Es war eine Zahl, die Aufmerksamkeit erregte: Mindestens 460.000 Euro wolle die Abo Energy pro Anlage und Jahr als Pacht im geplanten Windpark Winterstein in Hessen zahlen, meldete die lokale Presse. Ein neuer Superlativ?
Die Höhe der Pachtzahlungen ist in der Windbranche eigentlich ein gut gehütetes Geheimnis. Auch Abo-Energy-Sprecher Alexander Koffka will die Zahlen nicht offiziell bestätigen, sagt aber: „Beim Windpark Winterstein sind wir an unsere Schmerzgrenze gegangen. Das Projekt so nah an unserem Firmensitz in Wiesbaden ist für uns etwas Besonderes.“ Bis 2028 will Abo Wind am Rande des Taunus bis zu 13 Windenergieanlagen des Typs Vestas V172 mit je 7,2 Megawatt (MW) errichten. Als Flächeneigentümer profitiert vor allem die öffentliche Hand: die Standortgemeinden und Hessen Forst.
Das Zwei-Prozent-Ziel ist noch fern
Das energisch vorangetriebene Ziel der Bundesregierung, die erneuerbaren Energien auszubauen, hat eine neue Dynamik in der Branche ausgelöst – und einen Run auf die Flächen. Die simple Wahrheit lautet: ohne Fläche kein Projekt. Doch Flächen sind ein knappes Gut. Zwar sind die Länder verpflichtet, mindestens 2,2 Prozent ihrer Fläche für die Windenergienutzung auszuweisen. Noch ist es aber nicht so weit. Und so stiegen die Pachten.
In der Branche wird vor allem die öffentliche Hand für die Entwicklung verantwortlich gemacht: „Die Flächen werden zum Teil europaweit ausgeschrieben und der Bieter mit der höchsten Summe kommt zum Zug“, sagt Koffka und sieht darin eine ungute Entwicklung. Zum einen, weil hohe Gebote finanziell besser aufgestellter Konzerne Mittelständler überforderten, mit negativen Folgen für die Akteursvielfalt. Zum anderen sei die Wirtschaftlichkeit der Projekte in Gefahr. „Wenn einzelne Marktteilnehmer bis zu 50 Prozent der Erlöse den Flächeneigentümern zusagen, stellt sich schon die Frage, ob diese Projekte wirtschaftlich umsetzbar sein werden.“
Flächen für Eigenstromversorgung
Doch nicht nur klassische Projektentwickler, auch Industrieunternehmen kritisieren die Entwicklung: „Wir erleben zunehmend, dass die Industrie überhaupt keine Möglichkeit mehr hat, bei der Vergabe von Flächen zur Nutzung von Windkraft zum Zuge zu kommen“, sagt Nicolas Christoph, verantwortlich für Windenergie bei Koehler Renewable Energy. Das Tochterunternehmen des Papierherstellers Koehler ist dafür zuständig, die bilanzielle Versorgung des energieintensiven Betriebs mit Grünstrom sicherzustellen. Umso bitterer sei es gewesen, dass das Unternehmen ein Projekt für die direkte Selbstversorgung eines Standorts im Schwarzwälder Murgtal habe aufgeben müssen, „weil wir bei der Pachthöhe nicht mit dem mitbietenden Energiekonzern mithalten konnten“, so Christoph. Er sieht darin eine Bedrohung für die energieintensive Industrie, die Arbeitsplätze und regionale Wertschöpfung sichere, aber als Grundlage für die Produktion bezahlbaren Grünstrom brauche. „Das Schielen der Bürgermeister auf die höchsten Pachtpreise ist ökonomisch kurzsichtig“, kritisiert er.
Auch Lutz Wiese, Sprecher bei Vattenfall, der Siegerin beim Wettbewerb um die Murgtal-Flächen, nennt die aktuellen Pachthöhen „herausfordernd“. „Es ist aber letztendlich ein Wettbewerb unter den Projektentwicklern und weniger eine Forderung der Kommunen“, nimmt er die öffentliche Hand aus der Verantwortung. „Und in der Regel ist es aktuell so, dass das Angebot mit der höchsten Pachtzahlung den Zuschlag erhält.“
Beim Bundesverband Windenergie (BWE) will man allerdings nicht von einer generellen Explosion der Preise sprechen. „Wir sehen eine sehr große Spreizung“, sagt Geschäftsführer Wolfram Axthelm. Man könne aber nicht von Ausreißern, die medial Aufmerksamkeit erregten, auf die Gesamtheit schließen. Allerdings: „Wir sehen eine wachsende Zahl von Ausreißern vor allem durch die Ausschreibungen der öffentlichen Hand.“ Ein Widerspruch zum Ziel der Bundesregierung, preiswerten Grünstrom zu fördern, kritisiert er, denn am Ende müssten die hohen Pachten wieder eingespielt werden – durch höhere Strompreise. Zudem könnten sich private Eigentümer an diesen Zahlen orientieren und die Preisschraube noch weiter nach oben drehen, warnt er. Allerdings: „Wir nehmen auch wahr, dass die Ausschreibungen der staatlichen Eigentümer nicht mehr überzeichnet sind“, so Axthelm.
Gemeindebund weist Kritik zurück
Die so harsch Kritisierten weisen die Kritik zurück: In transparenten und nachvollziehbaren Verfahren werde nach den Kriterien Wirtschaftlichkeit, regionale Wertschöpfung und Bürgerbeteiligung gewichtet, antwortet die Behörde Hessen Forst schriftlich auf eine Anfrage. Pachtpreise würden grundsätzlich nicht veröffentlicht. „Wir stellen jedoch ein reges Interesse an den Windenergiestandorten fest. Einen signifikanten Trend der Pachtpreissteigerungen können wir gleichwohl nicht feststellen.“
Auch der Städte- und Gemeindebund sieht seine Mitglieder zu Unrecht kritisiert. Es sei nicht zutreffend, dass Städte und Gemeinden bei der Verpachtung eigener kommunaler Grundstücke besonders hohe Pachtzinsen für Windkraftstandorte verlangen, sagt der zuständige Dezernent Bernd Düsterdiek. „Die Höhe der Pachtzahlungen für Windkraftanlagen bewegt sich nach unserer Einschätzung auf einem ähnlichen Niveau wie bei sonstigen landwirtschaftlichen Flächen.“ Er verweist zudem auf die unterschiedlichen Bedingungen auf den Flächen und damit auch auf variierende Pachthöhen. „Im Durchschnitt dürften die Pachteinnahmen pro Windkraftanlage zwischen 0,5 und 3 Prozent der jährlichen Einnahmen aus dem Verkauf des erzeugten Stroms liegen“, so Düsterdiek, räumt aber ein: „Belastbare Daten liegen uns indes nicht vor.“
Wie lässt sich das Problem lösen? Schon 2022 forderte der BWE in einem Positionspapier, eine dynamische Obergrenze für Pachten gesetzlich festschreiben zu lassen, drang damit jedoch nicht durch – die entwickelte Formel aus mittleren Pachthöhen landwirtschaftlicher Flächen und Daten des Windparks sei im Ministerium als zu kompliziert empfunden worden, räumt Geschäftsführer Axthelm ein. Man diskutiere eine abgespeckte Version. Wichtiger sei jedoch eine „schnelle Erweiterung der Flächenkulisse“, um Druck aus dem Markt zu nehmen.
Alexander Koffka plädiert dafür, zumindest in den Ausschreibungen größeres Gewicht auf softe Faktoren wie die Minimierung von Flächeneingriffen, Bürgerbeteiligung und Akzeptanzmaßnahmen zu legen. „Grundstückseigentümer sind üblicherweise prozentual an den Erlösen beteiligt. Daher profitieren sie von der deutlich gestiegenen Leistung der Anlagen“, sagt er. Einen Anteil von zehn Prozent an den Erlösen hält er für fair.
Nicolas Christoph könnte sich eine Art „Mietpreisbremse“ für Pachthöhen vorstellen. „Der Energiemarkt ist so reguliert, dass wir nicht zu einer fairen Aufteilung der Erlöse kommen, wenn die Pachten keiner Regelung unterworfen werden.“ Eine Fair-Value-Formel, die allen auskömmliche Anteile sichert und einen Vorrang der ortsansässigen Industrie, wenn diese die Flächen für ihre eigene Energieversorgung nutzen will, könnte er sich vorstellen. Und mehr Transparenz: „Ich würde meine Zahlen offenlegen, wenn es dazu dient, faire Bedingungen und einen Überblick über die allgemein gezahlten Pachthöhen zu liefern.“