Das Bundeswirtschaftsministerium hat die Roadmap Systemstabilität veröffentlicht. Sie ist der offizielle Fahrplan dafür, dass von Wind- und Solarkraft dominierte Grünstromanlagen sowie Energiespeicher und Elektroladesäulen bis 2030 ganz alleine bewerkstelligen, dass der Strom in regelmäßigen Sinuskurven, mit hoher Wirkungsqualität sowie in stabiler Spannung und Frequenz durch die Leitungen fließt. Wenn 2030 mindestens 80 Prozent des Stroms im Netz gemäß den deutschen Energiewendeplänen aus überwiegend wetterabhängigen Grünstrom-Erzeugungsanlagen kommen wird, müssen sie die bisher von klassischen Kraftwerken geleisteten Aufgaben komplett übernommen haben.
Die Koalitionsparteien der aktuellen Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP hatten in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, den Fahrplan zu schreiben. Von Herbst 2022 an bis Ende 2023 arbeiteten mehr als 150 Personen aus mehr als 80 Unternehmen und Organisationen wie nicht zuletzt Übertragungs- und Verteilnetzfirmen, Anlagenbauer, Verbände, Normungsgremien und wissenschaftliche Institute an dem Projekt. In über 70 Sitzungen legten sie die Termine fest. Nach einem stufenweisen Übergabeplan sollen demnach Jahr für Jahr unterschiedliche Erneuerbare-Energien-Technologien ab 2024 die verschiedenen Systemdienstleistungen übernehmen.
Bisher halten klassische steuerbare Kraftwerke die Frequenz und die Spannung in den Stromnetzen aufrecht, indem sie aktiv bei auf- und abschwellendem Stromverbrauch sowie trotz immer mehr wetterabhängig von Wind und Sonneneinstrahlung bestimmter Erzeugung ihre Leistungen anpassten. Dies geschieht auf Anweisung der Netzbetreiber oder entsprechend den auf Strommärkten eingekauften und verkauften Flexibilitätsleistungen. Außerdem dämpfen die direkt mit dem Stromnetz verbundenen Kraftwerke mit fossilen Brennstoffen durch die Trägheit ihrer Generatoren die Schwankungen der Leistungskurven infolge plötzlicher Verbrauchsanstiege oder Erzeugungseinbrüche. Diese Systemdienstleistung nennt sich Momentanreserve: Kurzfristig höhere Frequenzen bei ansteigender Leistungseinspeisung bremsen die Turbinen der großen traditioneller Kraftwerke, weil ihre Rotation sich nur langsam den höheren Frequenzen anpasst. Einbrechende Leistungen erhöhen sie für mehrere Sekunden, weil sie nicht gleich schnell langsamer rotieren.
Hinzu kommen Eigenschaften wie Schwarzstartfähigkeit oder beispielsweise die dosierte Erzeugung von Blindleistung: Ist die Netzspannung beispielsweise einmal eingebrochen, müssen die Kraftwerke sie aus eigener Fähigkeit ohne elektrische Unterstützung aus dem Netz wieder aufbauen. Mit Blindleistung, einer im Netz mittschwirrenden aber nicht für den Maschinenantrieb nutzbaren Elektrizität, bringen sie aus dem Takt geratene Leistungskurven von Strom und Spannung wieder in den richtigen Rhythmus oder halten die Spannung über längere Strecken aufrecht. Auch die leistungselektronischen Umrichter können dies leisten. Sie erzeugen vor der Einspeisung aus den unregelmäßigen Strom- und Spannungskurven von Wind- und Sonnenanlagen die benötigten Sinuskurven. Die Umrichter können allerdings auch durch spezielle Programmierung automatisch die benötigten Dienstleistungen für das Stromnetz immer zu den richtigen Zeitpunkten bereitstellen. Eine vor Jahren schon eingeführte Systemdienstleistungs-Regelung für Erneuerbare-Energien-Anlagen greift allerdings bislang noch nicht ausreichend, weil Netzbetreiber den sofortigen Umbruch des Systems nicht riskieren und lieber die noch vorhandenen Altkraftwerke nutzen.
In der Roadmap Systemstabilität haben die beteiligten Akteure nun 51 Prozesse identifiziert und 18 zentrale Meilensteine bis 2030 bestimmt. Demnach soll ab 2024 eine marktgestützte Beschaffung der Blindleistung möglich sein und die Grundlagen der Zertifizierung netzbildender Stromrichter sollen klar sein. 2025 folgt die marktgestützte Beschaffung der Momentanreserve, ein regelmäßiger Systemstabilitätsbericht weist die Bedarfe aus. Geklärt wird dann auch sein, welche Kosten und Haftungen für die systemstabilisierenden Maßnahmen zu verrechnen sind, Anlagen für den Schwarzstart sind ausgesucht und ein Regelwerk für die sogenannte Primärregelung existiert, also für die Sofortreaktion von Kraftwerken auf Regelbedarf. In den übrigen fünf Jahren bis einschließlich 2030 folgen dann beispielsweise so wichtige Standards wie, dass 2026 die Anlagenfähigkeiten bekannt und abrufbar sind, dass 2027 die Erfahrungen mit netzbildenden Stromrichtern vorliegen, dass 2028 die Netzbetreiber sich auf sehr hohem Niveau inzwischen austauschen und gezielt von der niederen Spannungsebene zur höchsten und umgekehrt Blindleistung austauschen können oder dass von 2027 bis 2029 für die verschiedenen Netzebenen nach und nach die Anschlussregeln für netzbildende Stromrichter in Kraft treten. 2030 schließlich sollen die Prozessräume digitalisiert und die Datenräume einheitlich sein, netzbildende Stromrichter müssen dann „einen signifikantenBeitrag zur Systemstabilität“ leisten. Und auch ein Bewertungsverfahren für Resonanzstabilität liegt gemäß dem Fahrplan dann vor – grob erklärt dafür also, dass die Leistungskurven sich nicht durch Sondereffekte hochschaukeln.
Hier finden Sie den Fahrplan der Roadmap Systemstabilität.
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