichtigen Einflussfaktor macht die Studie den Strompreis und die damit verbundenen Kosten von Wasserstoff und seinen Derivaten Ammoniak und Methanol aus. Komme es zu 20 Prozent niedrigeren Strompreisen für die Elektrolyse im Ausland, lägen das inländische Bruttoinlands­produkt (BIP) bis 2045 durchschnittlich um 7,7 Milliarden Euro und die Erwerbstätigenzahlen um durchschnittlich rund 66.000 Personen höher als im Referenzszenario. Wären die Strompreise um 40 Prozent geringer, wären das inländische BIP um durchschnittlich 11,2 Milliarden Euro und die Erwerbstätigenzahlen um durchschnittlich rund 76.000 Personen höher. Das BIP und die Erwerbstätigenzahlen fallen also umso höher aus, je günstiger Wasserstoff zur Verfügung gestellt werden kann. Wichtig ist dabei aber auch der Vergleich zu den Kosten von fossilen Energieträgern. Werden die fossilen Brennstoffe teurer, beeinflusst das den Wert der Wasserstoffwirtschaft positiv und damit die Anzahl von Erwerbstätigen in diesem Bereich. Auch staatliche Maßnahmen könnten hierbei unterstützend wirken.

Dem Fachkräftemangel könnte also noch entgegengewirkt werden

Klar ist: Das Angebot an Schulungs- und Weiterbildungsprogrammen existiert. Die Bildungszentren bieten an, was die einzelnen wichtigen Bereiche des Themas Wasserstoff adressiert. Dennoch ist das Interesse von Unternehmen eher gemischt. Obwohl der Energiewirtschaft klar ist, welche Bedeutung dem Energieträger zukommt, sind die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ein Faktor, der abschreckt.

So steuert die Wasserstoffbranche vermutlich in den übergreifenden Fachkräftemangel, der viele Wirtschaftszweige belastet. Die Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung macht aber auch klar, dass großes wirtschaftliches Potenzial im Energieträger Wasserstoff schlummert. Startet der Hochlauf wirklich, sehen Unternehmen keinen Grund mehr zur Zurückhaltung – und dem Fachkräftemangel kann noch entgegengewirkt werden.