Der Zubau von weiteren erneuerbaren Energien ist auch bei verzögertem Netzausbau problemlos möglich. Voraussetzung ist allerdings, dass die Potenziale des derzeitigen Netzes besser genutzt werden. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung von WP&More Consulting. Die Untersuchung zeigt innovative Netzoptimierungsmaßnahmen zur besseren Auslastung der Bestandsnetze auf“, fasst Knud Rehfeldt, Vorstand der Stiftung Offshore-Windenergie. Sie hat zusammen mit dem Bundesverband der Windparkbetreiber Offshore (BWO), dem Bundesverband Windenergie (BWE), Renewable Energy Hamburg, dem VDMA und dem Wirtschaftsverband Windkraftwerke (WVW) die Studie in Auftrag gegeben.
1. Freileitungen beobachten
Voraussetzung ist aber, dass die Netzbetreiber diese Technologien, die bereits bekannt und erprobt sind, auch endlich nutzen. Konkret geht es hier um den Einsatz von Freileitungsmonitoring (FLM), Phasenschiebertransformatoren (PST) und Online-Assistenzsystemen (DSA). Das FLM beruht auf einem Messsystem, das es den Netzbetreibern ermöglicht, die Belastung der Stromleitungen an die Wetterbedingungen anzupassen. Denn die Freileitungen dürfen bei verschiedenen Temperaturen vorgegebene Auslastungswerte nicht überschreiten. Mit einem lückenlosen Monitoring wie beispielsweise einer Temperatur- oder Zugkraftmessung am Leiterseil und im Abgleich mit regionalen Wetterdaten ist es möglich, näher an diese Grenzen heranzugehen, ohne die Überlastung zu riskieren.
2. Leistungsfluss umleiten
Phasenschiebertransformatoren sind wiederum spezielle Leistungstrafos, die den Fluss der Wirkleistung steuern. Mit ihnen kann dieser Leistungsfluss flexibel umgeleitet und dadurch Engpässe in konkreten Netzabschnitten umgangen werden.
3. Netz lückenlos überwachen
Ein Online-Assistenzsystem ist eine Überwachungssoftware, die in Echtzeit lückenlos den aktuellen Zustand von Netzabschnitten analysiert und in der Leitwarte anzeigt. Auf dieser Basis kann der Mitarbeiter dort seine Entscheidungen treffen, welche Gegenmaßnahmen er einleitet, wenn die Stabilität aus dem Ruder läuft. Zwar kann ein solches Assistenzsystem diese Entscheidungen auch übernehmen, doch die in der Studie verwendeten Systeme sind ausschließlich für die Unterstützung der Mitarbeiter in der Leitwarte vorgesehen.
Extremszenario angenommen
Für die Untersuchung, wie viel Ökostrom aus volatilen Quellen das Netz verträgt, haben sich die Autoren der Studie an ein Extremszenario herangewagt. Sie haben ein Modellnetz genommen, das das Übertragungsnetz in Deutschland sowie die Anbindungen zu den europäischen Nachbarländern umfasst. Dazu haben sie eine Stromnachfrage von 100 Gigawatt angesetzt. Diese wird mit 60 Gigawatt von Windkraftwerken, mit 28,5 Gigawatt von konventionellen Kraftwerken, mit sieben Gigawatt von Biomasseanlagen und zu 9,8 Gigawatt von Wasserkraftwerken bedient. „Das ist die Situation, die wir wahrscheinlich im Jahr 2025 haben“, sagt Knud Rehfeldt. Die Photovoltaik wurde aus dem Szenario explizit herausgenommen, um die Extrembelastung durch den Stromfluss aus dem hohen Norden, wo die Erzeuger stehen, in den Süden, wo die Verbraucher vorhanden sind, zu simulieren.
Alle drei Möglichkeiten kombinieren
Das Ergebnis der Simulation ist, dass mit der Nutzung der drei technischen Möglichkeiten die derzeitigen Netze ausreichen, um viel mehr erneuerbaren Strom aufzunehmen. Zwar sehen die Autoren der Studie trotzdem einen Bedarf an Netzausbau, vor allem wenn die Leistung der Offshore-Windkraft weiter zunimmt. Doch der Zubau von Ökostromanlagen muss nicht auf diesen Netzausbau warten. „Dabei ist es wichtig, dass alle drei Möglichkeiten in Kombination eingesetzt werden“, betont Friedrich Koch, der die technischen Aspekte untersucht hat. „Die Effizienzverbesserungen im Netz werden zudem erst durch den aufeinander abgestimmten Betrieb mehrerer Phasenschiebertransformatoren und Online-Assistenzsystemen möglich.“
Digitalisierung belohnen
Um das umzusetzen, müssen aber auch geeignete Rahmenbedingungen her. „Die Politik muss finanzielle Anreize für die Netzbetreiber schaffen, diese Techniken zu implementieren“, sagt Koch. „Denn die Netzbetreiber haben derzeit keine ausreichende Motivation, das umzusetzen“, ergänzt Jochen Fischer von der Rechtsanwaltskanzlei Gaßner, Groth, Siederer & Coll., der die rechtlichen Aspekte und die notwendigen Rahmenbedingungen untersucht hat. „Denn die Netzbetreiber verdienen derzeit Geld vor allem, wenn sie teuer die Netze ausbauen und nicht mit der viel preiswerteren Digitalisierung“, beschreibt er die derzeitige Situation, die durch die aktuelle Anreizregulierungsverordnung geschaffen wird.
Denn der Netzausbau ist teurer und da die Netzbetreiber um so mehr Geld verdienen, je mehr sie auch ausgeben, setzen sie vor allem auf diese Maßnahme. Zwar werden auch durch die intelligentere Nutzung des Netzes zunächst Kosten anfallen. Doch diese sind verschwindend gering im Vergleich zum Netzausbau und vermeiden einen großen Teil der Kosten, die derzeit für den Redispatch anfallen, weil die vorhandenen Netze nicht effizient genutzt werden. Deshalb nennt Fischer beispielsweise eine Belohnung der Netzbetreiber, wenn sie die Redispatchkosten durch die bessere Nutzung des Netzes senken, als ein Mittel, die Installation intelligenter Technologien anzureizen.