In Zeiten des Brexit und der Unabhängigkeitsbemühungen einer Gruppe Katalanen denkt man intensiver über das Thema Autonomie nach. Klar, die Briten und die Katalanen schneiden sich ins eigene Fleisch: die Hoffnung auf wirtschaftliche Vorteile verkehrt sich ins Gegenteil und darüber hinaus wird Europa unter Jubel der rechtsradikalen Parteien geschwächt.
Aber was hat unser Stromnetz damit zu tun, wird sich nun der Leser fragen. Ganz einfach, auch in Deutschland möchte manch einer einfach ausscheren, wenn ihm die eine oder andere Planung gegen den Strich geht. Die bayerische Regierung zum Beispiel hat kein Verständnis dafür, dass durch ihren schönen Freistaat neue Stromtrassen verlaufen sollen - so wie es aber die Energiewende verlangt. Offshore-Strom von der Küste soll einen Teil der Lücke schließen, die durch die Abschaltung der letzten deutschen Atomkraftwerke entsteht.
Martin Groll, Teammanager Unternehmenskommunikation Deutschland vom Netzbetreiber Tennet TSO GmbH, sprach auf dem Windintegration Workshop von Energynautics in Berlin über Akzeptanzprobleme beim Netzausbau. Er nahm die Bremser aus Bayern in seinem Vortrag auf die Schippe: Wenn Bayern keine Netze und also auch keinen Strom aus anderen Regionen Deutschlands will, dann muss sich der Freistaat eben im Sinne der Pariser Klimaziele autark mit erneuerbaren Energien versorgen. Autarkie bedeute für Bayern, 40 Terawattstunden Strom müssten vor Ort von 13.000 Windkraftanlagen, 15.000 Wasserkraftwerken, 2 Millionen PV-Anlagen und 16.000 Biogasanlagen erzeugt werden, so Groll. Das wiederum wollen Seehofer und Co. bestimmt nicht. Mit der 10H-Regelung haben sie die Windkraft durch übertriebene Abstandsvorgaben längst komplett ausgebremst.
In seinem Vortrag berichtete Groll über die Hürden für den Netzbetreiber beim Netzausbau. Die Anwohner von geplanten Trassen würden es als ungerecht empfinden, dass gerade vor ihrer Tür gebaut werden soll. Die Klimaziele seien den meisten in dem Moment egal. Die Südlink-Planungen nannte er als Beispiel für die Schwierigkeiten mit Akzeptanz. Dort hatte man nach langen Vorplanungen der Trasse schließlich den Schwenk zu Erdverkabelung gemacht, um die Zustimmung der Anwohner zu bekommen. Aber auch Erdverkabelung sei nicht problemfrei: Landwirte verlangten nun Entschädigungen. Und noch zwei unangenehme Wahrheiten: Nach Grolls Erfahrung wird auch die Verstärkung bestehender Freileitungen nicht akzeptiert. Und auch Speicher helfen nicht aus der Patsche. Zuletzt hatte Agora Energiewende noch einmal klar analysiert, dass Speicher den Netzausbau nicht ersetzen können.
7.200 Kilometer neue Leitungen
Carsten Siebels von Tennet Deutschland fasste zusammen, bis 2025 müssten 7.200 Kilometer neue Leitungen verlegt werden, aber es gebe keine Akzeptanz dafür. Er stellte Szenarien vor, die den Netzausbaubedarf verändern würden. Zum Beispiel, wenn man massiv auf dezentrale PV setzen oder die Nachfrage flexibilisieren würde, sei ein geringerer Netzausbau erforderlich, als wenn die Energiewende komplett mit Wind aus dem Norden realisiert würde. Er verwies auch auf die Möglichkeit, die bestehenden Leitungen zu verstärken und ihre Kapazität besser auszuschöpfen. Vor allem aber müsse die sozial-politische Diskussion weiter fortgesetzt werden. In dem Zusammenhang hatte Martin Groll das Land Schleswig-Holstein gelobt. Dort haben Industrie, Gesellschaft und Politik eng zusammengearbeitet bei der Vorbereitung des Netzausbaus, die Bevölkerung frühzeitig und kontinuierlich an dem Prozess beteiligt und dadurch tatsächlich den Netzausbau weiter vorangebracht als andere Bundesländer.
Eine visionäre Idee zur Integration erneuerbare Energien stellte dann noch Professor Mart van der Meijden von der Technischen Universität Delft vor. Er untersucht mit einem Konsortium aus Wirtschaft und Forschung die Möglichkeit, auf künstlichen Inseln in der Nordsee aus Offshore-Wind Wasserstoff zu machen. Statt Stromleitungen wären dann Gasleitungen das Thema. (Nicole Weinhold)