Es klingt, als seien das Windkraftunternehmen und die Naturschutzverbände nun Freunde: „Wir haben ein gutes Verhältnis“, sagt Markus Pauly. Der Diplombiologe und Waldexperte in Diensten der rheinland-pfälzischen Erneuerbare-Energien-Firma Juwi ist Teamleiter für Projektentwicklungen. Juwi gehört zu den Pionieren beim Bau von Windparks auf Forstflächen. 2002 hatte Rheinland-Pfalz den Wald für die Installationen geöffnet: Knapp 300 Turbinen oder rund 600 Megawatt (MW) hat Juwi seither zwischen Bäume gepflanzt. Im März 2013 gab es mit den Naturschutzverbänden Nabu und BUND eine wegweisende Einigung zum Fledermausschutz im Windparkbetrieb. Entsprechend reduzieren Turbinen-Betreiber zu den kritischen Flugzeiten der Fledermäuse den Betrieb – und der Nabu toleriert neue Juwi-Windparks auch in Wäldern.
Das Modell löste noch keinen Trend aus, könnte aber einen Ausweg zeigen. Denn wenn stimmt, was Klagen von Projektierern einerseits und Horrorszenarien von Windparkgegnern andererseits suggerieren, werden im Wald die Konflikte mit dem Tierschutz aufwendiger.
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Die Einigung vom März 2013 betraf acht Enercon-Windturbinen des Windparks Ellern/Soonwald unweit des Juwi-Firmensitzes. 15 Fledermausarten hatten um den Nadelwaldstandort ihre Runden gedreht. Juwi-Biologe Pauly schrieb mit den Naturschützern den ausgeklügelten Fahrplan: Wenn die Insekten hoch fliegen und Fledermäuse in die Rotorbereiche locken können, hält die Steuerung die Anlagen an – von April bis August, bei Temperaturen ab zehn Grad und bis zu sechs Meter pro Sekunde Windgeschwindigkeit. Das reduziert die Parkerträge laut Pauly nur um 1,5 bis 2 Prozent. Zum Verfahren gehört ein Bat-Detektor: Er zeichnet in dem Windpark die Ultraschallrufe der Fledermäuse und so deren Flugzeiten auf. Auch bei anderen Projekten half das Verfahren schon.
Datenmangel zum Vogelverhalten im Wald
Aufwendiger als bisher auf Acker, Feld und Wiesen wird der Schutz von Flugtieren im Wald für die Branche auch bei Vögeln. Denn es fehlen Daten zu fast allem: zum Flugverhalten bei Jagd und Balz, zur Fähigkeit der Tiere, Gefahrenzonen wie Rotoren dauerhaft zu meiden, zur Sorge, die in unberührte Naturräume vordringende Windkraft vertreibe Populationen in windkraftfreie Zonen. Fakt ist: Vögel wechseln im Wald häufiger ihre Nester, weil sie im dichten Bestand der Bäume schier unendliche Gelegenheiten dazu finden. Das macht vogelkundliche Nistplatzerkundungen als Voraussetzung für Baugenehmigungen aufwendig.
Angesichts mangelhafter Datenlage unterscheiden sich die vor Windparkgenehmigungen tätigen Gutachter durch ihre Konzentration auf verschiedene Regeln der Vogel-Verhaltenskunde. Günter Ratzbor aus Lehrte war Leiter der Kampagne „Umwelt und naturverträgliche Nutzung der Windenergie an Land“ des Deutschen Naturschutzrings. Ratzbor sieht Waldvögel weniger von Kollisionen mit Windturbinen bedroht als Vögel im Offenland. Zwar gebe es „windkraftrelevante Vögel im Wald“, die erwiesenermaßen von Rotoren erschlagen worden seien. Doch alles spreche gegen eine erhöhte Gefahr durch Forst- anstelle von Freiland-Windparks, argumentiert der niedersächsische Experte. Er verweist auf die Nutzung der Thermik durch die Greifer: Sie flögen aus Hanglagen horizontal hinaus über das Freiland im Tal oder sie nutzten Aufwind direkt aus dem Horst heraus als Lift in große Höhen – „beides abseits der Windparks auf den Bergrücken“.
Windkraft in „letzte intakte Natur“
Ähnlich äußert sich Uhu-Experte Olaf Miosga. Der Geschäftsführer des Münsteraner Artenschutzgutachterdienstes Ökon hat für die Deutsche Bundesstiftung Umwelt von 2014 bis 2015 ein Höhenflugmonitoring an sechs der Groß-Eulen betrieben. Uhus brüten gerne in Steinbrüchen, mitunter in verlassenen Horsten anderer Vögel. Sie ließen sich von menschlichen oder technischen Einflüssen nicht stören, sagt Miosga. Gewöhnlich, so ermittelte Ökon, fliegen die Tiere maximal 25 Meter über dem Grund, der im Wald das Blätterdach ist. So kommen sie den 60 Meter über den Wipfeln rotierenden unteren Rotorspitzen kaum nahe.
Ist die Skepsis gegenüber Windkraft im Wald womöglich nur Folge nostalgischer Vorstellungen? Diese Überzeugung vertritt der Schweizer Oliver Kohle. Der Geschäftsführer des Umweltbüros Kohle/Nußbaumer erkennt einen nicht vogelkundlichen Gedankengang als Haupthindernis: Wälder seien noch intakte Natur – und Windkraft zerstöre diese. Falsch, sagt Kohle, weil Windparks meist nur im monotonen Nadel-Nutzwald die Genehmigung erhalten.
Kohle hatte im April eine vom Bundeswirtschaftsministerium beauftragte neue Studie namens Progress zum Rückgang von Greifvögeln durch Windkraftausbau angezweifelt. Er betrachtet regionale Vogelbestands-Rückgänge in Nordostdeutschland als Folge intensivierter Bodennutzung: „Weil Grünlandflächen zurückgehen, schwinden die Mäuse- und damit die Greifvogelpopulationen.“ Bei Progress hatte das schleswig-holsteinische Gutachter-Büro Bioconsult mit Wissenschaftlern statistische Erhebungen zu Vogel-
opfern betrieben. Rotmilan, Mäusebussard – zwei Wald randbewohner – und Schreiadler seien durch Windkraft gefährdet, so machten Anfang 2016 erste Erkenntnisse ihre Schlagzeilen.
Der Bielefelder Professor und Verhaltensforscher Oliver Krüger ist an Progress beteiligt. Er fordert nun, komplette Verhaltensdaten der Tiere in Bezug auf Windkraft zu erheben. Gerade Greifvögel seien sonst schwer einzuschätzen: Er glaube nicht daran, dass sie Windparks als Gefahrenorte umfliegen. „Greifvögel sind Instinktmaschinen und in vielem nicht besonders lernfähig.“ Spekulationen über das Flugverhalten verböten sich: So legten Greifvögel bei Balzflügen auch größere Entfernungen über den Wipfeln zurück. In Girlandenflügen schraubten sich Mäusebussarde sehr hoch, um ihre Reviere anzuzeigen. Gedankenspiele darüber, wie interessant für sie Flugräume über Windparks auf Bergrücken seien, hält Krüger nicht für seriös.
Kipppunkt der Vogelpopulation entscheidet
Laut Vogelschutzwarte Brandenburg töten die Windparks des Bundeslandes schon jährlich 300 Rotmilane. Hier leben die Greifer so dicht wie nirgends sonst. Die Zahl ist hochgerechnet aus 140 Windpark-Kadaverfunden in 20 Jahren und Annahmen, wie schnell Vogelkörper etwa durch Aasfresser verschwinden. Für Krüger gilt anderes: „Bei so kleinen Kadaverfunden zählt nur, ab wie vielen die Entwicklung der regionalen Population kippt.“ Seine Aussage könnte der Windbranche auch Mut machen: So genügen vielerorts womöglich nur kleine Vogelschutzmaßnahmen, um Populationen wieder wachsen zu lassen. Nur ohne Datenerhebungen wie durch Juwis Fledermaus-Horch-Box wird es keiner merken.
(Tilman Weber)