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Über das Scheitern der Atomkraft

Buchtipp: Vision für die Tonne

Seit Entstehung der Atomkraft gibt es jede Menge Geschichten, die haarsträubend sind. Und trotzdem sind sie zum Teil kaum bekannt. Bernward Janzing hat viele davon in seinem neuen Buch "Visionen für die Tonne" zusammengetragen. Dafür hat er mit zahlreichen Protogonisten gesprochen. Zum Beispiel mit Michael Beleites. Der Naturschützer hatte in der DDR den Uranabbau der Wismut AG verfolgt, der von der Regierung mit all seinen Auswirkungen geheimgehalten wurde. Der damals weltweit drittgrößte Uranabbau nach Kanada und den USA fand in Thüringen und Sachsen in aller Heimlichkeit statt. Folgen waren zum Beispiel Erkrankungen, die bei den bis zu 100.000 Menschen auftraten, die in dem Uranbergbau arbeiteten. Sie wurden vom DDR-Regime mit zahlreichen Vergünstigungen - etwa kostenlose Perrücken und Alkohol - zum Schweigen gebracht. Beleites recherchierte aber auch zur Verseuchung des Flusswassers und vieles mehr. Es gelang ihm, die Informationen in den Westen zu schmuggeln, wo dann in den Medien darüber berichtet wurde. Es sind Geschichten wie diese, die Janzings Buch authentisch und lesenswert machen.

Der Energiejournalist Bernward Janzing erzählt von der Begeisterung für die Atomkraft, die gerade bei Politik und Wirtschaft am Anfang alle Kritik überstrahlte. Im Westen ist es der bayrische Politiker Franz-Josef Strauß, der zu den großen Fürsprechern für die Technologie zählt. Er meint, Deutschland müsse in der Atomwirtschaft "konkurrenzfähig" bleiben, um nicht deklassiert zu werden. Deutlich wird, wie absurd unkritisch die Atomkraft in den 50ern gesehen wird - vor dem Hintergrund der Atombomben-Abwürfe über Hiroshima und Nagasaki 1945. Man will mit Babyreaktoren heizen, Atomexplosionen sollen gar Bodenschätze freisprengen.

Dann wurden die ersten Widerstände in den sechziger Jahren laut. Es folgten Demos und Besetzungen in den 70ern und 80ern. Während dessen gibt sich die Atomwirtschaft arrogant. Der leichtfertige Umgang mit der Gefahrentechnologie, auch das wird gezeigt, führt zu Störfällen bis hin zu den Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima. Der Autor beschreibt, wie Deutschland in Ost und West mit dem Super-Gau von Tschernobyl umgeht: Im Osten wird er verschleiert, im Westen werden überall einen Sommer lang Becquerel-Tabellen veröffentlicht.

Das ist die Zeit, in der im Schwarzwald-Dorf Schönau Michael und Ursula Sladek die Idee haben, ein Bürger-Elektrizitätswerk zu gründen. Bis zur Gründung der Elektrizitätswerke Schönau (EWS) 1997 müssen sie viele Hürden nehmen. Die Beiden gehören damit zu den ersten Atomkraftgegnern, die eine demokratische Alternative aufzeigen wollten. Seither wurden sie mit zahlreichen Gründerpreisen überhäuft und EWS hat heute 160.000 Kunden.

In den nächsten 30 Jahren kämpft die Anti-Atomkraft-Bewegung standhaft weiter, bis sie 2011 nach dem Fukushima-Unglück ein Großteil der Bevölkerung hinter sich hat. In Deutschland folgt der Ausstieg aus der Atomkraft. Am Ende entsteht für den Leser das Bild einer der größten sozialen Bewegungen in Europa. Engagierte Bürger aller Klassen und Schichten waren es, die Alternativen zur Atomkraft aufzeigten. Die Bewegung entwickelte ihre Kraft aus der Mitte der Gesellschaft und konnte somit erfolgreich sein.

(Nicole Weinhold)