In Deutschland gibt es einen ausgeprägten Bedarf an Lösungen für die Energiewende durch die Sektorenkopplung. Schleswig-Holstein fördert Unternehmen mit entsprechenden Ideen. Wie läuft es mit der Regierung Günther?
In Schleswig-Holstein hat die neue Landesregierung mit dem Koalitionsvertrag ein passendes Umfeld für innovative Unternehmen der Erneuerbaren-Branche geschaffen. Die Politik fordert die Unternehmen auf: Zeigt mal, was ihr könnt. Was mir fehlt, ist die wirtschaftliche Perspektive bei Speicherung, Sektorkopplung und Nutzung der Erneuerbaren in intelligenten Lösungen vor Ort. Hier kann die Landesregierung gezielt die Weiterentwicklung der sehr innovative Erneuerbarenbranche fördern, sich im Bundesrat für bessere Gesetze stark machen. Weitere Schritte für Sektorkopplung und Digitalisierung müssen jetzt folgen.
In Schleswig-Holstein ist das Schaufensterprojekt NEW 4.0 jetzt im zweiten Projektjahr. Was ist bislang dabei herausgekommen?
NEW 4.0 (Norddeutsche Energiewende 4.0) hat einen starken Fokus auf die Versorgung der Industrie mit Erneuerbaren. Wir haben eine breite 365-Grad-Beteiligung. NEW 4.0 erarbeitet konkrete Lösungen für die erneuerbare Energieversorgung und nutzt konsequent digitalisierte Prozesse. Viele Lösungen sind bereits erarbeitet worden, wir veröffentlichen das auf unserer b2b-Plattform. Zum Beispiel kann die Stahlproduktion jetzt an die Stromproduktion angepasst werden (sog. time-shift), das sind variable Lasten. Auch ARGE Netz und seine Gesellschafter sind mit innovativen Praxisprojekten beteiligt: Windbetriebene Wasserstoffproduktion und Batteriespeicher im Industriegebiet Brunsbüttel, eine Wasserstofftankstelle in Nordfriesland und Blockchain-Anwendungen mit dem Erneuerbaren Kraftwerk. Gemeinsam mit IWO und versorgen wir Ölheizungen in der Gemeinde Friedrich-Wilhelm-Lübke-Koog mit erneuerbarem Strom, so dass Öl eingespart und CO2 vermieden wird. Das läuft ganz kleinteilig mit den Leuten vor Ort. Schleswig-Holstein Netz AG und ARGE Netz nehmen mit „ENKO“ den Testbetrieb für einen regionalen Marktplatz für Flexibilitäten auf. Damit wollen wir Einspeisemanagement verringern und den Nutzungsgrad der Erneuerbaren steigern.
Wie kann man die Netze in Schleswig-Holstein entlasten?
Zunächst einmal: Der Netzausbau in Schleswig-Holstein ist im kommenden Jahr in wesentlichen Teilen beendet, wir sind dann soweit und die anderen Länder müssen endlich nachziehen. Aber zur Frage: Netze werden vor allem dadurch entlastet, dass sie technisch und im Betrieb optimiert sowie bedarfsgerecht erweitert werden. Es geht aber um eine Doppelstrategie, die auch vom Land mitgetragen wird: Netzausbau und Direktverbrauch vor Ort. Das wird vom Gesetzgeber bisher aber erschwert. Es wäre sinnvoll zu sagen, wir erlauben den Erzeugern, den erneuerbaren Strom direkt an Kunden wie etwa Industrieunternehmen zu verkaufen. Dort wäre dann echter grüner Strom im System. ARGE Netz unterstützt daher das Marktentwickungsmodell als neue Form der Direktvermarktung, bei dem auch die Doppelvermarktung vermieden wird. Entscheidend ist, dass der Anlagenbetreiber nicht weniger oder mehr verdient und den Strom direkt verkaufen kann: Das ist praktisch ein Direktliefervertrag (sog. PPA) innerhalb des EEG. Wir als ARGE Netz haben das Modell vom Energiewirtschaftlichen Institut in Köln volkswirtschaftlich auf Herz und Nieren prüfen lassen. Ergebnis: Die EEG-Umlage wird nicht erhöht, sondern eher verringert. Das Modell tut Kunden und Erzeugern gut.
Wir erleben aktuell eine enorme Nachfrage aus der Breite der Industrie für die Direktbelieferung mit erneuerbarem Strom. Das Netz reicht für die Versorgung der Industrie aus. Für die Versorgung von Hamburg arbeiten die beiden Übertragungsnetzbetreiber in Schleswig-Holstein - Tennet - und in Hamburg - 50Hertz - zusammen. In Brunsbüttel ist die Übergabestation. Die ist jetzt so verstärkt worden, dass wir Industrie und Haushalte in Hamburg mit erneuerbarem Strom aus Schleswig-Holsteinisch versorgen können.
Thema Netzausbau: Kann das schneller gehen?
Man sollte keine Front zwischen Bürgern und Infrastruktur aufmachen. Der Bürger hat seine Meinung und äußert die auch. Wir als ARGE Netz haben uns bemüht, die Bürger in Schleswig-Holstein ganz früh in den Netzausbau einzubeziehen. Da ging es um die sog. Westküstentrasse, die jetzt bald fertig ist. Auf breiter Basis, mit Anlagen- und Netzbetreibern, den Kommunen und den Naturschutzverbänden, hat die Landesregierung eine sog. Netzentwicklungsinitiative organisiert. Hier wurde mit früher und breiter Kommunikation, einer Bürgerbeauftragten, der Zusammenlegung von Planverfahren und der Bereitschaft, eine „krumme“ Leitung zu bauen, der Netzausbau in der Hälfte der sonst notwendigen Zeit ermöglicht. So etwas geht nur mit persönlichem Einsatz der Beteiligten. So hat der zuständige Minister Robert Habeck auf vielen Informationsveranstaltungen teilgenommen, hat sich dem Druck vor Ort gestellt und den Leuten gesagt, ich werde alle Vorschläge bewerten, aber auch: dann werde ich Entscheidungen treffen. Und da waren nachher alle zufrieden. Es gab also eine stark ausgeprägte Kommunikation. Und es gab eine Art Vertrag. Die Leute fühlten sich ernst genommen.
Kann eine Bewegung wie Gegenwind so einen Prozess stören?
Ja, das können wir nicht verhindern, aber der Weg ist dennoch der Richtige. Fahren Sie nach Baden-Württemberg: Dort macht Winfried Kretschmann gerade das Gleiche, auch Peter Altmaier geht in die Bütt. Warum sollte man eine Netzentwicklungsvereinbarung wie in Schleswig-Holstein nicht gesetzlich vorsehen? In der Vergangenheit wurde der Bürger oft vergessen, das haben alle verstanden und verbessert, wir brauchen keine „Wutbürger“. Der Netzbetreiber Tennet hat eine steile Lernkurve hingelegt, die Kommunikation verbessert, Alternativtrassen entworfen, nicht nur Ingenieure, sondern auch Quereinsteiger für den Perspektivwechsel eingestellt. Ich denke, man muss die Leute mitnehmen, und das geht auch.
Wie sieht es mit der Windbranche aus?
Das Thema Akzeptanz funktioniert in Schleswig-Holstein, wenn Bürgerwindparks umgesetzt werden. Bevor eine Windkraftanlage geplant wird, muss man mit den Leuten sprechen, vor deren Tür die Windparks entstehen. Man kann nicht ohne nach rechts und links zu gucken seine Geschäfte machen. Wenn es gelingt, lokale Handwerker einzubeziehen, hat man einen Windpark, von dem eine ganze Region profitiert.
Wie geht es mit der Windkraft in Schleswig-Holstein weiter?
Ich rechne damit, dass das Windmoratorium im Sommer 2019 beendet wird. Die Landesregierung stellt die aktualisierten Regionalpläne zur Konsultation. Wir werden das detailliert auswerten. Es wird noch in diesem Jahr mehr als 200 Genehmigungen geben. Das ist gut. Ein wichtiges Thema auch in Schleswig-Holstein ist der Weiterbetrieb von Anlagen nach 2020. Hier wird es sicher ein gutes Potential für Direktlieferverträge geben, das wollen wir nutzen, um Kunden grünen Strom zu liefern. Besonders liegt mir daran, dass die Eigentümerschaft – die sog. asset ownership – in Schleswig-Holstein bleibt, denn dann bleibt auch der wirtschaftliche Vorteil vor Ort.
Muss man sich vom Bürgerwind künftig verabschieden?
Auch klassische Bürgerwindparks sind Unternehmen, heute in der Regel Kommanditgesellschaften mit echten Unternehmensbeteiligungen. Es wird bestimmt weiterhin KGs mit direkter unternehmerischer Beteiligung geben. Hier wird man Formen finden, das Risiko für die breite Beteiligung zu begrenzen. Ich kann mir auch vorstellen, dass es Bürgerfonds als Kapitalgesellschaften gibt, in denen Bürger oder Kommunen Fondsanteile erwerben. Weitere Formen der finanziellen Beteiligung werden sich entwickeln. Ich bin überzeugt, dass das auf eine breite Nachfrage stoßen wird.
Interview: Nicole Weinhold