Der Indische Ozean. Unendliche Weiten. Bis sich ein kleiner schwarzer Fleck von der tiefblauen Meeresoberfläche abhebt. Er kommt näher, gewinnt an Kontur, steile vollständig grün bewachsene Hänge zeigen sich. Langsam werden die Umrisse der Hauptstadt Saint-Denis im Morgengrauen sichtbar. Landeanflug auf La Réunion.
Die 450 eher matt als aufgeregt wirkenden Passagiere kramen nach dieser zwölfstündigen Flugreise ihr Hab und Gut zusammen. Für die Strapazen soll die Insel ihre Urlauber schnell entschädigen – mit weißen Sandstränden, einer schroffen Vulkanlandschaft und üppigem grünen Bergland, das von einem Dutzend Palmenarten und 800 Blütenpflanzen bedeckt ist.
Die Kehrseite des Paradieses
Doch liegt hinter der paradiesischen Touristikseite von La Réunion und anderen tropischen Inseln noch eine zweite, die sie ihren erholungshungrigen Urlaubern nicht so leicht offenbaren. Zu dieser Kehrseite gehört die Energieversorgung. Der Primärenergielieferant ist mal flüssig, mal fest, er kommt per Tanker über den Seeweg und nennt sich Diesel oder Kohle. Das ist nicht nur eine ziemlich schmutzige Form der Energieversorgung, sie ist auch aufwendig und teuer. Laut Jeff Skeer von der International Renewable Energy Agency IRENA kostet die Energieversorgung die Inselstaaten fünf bis 20 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung. „Die fossilen Importe sind eine schreckliche Bürde für die Budgets der Inseln“, sagt Skeer.
La Réunion macht da keine Ausnahme, auch wenn ihre Bewohner weit mehr Glück haben als andere Insulaner: Die Insel ist französisches Staatsgebiet. Sämtliche Franzosen subventionieren den Inselstrompreis mit einem Soli. „Unsere Bürger zahlen nur zehn bis zwölf Cent pro Kilowattstunde. In der Produktion kostet sie dreimal mehr“, sagt Didier Robert, Präsident der Region La Réunion, im Gespräch mit ERNEUERBARE ENERGIEN.
Energetische Autarkie ist, obwohl Südseeinseln unschlagbar viel von einer Ressource – der Sonne – haben, schwierig. Denn von einer anderen Ressource haben sie naturgemäß viel zu wenig: Platz. Und der ist hart umkämpft. Da konkurriert der Tourismus mit seinem Bedarf an attraktiven Naturlandschaften mit den landwirtschaftlichen Nutzungsansprüchen und der möglichen energetischen Landnutzung.
Doch für dieses Dilemma hat ein französischer Projektierer und Anlagenbetreiber eine elegante Lösung gefunden: Die solaren Gewächshäuser von Akuo Energy verbinden erneuerbare Energien mit landwirtschaftlicher Produktion und sozialem Engagement. Und Gewächshäuser braucht es auch in den Tropen: als Schutz der empfindlicheren Pflanzenarten vor den regelmäßigen tropischen Stürmen und allzu heftigen Regenfällen. Im Schnitt fällt auf La Réunion dreimal mehr Regen als in Deutschland. Auf rund einem Drittel der Insel kommen laut Universität La Réunion jährlich mehr als vier Tonnen Wasser pro Quadratmeter herunter.
„Wir befriedigen alle Bedürfnisse einer Insel. Die Regierung muss sich jetzt nicht mehr zwischen der Nahrungsmittelproduktion und der Erneuerbare-Energien-Gewinnung entscheiden“, sagt Eric Scotto, Geschäftsführer von Akuo Energy.
Ein Dach, doppelter Nutzen
Das Konzept ist ziemlich simpel: Akuo sucht sich zunächst einen Landwirt als Partner. Ist das geschehen und der Standort genehmigt, baut der Projektierer das Gewächshaus und bestückt ein Drittel seiner Dachfläche mit Solarmodulen.
Hier kommt der Deal: Der Landwirt wird das Gewächshaus für mindestens 18 Jahre kostenlos pachten. Seine einzige Verpflichtung besteht darin, es im gesamten Zeitraum landwirtschaftlich zu nutzen. „Was er dort anbaut, ob Blumen oder Gemüse, ist ganz ihm überlassen. „In den landwirtschaftlichen Betrieb mischen wir uns nicht ein“, sagt Scotto. Akuo verkauft lediglich die vor Ort produzierte Energie an den Energieversorger. „Eine reine Solarfarm würden wir wegen der Flächenknappheit ohne diese doppelte Nutzung kaum genehmigt bekommen“, erklärt Scotto.
Umgekehrt hat kaum ein Landwirt das nötige Geld, so eine Anlage zu finanzieren. Schon der kleinste Gewächshauskomplex von Akuo Energy hat sieben Millionen Euro gekostet. Das 1,5 Hektar große Areal mit Gewächshäusern und Solardächern liegt im Süden von La Réunion. Die Hälfte der Investitionssumme verwendete Akuo für den tropensturmresistenten Gewächshauskomplex inklusive Regensammelbecken und anderer Einrichtungen. Der Rest des Geldes floss in die Ein-Megawatt-Solaranlage.
Projekt macht Schule
Vier solcher Anlagen hat Akuo bislang realisiert – allesamt auf La Réunion. Angefangen hat die Kombination aus Landwirtschaft und Solarenergienutzung beim Unternehmen zunächst viel bescheidener. „Am Anfang haben wir Landwirten einfach erlaubt, die freien Flächen zwischen den Modulen im Solarpark zu bewirtschaften“, sagt Scotto. Dieses Konzept haben sie bereits auf mehreren Inseln umgesetzt.
Nun soll auch das modernere Solargewächshaus andere Inseln erobern. „Unser nächstes Ziel heißt Indonesien“, sagt Eric Scotto. Die Bedingungen für den Umstieg auf Erneuerbare könnten auch dort kaum besser sein. „In Indonesien kostet die Kilowattstunde Strom in der Produktion zurzeit 37 Cent“, sagt Scotto. Da schlägt die saubere Solarenergie die fossilen Importe auch preislich um Längen.
Grünstromwandel à La Réunion
Die Vulkaninsel La Réunion im Westen von Madagaskar ist mit ihren 2.500 Quadratkilometern beinahe so groß wie das Saarland. Bald könnte sie sogar größer werden. Denn die Insel wächst – dank eines aktiven Vulkans im Westen, der immer wieder Magma an die Oberfläche befördert.
37 Prozent des Strombedarfs erzeugt La Réunion bereits erneuerbar. Die Windenergie hat daran mit gut 30 Megawatt einen relativ bescheidenen Anteil, verglichen mit den über 100 großen Solarparks, die auf 180 Megawatt Gesamtleistung kommen. Sie erzeugen gut 200 Gigawattstunden jährlich.
2012 gab es bei den 800.000 Einwohnern der Insel zusätzlich immerhin 1.200 privat installierte Photovoltaikanlagen. Zum Vergleich: Private Solarthermieanlagen betreiben sogar 125.000 Haushalte.
Noch kommt der meiste regenerative Strom von La Réunion aus den Flüssen. Bis zur geplanten vollständigen Energieautonomie mit Erneuerbaren im Jahr 2030 soll sich das ändern. Dann wird die Wasserkraft mit einem Anteil von 16 Prozent zweitstärkste Kraft sein, während ein Viertel des Regenerativstroms aus der Photovoltaik kommt.
Die Region fördert diese Energiewende im privaten Sektor mit einem Zuschuss von 3.000 Euro für PV-Anlagen zwischen drei und neun Kilowatt. Das gleiche Geld gibt es noch einmal für alle Bürger, die in einen privaten Stromspeicher investieren.
(Denny Gille)