Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Bodensee-Oberschwaben sah es offenbar an der Zeit, die Zeit des Zuschauens zu beenden. In einem langen Appell, der sich offenbar zugleich an die windkraftskeptische Öffentlichkeit in dem konservativen Landstrich südlich der Landeshauptstadt Stuttgart und an die nur zaghaft für mehr Tempo eintretende Landesregierung wandte, drängt die IHK Bodensee-Oberschwaben nun: „Das ist zwingend notwendig, für eine sichere und treibhausgasneutrale Versorgung und Versorgungssicherheit unserer Region. Dabei ist es von Vorteil, wenn die Stromerzeugung nahe am Verbraucher ist. Daher befürworten wir die ermittelten Flächen. Zu bezweifeln wird jedoch sein, ob auf allen Flächen Windkraft- und Photovoltaik-Freiflächenanlagen im weiteren Prozess entstehen werden.“
Der Appell bezieht sich auf die sogenannte Regionalplanung der drei Landkreise in der Region. Der als Netzwerk und demokratische Planungsplattform der Kommunen fungierende Regionalverband will bis 30. September 2025, in einem Jahr also, endgültig über die Auswahl der bis 2032 für die Windkraft freizugebenden Planungsflächen entschieden haben. Regionalpläne sehen Vorrang- oder Eignungsflächen-Teilpläne für die Windkraft vor, die den Ausbau von Windparks auf diese Flächen beschränkt. Zugleich schaffen die Regionalpläne als demokratisch ermittelte Planungsgrundlage auch Sicherheit gegen langfristigen Rechtsstreit aufgrund von Klagen durch Windkraftgegnern oder gegen konkurrierende Interessen an der Flächennutzung wie zum Beispiel durch den Tourismus.
Wie die regionale Schwäbische Zeitung nun aus einem Interview mit dem Verbandsdirektor Wolfgang Heine des Regionalverbands Bodensee-Oberschwaben zitiert (RVBO), wollen die RVBO-Hauptverantwortlichen eine Fläche von zwei Prozent und damit leicht mehr als die im Bundesgesetz von Baden-Württemberg verlangten 1,8 Prozent der Landesfläche für die Nutzung freigeben. Spätestens Anfang 2025 will der Regionalverbandsdirektor erklärtermaßen die Planentwürfe für die Diskussion in der Öffentlichkeit und in der Politik vorlegen.
Das Interesse der regionalen Wirtschaft ist gemäß dem IHK-Vorstoß sowohl der Sorge um bezahlbare günstige Strompreise geschuldet, die sich die IHK von den Windparks oder auch Solarparks verspricht. Aber auch die drohende Aufteilung Deutschlands in eine süd- und eine norddeutsche Strompreiszone bewegt den IHK. Würden solche Pläne seitens der Bundesnetzagentur ernsthaft verfolgt und durchgesetzt, würde der Strom in Norddeutschland aufgrund des vielen eingespeisten Windstroms günstiger. Süddeutsche Netzkunden müssten dagegen für den Import von norddeutschem Wind- und vielleicht französischem Atomstrom draufzahlen – weil Kohle- und Atomkraftwerke in den beiden südlichen Bundesländern Baden-Württemberg und Bayern inzwischen abgeschaltet wurden oder weiter abgeschaltet werden, aber in einem Negativszenario nicht genügend Wind- uns Sonnenkraftanlagen die Versorgungslücke füllen können. Weil aber auch nach einem Zubau von Windkraft noch Strom aus den windreichen Meeresgebieten nach Süddeutschland fließen müsste und weil Wasserstoff als grüner Treibstoff für nicht elektrifizierbare Energieversorgungsbereiche etwa im Verkehr oder in der Wärmebelieferung benötigt wird, drängte die IHK auch noch einmal auf den raschen Ausbau der Netze.
Für den im Planungsgebiet bereits weitgehend projektierten Windpark Altdorfer Wald, den die Stadtwerke des Donau-Oberzentrums Ulm federführend planen, gibt es beispielsweise bereits Interesse an Beteiligungen oder Stromlieferverträgen durch Konzerne wie MTU oder Hymer. Der Windpark könnte bis zu 39 Anlagen entstehen lassen mit einer Gesamterzeugungskapazität von 280 Megawatt. Insgesamt erwartet der Planungsverband ein Raumpotenzial für die Windkraft von mehr als 200 Windenergieanlagen bereitstellen zu können.
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