Im Solarpaket 1 wurde die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung eingeführt. Damit kann die Solaranlage mit vereinfachten Regelungen im Mehrfamilienhaus von allen Bewohnern genutzt werden, ohne dass der Anlagenbetreiber zum Stromversorger wird. Ist das eine Option, auch um Mieterstrompojekte zu vereinfachen?
Sarah Debor: Die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung ist ein sehr interessantes Modell und eine gute Ergänzung, um dezentrale Energieversorgung in kleinere Mehrfamilienhäuser mit 10 Wohneinheiten zu bringen. Denn das klassische Mieterstrommodell sieht immer einen Energielieferanten vor, der alle energiewirtschaftlichen Pflichten übernimmt. Das kann der Vermieter in aller Regel nicht leisten, bei kleineren Immobilien lohnt sich auch für spezialisierte Dienstleister wie uns schlicht und ergreifend der Aufwand nicht. In Quartieren und großen Häuserblöcken ist der klassische Mieterstrom aber nach wie vor eine gute Option.
Das ist bei der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung anders?
Bei der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung wird dem Betreiber der Photovoltaikanlage nicht mehr aufgebürdet, Energieversorger sein zu müssen. Das ist durchaus sinnvoll. Denn er verkauft den Solarstrom anders als beim Mieterstrom nicht als einen Teil der Vollversorgung an die Bewohner. Diese müssen oder können sich selbst um den Lieferanten des Reststroms kümmern. Das heißt, für den Bewohner wird es etwas komplexer, weil er zwei Energielieferanten hat. Für den Betreiber der Photovoltaikanlage ist es kaum ein Unterschied, wenn er vorher ohnehin Solaranlagen betrieben und als Energielieferant aufgetreten ist, etwa weil er sowieso schon Mieterstromprojekte umgesetzt hat oder wenn er den Betrieb einem Energielieferanten übergeben hat. Denn dieser muss sich ohnehin um die Abrechnung und alle anderen Pflichten kümmern.
Bundestag verabschiedet Solarpaket 1
Doch beispielsweise für Wohnungseigentümergemeinschaften oder den Besitzer einer kleinen Mietimmobilie könnte dies ein Ansatz sein?
Ja. Für kleine Wohnungseigentümergemeinschaften kann die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung interessant sein, weil das Konzept energiewirtschaftlich schlanker ist. Es braucht dann lediglich einen Bewohner oder eine Bewohnerin im Haus, die sich um die Anlage und die Abrechnung der Strommengen kümmert und das auch kann. Anders liegen die Dinge wahrscheinlich bei beispielsweise einer großen Baugenossenschaft, die einen Bestand von vielen Wohnungen hat, die Dächer sanieren will und die Photovoltaikanlagen selbst betreiben möchte. Die will nicht 3.000 Abrechnungen erstellen. Hier ist es praktischer, einem Mieterstromanbieter die Vollversorgung mit allem Drum und Dran zu überlassen. Es ist also sinnvoll, zu differenzieren, für wen die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung nützlich ist. Klar ist: die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung wird den Mieterstrom nicht verdrängen.
Die beiden Ansätze werden parallel existieren. Wobei das Konzept der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung dann wohl für Wohnungseigentümergemeinschaften interessant wird?
Ja. Gebäude mit zehn Wohneinheiten sind in der Regel für ein Mieterstromprojekt zu klein. Wir müssen solche Anfragen immer wieder absagen, weil wir dort ein Mieterstromprojekt nicht wirtschaftlich umsetzen können. Denn in solch kleinen Projekten werden die Overhead-Kosten zu hoch, was die Vorteile des preiswerten Solarstroms wieder zunichte mach. Diese allgemeinen Kosten verteilen sich bei großen Gebäuden auf viele Nutzer und werden dadurch pro Wohneinheit geringer.
Das ist beim Betrieb durch eine Wohnungseigentümergemeinschaft aber auch so, oder?
Eine kleine WEG kann diese Overhead-Kosten senken. Denn in der Regel gibt es dort jemanden, der die Betreuung der Anlage und die ganzen Abrechnungen ehrenamtlich übernimmt. Das würde durchaus gehen, da die gesamten Pflichten eines Energieversorgers wegfallen. Dadurch wird es weniger aufwändig. Dazu kommt noch, dass die WEG mit ihrer Gemeinschaftsanlage keine laufenden Gewinne erwirtschaften muss. Die Anlage amortisiert sich innerhalb der Laufzeit durch den Eigenverbrauch und am Ende bleibt sicherlich auch noch etwas übrig. Das sind vielleicht 2.000 oder 3.000 Euro im Jahr. Aber mehr muss nicht erwirtschaftet werden.
BEE: Ampel muss den Markt jetzt schnell fürs Energy Sharing öffnen
Welche Overhead-Kosten fallen im Mieterstrom an, liegt es tatsächlich am aufwändigen Zählerkonzept?
Der Mieterstrom ist per se nicht so teuer. Es hängt immer davon ab, wie groß das Gebäude ist, wie groß die Photovoltaikanlage ist und wie viele Mieter sich am Projekt beteiligen. Alles, was zur Installation von Mieterstrom und zur Abstimmung des Messkonzeptes notwendig ist, ist zunächst einmal normale Projektentwicklung. Zudem wird es in Zukunft einfacher durch die Zulassung des virtuellen Summenzählerkonzepts, das ab 1.1.2025 eingeführt wird.
Wird dieses dem Mieterstrom und der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung einen zusätzlichen Schub geben?
Ja, aber wir sollten realistisch bleiben. Das Gesetz ist zwar verabschiedet. Aber die Netzbetreiber müssen dies auch umsetzen. Denn sie sind diejenigen, die die Verrechnungen am Summenzähler übernehmen müssen. Sie übermitteln uns Energielieferanten, wie viel Netzentgelte zu zahlen sind, wie viel EEG-Vergütung der Anlagenbetreiber bekommt. Für die Umsetzung der virtuellen Summenzählerkonzepte brauchen die Netzbetreiber Standards, sozusagen eine Formelsammlung, wie die einzelnen Strommengen nach der Erfassung abgerechnet werden. Diese muss vorher abgestimmt sein, damit sie standardisiert für unterschiedliche Projekte umsetzbar ist. Denn am Ende ist der virtuelle Summenzähler nichts anderes als eine Ansammlung von intelligenten Messsystemen. Die Berechnungen werden dann aber komplexer. Dies werden viele Netzbetreiber in Deutschland nicht zum 1.1.2025 schaffen. Wir sind aber sehr zuversichtlich, dass viele daran arbeiten und wir zusammen mit den Netzbetreibern vorankommen werden.
Einen ausführlichen Bericht zur gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung lesen Sie im aktuellen Heft von ERNEUERBARE ENERGIEN. Abonnenten können die Ausgabe online lesen. Falls Sie noch kein Abo haben, können Sie hier reinschnuppern. Sie können die Ausgabe auch als Einzelheft bestellen.
Aber die Smart Meter hängen ja alle hinter dem Zählpunkt und wie die einzelnen Hausbewohner den Strom untereinander aufteilen, kann dem Netzbetreiber eigentlich egal sein? Denn die Abrechnung erfolgt ja innerhalb der Kundenanlage.
Das ist erst einmal richtig. Aber der Netzbetreiber hat trotzdem eine sehr wichtige Rolle, weil er dem Energielieferanten die Höhe der Netzentgelte mitteilen muss. Das bedeutet, er muss genau wissen, wie viele Mieter den Solarstrom nutzen und wie viele ausschließlich Netzstrom beziehen. Denn für den Solarstrom im Gebäude fallen ja keine Netzentgelte an. Wenn alle im Gebäude Mieterstrom beziehen, ist es einfach. Aber sobald sich eine Wohneinheit nicht beteiligt, wird die Abrechnung der Netzentgelte komplexer. Der Netzbetreiber muss entsprechend ein System schaffen, das für alle möglichen Fälle funktioniert, damit wir eine korrekte Rechnung bekommen. Wenn dann noch steuerbare Lasten wie Wärmepumpen im Gebäude hinzukommen, wird es noch komplexer. Noch komplizierter wird es, wenn beispielsweise eine Gewerbeeinheit hinzukommt, die beim Mieterstrom nicht mitmacht, aber viel Strom im Haus verbraucht. Dann nutzt diese physikalisch natürlich den Solarstrom. Dadurch fließt physikalisch weniger oder sogar gar kein Solarstrom ins Netz. Aber kaufmännisch müssen diese Strommengen anders abgerechnet werden.
Bürgerenergiegemeinschaften wollen ihren Strom einfacher selbst nutzen
Wird sich das mit intelligenten Zählern und Smart Meter Gateways ändern?
Grundsätzlich schon. Doch darf man den Aufwand nicht unterschätzen. Schließlich werden die Formeln für die korrekte Berechnung der einzelnen Strommengen komplexer und dies muss die Software beim Netzbetreiber abdecken können. Die Netzbetreiber arbeiten zwar schon mit Abrechnungssoftware. Doch das Konzept des virtuellen Summenzählers und auch die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung sind Sonderfälle, die bisher noch nicht einprogrammiert sind. Dies müssen die Netzbetreiber erst einmal umsetzen. Dies wird sicherlich noch eine Weile dauern, bis alle Kombinationen von gemeinschaftlichen Solaranlagen mit Speichern, Wärmepumpen, Ladesäulen für Elektroautos in die Software integriert sind.
Wie können Sie als Energieversorger die Netzbetreiber zwingen, dies schneller umzusetzen?
Es steht nicht im Gesetz, dass die Netzbetreiber bis zum 1.1.2025 alles fertig haben müssen. Wir dürfen zwar die virtuellen Summenzählerkonzepte umsetzen und auch die gemeinschaftlichen Gebäudeanlagen sind erlaubt. Doch wenn der zuständige Netzbetreiber seine Prozesse noch nicht aktualisiert hat, gibt es keine Möglichkeit der Bilanzierung und Abrechnung. Die Bundesnetzagentur arbeitet mit Hochdruck daran, dass es umgesetzt wird.
BVES fordert einfache Regelungen für lokalen Austausch von Solarstrom
Hängt es auch ein bisschen am schleppenden Smart-Meter-Rollout?
Das kommt noch dazu. Trotz aller Herausforderungen sind Modelle wie Mieterstrom und gemeinschaftliche Gebäudeversorgung unglaublich wichtige Pfeiler der Energiewende. Komplexität braucht Zeit. Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir ab 2025 das Modell des virtuellen Summenzählers umsetzen werden aber sicherlich noch nicht so standardisiert und flächig wie wir uns das wünschten und wie es die Energiewende bräuchte.
Das Gespräch führte Sven Ullrich.
Einen ausführlichen Bericht zur gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung lesen Sie im aktuellen Heft von ERNEUERBARE ENERGIEN. Abonnenten können die Ausgabe online lesen. Falls Sie noch kein Abo haben, können Sie hier reinschnuppern. Sie können die Ausgabe auch als Einzelheft bestellen.