In diesem Artikel erklärt der Höhenwind-Experte Horst Bendix unter dem Titel "Chancen und Aufgaben zu Binnenwindanlagen - hoher Erträge mit Industrie 4.0", welche Möglichkeiten die Windkraft in der Höhe bietet und wie sie zu realisieren ist.
"Die Grenzen des Wachstums sind noch nicht erreicht..." sagten die Experten im White Paper 6/2016 des BWE im November 2015 - und die führenden Hersteller Deutschlands haben in den vergangenen beiden Jahren erneut bewiesen, dass und in welchem Maße die entscheidenden Daten und Eigenschaften neuer Binnenwindanlagen weiter verbessert und wachsen konnten.
Enercon titelt in seinem Kundenmagazin Windblatt 02/17 "Vorstoß in neue Höhen", womit die erreichten 230 m Bauhöhe der E-141 EP4 erläutert werden. Gratulation gilt dem Ziel von rund elf Gigawattstunden Jahresertrag (GWh/a) dieser Anlage ebenso wie den bereits nachgewiesenen über neun GWh/a mit der N131/3300 in diesem Jahr, wenn man die durchschnittlichen Erträge pro Standort der bisher in unserem Land betriebenen Binnenwindanlagen vergleicht. Kritischer erscheinen diese Daten, wenn man die erforderlichen und verbauten Massen allein für den Turm betrachtet. Jeder Vorteil hat auch einen Nachteil - und muß mit bezahlt werden.
An mehreren Stellen stoßen wir nunmehr an Punkte, die eindeutig verlangen, dass Innovationen notwendig sind und mit Mut und Konsequenz durchgesetzt werden, damit das notwendige Schrittmaß der Energiewende erfolgreich und vertretbar gesichert werden kann.
Ganz aktuell sprechen uns die zwölf Thesen der Agora Energiewende 2030 "The Big Picture" (Megatrends, Ziele, Strategie) und eine Zehn-Punkte-Agenda für die zweite Phase der Energiewende an. Unser Planet bietet uns zu jeder Zeit in jedem benötigten Umfang, in jeder Region, ohne Rückstände und Abfall - regenerative Energien zu gewinnen und zu nutzen.
Agora Energiewende 2030 braucht mehrfache Energieerträge pro Standort im Binnenland - nicht wegen der Verspargelung der Landschaft, obgleich sich auch dies ändert - sondern mit Innovationen für spezifisch günstigere, höhere Türme, für größere Antriebe in geeigneter Konfiguration, einschließlich zugehöriger Rotoren und bisher ungewohnter Verfahren für das Errichten, Ausrüsten und Betreiben neuer Anlagen .
Nabenhöhen von 300 Metern
Wir müssen den Wind im Binnenland mit Nabenhöhen (NH) von 200 Meter (m) bis 300 m nutzen, um höhere Energieerträge zu ermöglichen. Von Natur aus gibt es dagegen keine Vorbehalte. Geeignete technische Mittel und Verfahren sind gefragt. Das Finden und die Auswahl geeigneter Standorte wird eine völlig neue und bedeutende Aufgabe. Der Gesetzgeber und seine Bevollmächtigten werden dazu neue Fragen der Standortpolitik behandeln und der Antragsteller hat wie beim Bauantrag für ein hohes Gebäude, für eine Antenne oder Ähnliches die sich ergebenden Anforderungen zu erfüllen.
Anders als bisher werden Einzelstandorte oder auch mehrere neue, hohe Anlagen (Beispiel BMW Leipzig) in Industrie- und Gewerbegebieten in Frage kommen, die größere Gesellschaften, Gruppen, Städte oder Gemeinden beziehungsweise Unternehmen betreffen. Das standortbezogene Messen der meteorologischen Verhältnisse wird kosten-, zeit- und kapazitätsbezogen sowie verantwortungs- und wissensbezogen deutlich aufwendiger, was den neuen Zielen vom Vervielfachen der Energieerträge zurecht geschuldet ist. Es geht nach Voruntersuchungen und aus Vergleichen mit Unterlagen führender Hersteller um Jahresenergieerträge in der ersten Phase von bis zu 40 GWh/a und mit positiven Ergebnissen neuer Rotorentwicklungen um Erträge über 60 GWh/a pro Standort.
Im Bereich von 160 m bis zu 180 m NH wird mit Mut zu hartnäckigen, geschickten Turmquerschnittsausführungen mit dem Werkstoff Stahl noch eine Stufe höhere Antriebsleistung erreichbar sein. Dabei stehen auf jeden Fall die logistischen Fragen ( Bauweise, Transport und Montage des Rotors) im Vordergund. Mit höherer Nabenhöhe als 200 m führt die Rotorkraft am klassischen Turm zu Einspannmomenten am Boden, die stets über 360° ertragen werden müssen und zu Querschnitten, Abmessungen und Eigenmassen des Turmes, die in jeder Beziehung - insbesondere aus logistischen Gründen - wirtschaftlich nicht mehr vertretbar sind.
Über die Bereitschaft ,eine neue Turmstruktur anzuwenden, die das Prinzip des feststehenden Turmes, das Einspannmoment am Boden über den Vollkreis 360° zu gewährleisten, gelingt es, durch Wandlung in beherrschbare Kräftepaare und eingeschränkte Anteile des Vollkreises die entstehenden Kräfte mit der neuen Turmstruktur in technisch und wirtschaftlich vertretbare Grenzen zu ordnen (In vergleichbarer Anwendung des bekannten Überschlags nach Schaumann: "MW-Antrieb mal Nabenhöhe" ergäbe sich mit bisheriger Turmbauweise für 8 MW in 200 m NH, ca. 1600 t , mit neuer Turmstruktur zeigt eine Vorberechnung die Hälfte.)
Der drehbare Turm
Die neue Turmstruktur ist der "drehbare Turm" - der "Turning Tower " - mit vertikaler Säule am Rotor, gestützt von zwei gespreizten Säulen nach hinten. Alle Säulen bewegen sich über den Antrieb auf einer Kreisbahn oder einer Drehverbindung, die gleichsam die Standsicherheit erfüllt. Bisher trägt der Turm in Nabenhöhe den Rotor und die Gondel mit dem Antrieb - und hat die statischen und dynamischen Kräfte in allen Ebenen aus dem Wind und den Eigenmassen zu übernehmen und fortzuleiten. Ein Kraftwerk mit der mehrfachen Antriebsleistung aus entsprechend großem Rotordurchmesser führt in den bekannten Bauweisen zu Eigenmassen und Abmessungen, die mit den verfügbaren Hebezeugen und üblichen Verfahren zu unvertretbaren Aufwendungen während der Ausrüstung und dem Dauerbetrieb während der gesamten Lebensdauer führen würde.
Deshalb brauchen wir jetzt andere, neue innovative Lösungen für das Projekt einer Binnenwindanlage mit mindestens 200 m Nabenhöhe und Antriebsleistungen von mehr als sechs MW. Trotz der einzelnen Versuche, das Rotordrehmoment zu wandeln und auf hydraulischem, pneumatischem oder mechanischem Wege den Antrieb nahe dem Fundament anordnen zu können, ist noch kein geeigneter Weg gefunden worden, einen Großteil der Aufgaben der Gondel in Nabenhöhe nach unten zu verlegen.
Aus dem Bergbau sind für Gurtbandantriebe unter den kritischen Belastungen für die Bänder in großen Breiten und Längen Antriebe von 6.000 kW und mehr auch in Doppelausführung in langjähriger Zuverlässigkeit bekannt. Jetzt gibt es den Mut eines führenden Unternehmens aus dieser Branche, den vertikalen Transfer des Rotordrehmomentes in geeigneter Weise mit neuen Werkstoffen und Verfahren als "steelcorddrive downward" zu ermöglichen, und damit die Einführung des Turning Tower mit dem Antrieb im Turmfuß zu kombinieren.
Die Gurtkraft über "e hoch my alpha" und entsprechend automatisch geregelter Vorspannkraft auf den Asynchrongenerator mittlerer Drehzahl zu übertragen. Die erforderlichen Vorbereitungen, Prüfstands- und Praxiserprobungen sind im theoretischen Vorfeld und am Objekt erforderlich und erfordern ihre Zeit. Die neue Turmstruktur und den Antrieb nach unten einzuführen muß gemeinsam mit Innovationen bezüglich der Rotorblätter und Rotormontage einschließlich geeigneter Serviceausrüstung verbunden werden, damit die neuen Binnenwindanlagen den Anforderungen zur Vollendung der Energiewende gerecht werden können.
Autor: Horst Bendix; Fragen und Anregungen an horst.bendix@t-online.de