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Oberschwingung in Maßen

Integrationen von Grünstromanlagen in bestehende Netzinfrastruktur erfordern innovative Ansätze. Die Geothermieanlage der Silenos Energy Geothermie in Garching an der Alz zeigt, wie präzise Messtechnik eine Schlüsselrolle bei der Netzplanung und -zertifizierung spielt. Genauer: Wie bei einem schwachen Netzanschluss eine Netzrückwirkungen erzeugende Anlage mittels innovativen Einsatzes präziser Netztechnik leichter und schneller in Betrieb gehen kann.

Die vom Netzbetreiber vorgegebenen Sicherheitsgrenzwerte für Abweichungen von den idealen Elektrizitäts-Sinus-Einspeisekurven ließen sich in Garching nämlich nach einer Netzimpedanzmessung nach oben setzen, indem die Messung neue Kenntnis über die genauen Kurvenwerte und Stromeigenschaften erbrachte und übermäßige Sicherheitspuffer offenlegte, die sich dann natürlich erübrigten. Ähnliches dürfte künftig auch für Wind- oder Solarparks gelten, wenn eine genaue Ermittlung der Netzkapazität in Bezug auf Netzrückwirkungen vorgenommen wird.

Herausforderung Netzverträglichkeit

Die Strabag Umwelttechnik GmbH Dresden fungierte als Generalunternehmer für den Bau des Geothermiekraftwerks. Das Projekt wurde von April 2019 bis Februar 2021 umgesetzt und bietet Standortbesonderheiten wie zum Beispiel die Kühlung des Kreislaufmediums mit Wasser aus dem angrenzenden Industriekanal statt über Luftkühler. Außerdem kann die Strom erzeugende Geothermieanlage ihre elektrische Energie in das vorhandene Mittelspannungs-Ortsnetz im Gemeindegebiet Garching einspeisen.

Das Geothermiekraftwerk unterliegt dabei der Anschlussrichtlinie VDE-AR-N 4110, dem seit gut fünf Jahren existierenden Standard für alle Erzeugungsanlagen, die ans Mittelspannungsnetz angeschlossen werden. Die Richtlinie fordert einen Nachweis der Netzverträglichkeit, insbesondere durch Begrenzung von Netzrückwirkungen wie Oberschwingungsströmen. Erste Messungen innerhalb des Zertifizierungsprozesses zeigten, dass die Grenzwerte für Oberschwingungen teilweise überschritten wurden – und zwar entscheidend im Frequenzbereich der 35. und 37. Harmonischen, wie es physikalisch heißt. Oberschwingungen entstehen durch nichtlineare Lasten und können die Netzqualität erheblich beeinträchtigen. Am wahrscheinlichsten ist es, dass Frequenzumrichter der Pumpen im Geothermiekraftwerk die Oberschwingungen verursachten. Auch der Generator könnte eine Rolle gespielt haben. Zu den ersten Maßnahmen zählte die Installation spezieller passiver und aktiver Niederspannungsfilter, von denen zwei auf die Niederspannungsebene und einer auf die Mittelspannungsebene wirken, um die Harmonischen zu begrenzen. Allerdings blieben die Grenzwerte bei der 35. und 37. Harmonischen überschritten. Der Netzbetreiber empfahl im Herbst 2023 eine Messung der Netzimpedanz, die dann im Februar 2024 stattfand. Ziel war es, mittels detaillierter Analyse der frequenzabhängigen Netzimpedanz die tatsächlichen Resonanzen zu bestimmen.

Die sogenannte Netzimpedanz bestimmt die Spannungsverzerrungen, die aus Oberschwingungsströmen folgen. Das Bestimmen der Impedanzwerte erlaubt im Umkehrschluss also das genauere Berechnen der Grenzwerte für Oberschwingungsströme.

24-stündige Messung: Der mobile Netzimpedanzmesscontainer Onis-20kV ermöglichte in einem unkomplizierten Aufbau den Anschluss an die Kraftwerksanlage ohne Betriebsunterbrechung.

Messen frequenzabhängiger Netzimpedanz

Strabag hatte in Abstimmung mit dem Netzbetreiber Bayernwerk Netz die Morenergy GmbH beauftragt, am Netzanschlusspunkt zu messen. „Die mobile Messeinrichtung ermöglichte in einem unkomplizierten Aufbau den Anschluss an die Kraftwerksanlage ohne Betriebsunterbrechung. Innerhalb kürzester Zeit wurden die Messungen absolviert und die Ergebnisse ausgearbeitet“, lässt dazu Strabag wissen. Morenergy führte eine 24-stündige Messung mit dem Netzimpedanzmesscontainer Onis-20kV durch. Das System regt das Netz mit gepulsten Lastströmen an, wobei ein Lastwiderstand auf der Mittelspannungsebene zu hochfrequenten Strömen führt, was an der Netzimpedanz entsprechende Spannungen erzeugt. Diese ließen sich breitbandig analysieren. Daraus lassen sich dann frequenzabhängige Impedanzwerte bis zu 150 Kilohertz (kHz) bestimmen – das Messgerät wird hauptsächlich für die Messung von Oberschwingungen und Resonanzen im Bereich von 50 Herz bis 150 kHz genutzt.

Die Messergebnisse lieferten präzise Resonanzfaktoren, die dann in eine Grenzwertberechnung einflossen. Die in der Anschlussrichtlinie 4110 enthaltenen Berechnungsformeln beziehen hierbei Netzparameter (Kurzschlussleistung, Kurzschlusswinkel) und Anlagenparameter ein.

Verbesserte Netzplanung

Die frequenzabhängige Netzimpedanzmessung ermöglichte es aber nicht nur, die Grenzwerte für Oberschwingungen neu zu bewerten, sondern lieferte auch wertvolle Einblicke in das dynamische Verhalten des Netzes. Dies ist insbesondere bei Erneuerbare-Energien-Anlagen mit hohem Kabelanteil auf der Mittelspannungsebene von Bedeutung, wenn dort viele verkabelte Verbraucher sind. Die sogenannten kapazitiven Effekte der Kabel und schwach gedämpfte Netzkomponenten können zu unvorhergesehenen Resonanzen im Oberschwingungsbereich führen.

Das Projekt zeigt auch, wie wichtig eine genaue Abstimmung zwischen Betreibern, Zertifizierern und Messtechnik-Dienstleistern ist. Die Netzbetreiber können nicht alle Parameter ihres Netzes kennen, da die Netztopografie sich über die Zeit durch Zubau neuer Anlagen und Verbraucher verändern. Durch die Messung der Netzimpedanz werden alle relevanten Parameter erfasst und eine genauere Bewertung der Netzrückwirkungen ermöglicht. Dies verhindert unnötige Nachmessungen und erleichtert auch künftige Zertifizierungen.

Die Ergebnisse haben somit nicht nur zur schnellen Zertifizierung der Geothermieanlage geführt, die Ende 2023 die vorläufige Netzzusage erhielt und am 1. Oktober 2024 die endgültige Zulassung. Sie dienen auch als Blaupause für ähnliche Herausforderungen wie beim Repowern alter Wind- und Solarkraftanlagen. Zudem wurde die Bedeutung innovativer Messtechnik für die sichere Netzintegration der Erneuerbaren klar. Kombiniert mit effizienter Abstimmung wie zwischen Strabag Umwelttechnik, Morenergy und Bayernwerk lässt sie maximal mögliche Leistung ans Netz anschließen. 

Netzimpedanzmessung

Erfolgreiche.Zertifizierung
Im Zertifizierungsprozess des Geothermiekraftwerks Garching festgestellte Oberschwingungswerte übertrafen die zulässigen Obergrenzen. Nach einer vom Netzbetreiber empfohlenen Messung der Netzimpedanz – der Spannungsverzerrungen infolge der Oberschwingungen – zeigten deren Messergebnisse vom Februar 2024, dass die Resonanzfaktoren für die problematische 35. und 37. Harmonische unter den Worst-Case-Werten lagen. Danach konnten die lokalen Grenzwerte für Oberschwingungsströme ohne bauliche Maßnahmen angepasst werden. Dank dieses Belegs für die Netzverträglichkeit der Anlage ließ sich die Zertifizierung positiv abschließen.

Michael Jordan
Technischer Direktor und CTO, Morenergy

Foto: morEnergy

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