Deutschland richtet sich in der Frage nach dem Gas der Zukunft neu aus. Statt Erdgas soll künftig viel grüner Wasserstoff durch die Leitungen fließen, um besonders für Industrien als klimafreundlichere Alternative bereitzustehen. Wie das gelingen soll, geben die Pläne für das Wasserstoff-Kernnetz vor, die erst von den Fernleitungs-Netzbetreibern erarbeitet und im Oktober 2024 von der Bundesnetzagentur genehmigt wurden. Jedoch sollen nicht alle der insgesamt 9.666 Kilometer langen Leitungen neu gebaut werden. Rund 60 Prozent des Kernnetzes werden aus umgerüsteten Erdgasleitungen zusammengestellt. Die Kosten zur Umstellung einer bestehenden Leitung liegen im Vergleich zu einem Neubau nach Angaben des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches (DVGW) bei etwa einem Fünftel. Ein guter Grund, möglichst viele Leitungen umzurüsten. Wasserstoff und Erdgas unterscheiden sich jedoch in ihren chemischen Eigenschaften. Was ist also nötig, um diese Umstellung zu bewerkstelligen?
Szenarien überprüfen Netzentwicklung
Bevor Leitungen umgestellt werden, muss jedoch zuerst geklärt werden, welche dafür infrage kommen. „Es werden nur die Teile des Erdgas-Fernleitungsnetzes umgestellt, die von der Bundesnetzagentur freigegeben wurden, weil sie nicht notwendig sind, um die Versorgungssicherheit mit Erdgas aufrechtzuerhalten“, sagt Andreas Schrader, Leiter Gasinfrastruktur beim DVGW. Welche Abschnitte dann ausgewählt werden, plant und koordiniert der Netzentwicklungsplan Gas und Wasserstoff der Bundesnetzagentur. Der Plan ziele darauf ab, die Gasfernleitungs- und Wasserstoff-Transportnetze bedarfsgerecht zu optimieren und auszubauen, um einen sicheren Netzbetrieb sicherzustellen. Konkret erstellen die Fernleitungs-Netzbetreiber einen Szenariorahmen. Dieser umfasst mindestens drei Szenarien, die die wahrscheinliche Entwicklung im Gas- und Wasserstoffsektor für die nächsten 10 bis 15 Jahre darstellen. Somit wird sichergestellt, dass sich das Wasserstoffnetz im Einklang mit dem Markthochlauf entwickelt. Die Maßnahmen werden alle zwei Jahre auf ihre Bedarfsgerechtigkeit geprüft.
60 Prozent des Wasserstoff-Kernnetzes sollen aus umgerüsteten Erdgasleitungen bestehen.
Individuelle Prüfung und Umstellung
Neben den Rohrleitungen zählen unter anderem Verdichteranlagen, Gasmessanlagen, Druckregelanlagen und Armaturen von Komponenten und Einrichtungen zu den Gastransportleitungen. Diese werden zunächst nach den angestrebten Betriebsparametern für die Umstellung bewertet, da der Betrieb mit Wasserstoff einen Einfluss auf die Restlebensdauer haben kann. „Diese Bewertung muss für jede Leitung individuell erfolgen, da Gastransportleitungen teilweise seit vielen Jahrzehnten betrieben werden und Werkstoffe, Fertigungsverfahren sowie die Anforderungen an die Prüfungen und die Dokumentation ständig weiterentwickelt wurden“, erklärt Andreas Schrader. Um eine Bewertungsgrundlage zu schaffen, hat der DVGW gemeinsam mit Forschungsinstituten und Sachverständigen Untersuchungen zur Eignung der eingesetzten Werkstoffe durchgeführt. In dem Forschungsprojekt „H2-Tauglichkeit von Stählen – SyWeSt H2“ wurden dazu Untersuchungen von allen typischen, in Deutschland verwendeten Leitungsstählen mit Wasserstoff bis zu 100 Bar Prüfdruck veranlasst und erkannt, dass sich die verwendeten Stähle nach den entsprechenden Bewertungskriterien für Wasserstoff eignen.
Ist die Eignung der Rohrleitung für die Umrüstung nachgewiesen, müssen die Verdichtereinheiten und Messgeräte für die Gasbeschaffenheit und die Mengenermittlung durch neue, speziell für Wasserstoff ausgelegte Geräte ersetzt werden. Die Gasmessgeräte für Wasserstoff benötigen eine behördliche Zulassung. Explosionsschutzrelevante Einrichtungen in Gasanlagen müssen ebenfalls umgerüstet werden. Inwieweit weitere Umrüstungen, beispielsweise von Armaturen, erforderlich sind, ist im Einzelfall zu prüfen. Die Anforderungen hierzu sind ebenfalls im DVGW-Regelwerk beschrieben. Die Untersuchungen haben jedoch ebenso gezeigt, dass viele der eingesetzten Werkstoffe dazu geeignet sind, ohne wesentliche Einschränkungen mit Wasserstoff betrieben zu werden.
H2-ready für schnelleres Umrüsten
Die Umstellung einer bestehenden Gasleitung auf den Transport von Wasserstoff kann nach aktuellem Kenntnisstand des Transportnetzbetreibers Terranets BW innerhalb von zwei bis fünf Jahren erfolgen. Die Dauer der Umstellung hänge vom ermittelten Umfang der Anpassungsmaßnahmen ab. Der Betreiber für Abschnitte des Kernnetzes in Baden-Württemberg setzt alle neu gebauten oder umgerüsteten Abschnitte als H2-ready um. Bereits wasserstofftauglich gebaute Leitungen, wie die Süddeutsche Erdgasleitung und die Neckarenztalleitung, können so kurzfristig auf den Wasserstofftransport umgestellt werden.
Genehmigungen wirken sich aktuell nicht abbremsend aus. Für die Umstellung einer Leitung auf den Betrieb mit Wasserstoff ist der Energieaufsichtsbehörde eine entsprechende Anzeige gemäß Gashochdruckleitungsverordnung vorzulegen. Betreiber müssen neben technischen Angaben einen Bericht über Sicherheitseinrichtungen und die gutachterliche Stellungnahme eines unabhängigen Sachverständigen einreichen. Danach dauert es rund acht Wochen, bis die Energieaufsichtsbehörde die Inbetriebnahme gewährt.
Die Bewertung muss für jede Leitung individuell erfolgen, da Gastranportleitungen teilweise seit vielen Jahrzehnten betrieben werden.
Wasserstoff oder Erdgas?
Während Erdgas im Vergleich zu Wasserstoff eine höhere Energiedichte pro Volumen aufweist und hauptsächlich aus Methan besteht, ist die Dichte von Wasserstoff deutlich geringer und der auf das Gewicht bezogene Energiegehalt höher. Beide Gase sind brennbar, wobei sich Wasserstoff reaktiver und leichter entzündlich verhält.
Wie unterscheiden sich Wasserstoff und Erdgas?
Hinsichtlich der sicherheitstechnischen Kenngrößen weist Wasserstoff gegenüber Erdgas unter anderem einen erweiterten Explosionsbereich und eine niedrigere Zündenergie auf. Dies ist insbesondere dort von Bedeutung, wo eine betriebliche Freisetzung von Wasserstoff nicht ausgeschlossen werden kann, beispielsweise beim Öffnen des Leitungssystems oder der zugehörigen Anlagen bei Reparaturen oder Wartungsarbeiten. Betriebliche Prozesse sind entsprechend anzupassen, um die Bildung gefährlicher, explosionsgefährdeter Gemische möglichst zu vermeiden.