Mitte Oktober war es so weit: Auf der Verdichterstation Emsbüren des Netzbetreibers OGE in Niedersachsen fiel der Startschuss für die Umstellung der ersten Ferngasleitung für den Transport von Wasserstoff. Nach dem Umpumpen des Erdgases starten die Ertüchtigungsmaßnahmen für den Transport von Wasserstoff, der ab 2025 erfolgen soll. Die zur Förderung als IPCEI (Important Project of Common European Interest) ausgewählten Leitungsabschnitte sind Teil des Projektes GET H2 Nukleus. Der Abschnitt Emsbüren–Bad Bentheim gehört OGE, der Abschnitt Bad Bentheim–Legden befindet sich zu jeweils 50 Prozent im Eigentum von OGE und Nowega. Eine weitere Leitung von Nowega, von Lingen nach Bad Bentheim, wird ebenfalls aktuell auf Wasserstoff umgestellt. Beide Unternehmen sind Teil der Initiative GET H2, deren Ziel es ist, den Kern für eine bundesweite Wasserstoffinfrastruktur zu etablieren. Mit der Umstellung soll künftig zahlreichen Abnehmern aus Industrie und Mittelstand ein Anschluss an die Wasserstoffversorgung ermöglicht werden.
Das Backbone-Netz muss den Zugang zu klimaneutralem Wasserstoff ermöglichen.
Bereits im Juli haben die deutschen Fernleitungsnetzbetreiber den Planungsstand für ein überregionales Wasserstoff-Kernnetz bis 2032 veröffentlicht. Dieses umfasst eine Länge von rund 11.200 Kilometern und dient als Ausgangspunkt für eine zukünftige, integrierte Wasserstoffnetzplanung.
Flächendeckender Zugang zu Wasserstoff
Beim Deutschen Verein des Gas- und Wasserfachs (DVGW) begrüßt man den Vorstoß der Bundesregierung, in einer Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes einen gesetzlichen Rahmen für die schnelle Genehmigung und den Aufbau eines Wasserstoff-Kernnetzes zu etablieren. Allerdings verbindet man damit auch konkrete Forderungen: „Das Backbone-Netz muss allen Regionen in Deutschland den Zugang zu klimaneutralem Wasserstoff ermöglichen, da sonst eine Abwanderung ganzer Wirtschaftszweige droht, insbesondere im Bereich des Mittelstands“, sagte der DVGW-Chef Gerald Linke kürzlich auf der Branchenveranstaltung Gat in Köln. In einem zweiten Schritt brauche es deshalb auch eine Transformationsregulierung für Gasverteilnetze. „Denn ohne eine umfassende Umstellung der bestehenden Gasverteilinfrastruktur können die Anschlüsse von 1,8 Millionen Industrie- und Gewerbekunden nicht zur Klimaneutralität transformiert werden“, so Linke.
Die Bundesregierung geht in ihrer im Juli 2023 veröffentlichten Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie für das Jahr 2030 von einem erhöhten Wasserstoffbedarf von 95 bis 130 Terawattstunden aus, der über die heimische Wasserstofferzeugung sowie über Importe von Wasserstoff und Derivaten gedeckt werden soll.
Die Basis für den Transport zu den Endkunden hat der DVGW gemeinsam mit der Initiative „H2vorOrt“ im sogenannten Gasnetzgebietstransformationsplan (GTP) gelegt. Nach dem Start 2022 steigt im aktuellen zweiten Planungsjahr die Anzahl der teilnehmenden Gasverteilnetzbetreiber von 180 auf 241. Hierbei deckt der GTP nun Gasleitungen mit einer Gesamtlänge von 415.000 Kilometern ab und erreicht 381 von 401 deutschen Landkreisen.
Der Planungsprozess ist dabei ergebnisoffen, umfasst sowohl die Umnutzung als auch die Stilllegung und den partiellen Neubau von Leitungen und berücksichtigt sämtliche neuen, klimaneutralen Gase. Ziel des GTP ist es, die Transformation auf Verteilnetzebene zu beschleunigen und durch die Einzelplanungen der Netzbetreiber in Abstimmung mit den anderen Stufen der Versorgungskette ein kohärentes Zielbild für ganz Deutschland zu schaffen. Im Rahmen der GTP-Planung analysieren die Netzbetreiber dabei auf Basis ihrer konkreten Situation vor Ort die Bedarfe ihrer Kunden, die dezentrale Einspeisesituation, die Entwicklung der Wasserstoffbereitstellung durch vorgelagerte Netzbetreiber und die technische Eignung ihrer Netze für Wasserstoff.
Großer Zuspruch zu klimaneutralen Gasen
Das Commitment der Befragten in Bezug auf den Einsatz klimaneutraler Gase, wie Biomethan oder grünen Wasserstoff, ist groß (siehe Grafik). So sehen langfristig lediglich fünf Prozent der im Zuge des GTP durch die Netzbetreiber knapp 1.000 befragten Kommunen keinen Bedarf für die Verwendung klimaneutraler Gase. Von den knapp 2.000 befragten industriellen Großkunden setzen mehr als drei Viertel auf Wasserstoff. 29 Prozent ziehen den Einsatz von Wasserstoff hierbei bereits bis zum Jahr 2030 in Erwägung, weitere 30 Prozent erwarten die Umstellung in der kommenden Dekade. Und auch der Bedarf an Biomethan scheint entsprechend groß zu sein. So haben die Teilnehmer im vergangenen Jahr mehr Einspeisebegehren erhalten, als es Einspeiseanlagen im Bestand gibt.
130 Terawattstunden Wasserstoff könnten 2030 laut Nationaler Wasserstoffstrategie in Deutschland gebraucht werden.
Klar ist dabei aber auch, dass die Nutzer und Verbraucher bei der Transformation der Wärmeversorgung im Mittelpunkt stehen müssen. Linke bringt die Situation so auf den Punkt: „Die Frage, wie Deutschland in Zukunft heizt, wird konkret vor Ort entschieden. Die Netzbetreiber und ihre Umstellpläne sind dabei ein wesentlicher Enabler.“
Diesen Aspekt verdeutlicht auch die Bottom-up-Studie zur Dekarbonisierung des Wärmesektors, die die Fraunhofer-Institute ISE und IEE im Auftrag des Nationalen Wasserstoffrats durchführen. Dabei untersuchen die Energieexperten jeweils fünf Szenarien für vier konkrete Netzgebiete (Mainz, Fellbach, Burg und Westerstede) mit sehr unterschiedlichen Ausgangsbedingungen. Das wichtigste Ergebnis lautet, dass es keine One-size-fits-all-Lösung gibt. Für die erfolgreiche Transformation der Wärmeversorgung sind Vor-Ort-Analysen zwingend erforderlich. Ein weiteres Ergebnis der Studie: Ein entscheidender Faktor bei der Umrüstung eines Gasverteilnetzes auf Wasserstoff ist die Industrie mit ihrer Nachfrage nach Prozesswärme und Prozessgasen. Dies beeinflusst auch die Versorgungsfrage für die dort vorhandenen Wohngebäude und mehr noch: Das Vorhandensein einer Wasserstoffinfrastruktur kann zum wichtigen Standortfaktor für Wirtschaftsbetriebe und damit für die Zukunft des Industrielands Deutschland werden.