Der Essener Energiekonzern Eon will in Deutschland unter anderem rund 140 neue Ladestandorte mit mehr als 1.200 Ladepunkten für das vom Bund geförderte Deutschlandnetz errichten. Jetzt hat das Unternehmen in Essen ein Test- und Innovationszentrum für Ladetechnologien und nachhaltige Energielösungen eröffnet, in dem es eigene Ladelösungen für Elektrofahrzeuge entwickelt und testet. Mathias Wiecher, CCO Eon Drive, verrät, welche Chancen der neue Standort bietet.
Was soll in Essen getestet werden?
Mathias Wiecher: Im neuen Testzentrum – es ist nicht das erste – erproben wir Technologien rund um die Ladeinfrastruktur, die wir unseren Kunden anbieten. Natürlich müssen wir sie vorher selbst ausreichend getestet haben: auf Funktionalität, auf Qualität, auf Sicherheit und auf die Integration ins Gesamtsystem aus Ladesäule, Fahrzeug, Solaranlage und Speicher. Es geht also ums Testen: Wie verhält sich die Technologie an den Schnittstellen? Wenn in der Anfangszeit ein Fahrzeug indirekt an einer Photovoltaikanlage hing und die Produktion wetterbedingt oft stoppte, wollten die ersten E-Fahrzeuge irgendwann nicht mehr laden. Solche Verhaltensweisen an den Schnittstellen untersuchen wir gemeinsam mit Partnern, also mit Fahrzeugherstellern, aber auch mit Herstellern von Photovoltaikanlagen oder Ladesäulen. Im neuen Testzentrum stehen uns dafür mehr Möglichkeiten und Kapazitäten zur Verfügung. Wir haben den Standort für Tests auf Funktionalität, Sicherheit und Integration ausgelegt und für immer größere Ladeleistungen dimensioniert.
Elektro-Lkw laden teilweise noch mit 260 Kilovolt.
Wie bewerten Sie das Thema Standards?
Mathias Wiecher: Für einige Schnittstellen gibt es Standards, die einer ISO-Norm folgen. Die ISO 15118 ist beispielsweise die Norm, die die Kommunikation zwischen Fahrzeug und Ladesäule beschreibt. Es gibt in einigen Bereichen aber nach wie vor Interpretationsspielräume. Deshalb ist es weiterhin erforderlich, alles zu testen. Wir als Eon bringen uns in verschiedenen Gremien ein, damit diese Standards sukzessive verfeinert werden und das Laden immer einfacher wird. Jetzt sprechen wir zum Beispiel auch schon über einen ganz neuen Ladestandard, der sich im Lkw-Bereich entwickelt. Dabei muss der Ein-Megawatt-Standard-Stecker direkt mitgedacht werden.
Ein Megawatt ist die neue Größenordnung?
Mathias Wiecher: Das ist das Ziel, auf das jetzt alle hinarbeiten: Ladeinfrastruktur-Hersteller, aber auch Truck-Hersteller wie Daimler und Volvo. Alle arbeiten daran, diese Größenordnung zu erreichen. Ein Megawatt ist die Richtung, in die es geht. Vielleicht werden es am Ende 900 oder 1.100 Watt. Das wird sich zeigen. Dabei sind zunächst einmal energetische Überlegungen wichtig: Wie viele Kilowattstunden wird ein Lastzug von 40 Tonnen pro 100 Kilometer brauchen? Wie groß kann die Batterie sein? Wie sehen die vorgeschriebenen Standzeiten von Lkw aus? Daraus ergibt sich die Auslegung der Batterie.
Der Elektro-Lkw von Daimler rollt in den USA schon über die Highways ...
Mathias Wiecher: Auch in Europa fahren schon Elektro-Lkw. Aber sie laden teilweise noch mit 260 Kilowatt. Zunächst muss die Technologie zertifiziert, dann die Infrastruktur entsprechend geschaffen werden. Und zwar für beide Anwendungsfälle: Erstens, der Lkw ist von A nach B unterwegs und muss zwischendurch stehen, um zu laden. Zweitens, im Depot selbst muss der Lkw mit Energie versorgt werden, während er mit Waren be- oder entladen wird. Beides bauen, betreiben und bieten wir an.
Wer hat die Ladeinfrastruktur in Händen?
Mathias Wiecher: In diesem Umfeld gibt es einen zunehmend starken Wettbewerb. Und das ist zunächst einmal gut für alle Beteiligten. Es gibt drei große Kategorien von Anbietern: Fahrzeughersteller wie Tesla, die ihr eigenes Netz aufgebaut haben. Die zweite Kategorie sind Unternehmen wie wir, die aus der Energiewirtschaft kommen und Netze bauen. Die dritte Gruppe sind Unternehmen, die aus dem Tankstellengeschäft kommen, wie Shell oder Total.
Stichwort Innovation: Wie sieht Ihr Engagement beim bidirektionalen Laden aus?
Mathias Wiecher: Wir sind voll dabei. Das Nutzen der Batterie im Fahrzeug für Anwendungen außerhalb des Fahrzeugs ist etwas, woran wir schon seit einiger Zeit mit Überzeugung arbeiten. Wir machen das zum Beispiel zusammen mit BMW, um zu testen, wie sich die Batterie dabei verhält. Schon nächstes Jahr könnten die ersten Nutzer davon profitieren. Ich nutze dann das Fahrzeug und die Batterie darin, um Strom ins Netz einzuspeisen, zu sparen und günstiger zu laden – und vielleicht sogar ein Einkommen zu generieren. Das ist eines der Themen, an denen wir arbeiten und die im neuen Testzentrum getestet und entwickelt werden.
Bidirektionales Laden schafft Flexibilität.
Mathias Wiecher: Richtig, erstens bietet sich die große Chance für den Nutzer des Fahrzeugs, noch günstiger elektrisch zu fahren. Und zweitens, indem wir die Flexibilität, die so eine Batterie bietet, für die Netzinfrastruktur nutzbar machen. Es geht darum, die neuen Einspeiser und Verbraucher im Netz flexibel zu machen, also Elektroautos, Wärmepumpen etc. Die eine Möglichkeit wäre, immer mehr Kabel zu verlegen. Der andere Weg ist, die Dinge so zu managen, dass ich mit der bestehenden Infrastruktur möglichst gut zurechtkomme. Und da spielen Batterien mit ihrer Speichermöglichkeit eine große Rolle.
Datenschützer hatten immer Bedenken, dass Verbraucher zu viel preisgeben ...
Mathias Wiecher: Als Eon sind wir nicht nur in Deutschland unterwegs, sondern europaweit. Es ist durchaus so, dass wir in anderen Ländern diesbezüglich mehr Pragmatismus und Innovationsbereitschaft sehen. Da gibt es zum Teil auch Unterschiede in der Denkweise. Also: Wie viel Flexibilität möchte ich haben und bin ich bereit, dafür Daten zu teilen? Mit Blick auf die Digitalisierung der Stromzähler sind andere Länder bei einer Smart-Meter-Durchdringung von bis zu 90 Prozent. Deutschland liegt aktuell noch bei weniger als zehn Prozent.