Die Berichterstattung über die Jamaika-Koalitionsverhandlungen gleichen sich seit Wochen: Es hänge noch an den Theme Klimaschutz und Flüchtlinge, heißt es da. Dann gibt es Statements - zum Beispiel von Armin Laschet, CDU-Ministerpräsident des Kohlelandes NRW, der erklärt, Deutschland könne auf seine Kohlekraftwerke nicht verzichten, denn sonst müssten gewaltige Mengen an Kohle- und Atomstrom aus Polen und Frankreich importiert werden. Doch die Wahrheit ist, dass Deutschland noch nie so viel Kohlestrom exportiert hat, wie heute. Die deutschen Stromexporte haben sich in den vergangenen fünf Jahren nahezu verzehnfacht.
Grund dafür ist eine Überproduktion aus Braunkohle- und Steinkohle-Kraftwerken. Das geht aus einem Gutachten für die Grünen-Bundestagsfraktion hervor, das im August veröffentlicht wurde. Demnach sind die hohen deutschen Stromüberschüsse auf die seit 2009 konstant auf hohem Niveau gebliebene Stromerzeugung aus Braunkohle-und Steinkohle-Kraftwerken zurückzuführen. Die erneuerbaren Energien werden ausgebaut, doch sie können nicht ins Netz einspeisen, weil dieses von Kohlestrom verstopft wird. Denn die Kohlekraftwerke laufen ungebremst weiter. Ein solches Statement wie das von Laschet darf einem Massenpublikum nicht unkommentiert präsentiert werden, denn viele können die Aussage nicht einschätzen.
Zum einem weiteren Jamaika-Rangel-Thema: 10 oder 20 Kohlekraftwerke sofort abschalten? Ganz einfach: Laut Klimaschutzsofortprogramm besteht gegenüber dem Klimaschutzziel von minus 40 Prozent im Jahr 2020 eine Minderungslücke von 12,4 Prozent oder 156 Mio. t CO2. Man muss gar nicht darüber nachdenken, ob nun Union und FDP mit ihrem Ziel von 32 bis 66 Millionen Tonnen richtig liegen. Nein! Das reicht nicht.
Ernst-Christoph Stolper, stellvertretender BUND-Vorsitzender, hat mit seinem heutigen Pressestatement den Nagel auf den Kopf getroffen: „Bis jetzt waren die Jamaika-Sondierungen klimapolitisch absurdes Theater. Anstatt endlich die Klimaversprechen der Kanzlerin anzugehen, versucht sich ihre Partei in ,alternativen Fakten' zum Stand des Klimaschutzes in Deutschland." Das sei in hohem Maße unseriös. Jamaika wäre auf Sand gebaut, wenn es mit einem klimapolitischen Wortbruch beginnt. „Die Verhandler von Union und FDP hinken der gesellschaftlichen Diskussion um Jahre hinterher und entwickeln sich zur Innovationsblockade.“ So muss es zwangsläufig jedem vorkommen, der Klima- und Energiepolitik in Deutschland verfolgt.
Nicht nur gesellschaftlich, sondern auch technisch erwecken die konservativen Parteien den Eindruck, wir befänden uns in den 80er Jahren, nicht im Jahr 2017. Inzwischen haben die erneuerbaren Energie sich längst als sechsstelliger Jobmotor etabliert, der die fünfstelligen Kohlejobs um ein Vielfachen übertrumpft - und noch mehr könnte, wenn nicht gebremst werden würde. In Schweden entsteht gerade Europas größter Windpark, um die Aluminiumhütten von Norsk Hydro mit billigem Windstrom zu versorgen. Das ist heute Realität. Die stromintensive Industrie nutzt Windkraft als billigen Versorger.
Und trotzdem stellt sich FDP-Mann Lindner vor die Kamera und tut so, als hätten verrückte Hippies die Idee, den guten deutschen Industriestandort zu vernichten. Autsch! Und dabei hatten die viel versprechenden jungen Start-ups im Bereich Clean Energy auf die FDP als Markt-orientiert Partei gehofft. Mit einer so rückwärts gewandten Einstellung eines Großteils der Jamaika-Partner muss man auch gar nicht starten. Dafür sollten sich die Grünen nicht verbrennen. Dann heißt es Nein und dann heißt es Neuwahlen.
Zur Erinnerung: Deutschland ist in diesem Jahr das Land, das die Weltklimakonferenz austrägt, COP 23. In der Vergangeheit haben die Austrägerländer sich immer über die Maße engagiert (was etwa das Klimaabkommen von Paris belegt). Und Deutschland? Wir werden von der Europäischen Union verklagt, weil unsere Kohlekraftwerke zu schmutzig sind. Anders als die meisten anderen EU-Länder schaffen wir unsere CO2-Ziele für 2020 nicht. Längst hätte Kanzlerin Merkel ihre Leute krachend zur Ordnung rufen müssen, längst hätte ein vernünftiger Kohleausstiegsplan verabschiedet sein sollen. Das ist ein Skandal für die Ex-Klimakanzlerin.
Es gibt keine Erklärung dafür, dass sich ein Noch-Verkehrsminister Dobrindt (CSU) vor die Kameras stellen darf, um die Verkehrswende gänzlich abzublasen. Wasilis von Rauch, Bundesvorsitzender des ökologischen Verkehrsclubs VCD, erklärte in einer Pressemitteilung, der Verkehr sei der einzige Sektor in Deutschland, der bislang nichts zum Erreichen der Klimaziele beigetragen hat. Bundeskanzlerin Merkel müsse endlich Verantwortung beim Klimaschutz im Verkehr übernehmen. "Die künftige Bundesregierung muss sich auf EU-Ebene für eine CO2-Minderung bei Neuwagen um mindestens 60 Prozent bis 2030 einsetzen und sofort in die Verkehrswende einsteigen.“ Mit den Unions-Parteien ist das nicht zu machen. Denn Autoland Deutschland hat jahrelang die Vorgaben ignoriert und die Entwicklung verfehlt.
Bleibt die Frage, wie es sein kann, dass das Volk sich in Umfrage immer wieder mit großer Mehrheit für Klimaschutz ausspricht, aber die Volksvertreter nur die Interessen der fossilen Energiewirtschaft und der Autoindustrie unterstützen. Gegen die Logik des Klimaschutzes, gegen die EU, gegen die Bürger. (Nicole Weinhold)