Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch
Service für Windkraftanlagen

Neues Wissen zur Rotorblattpflege

Rotorblätter gehören zu den am meisten belasteten Komponenten einer Wind­energieanlage: Mehr als 100 Millionen Lastzyklen müssen sie über ihre Lebensdauer von 20 Jahren ertragen, Turbulenzen oder Blitze machen ihnen zu schaffen. Schäden sind daher nicht ungewöhnlich. Strukturelle Schäden wie beispielsweise Querrisse im Laminat – hervorgerufen durch Ermüdung oder Blitzeinschläge – können im schlimmsten Fall zum Bruch des Rotorblattes führen.

Trotzdem spielt bei der Überwachung der Anlage das Rotorblatt nicht die erste Geige – Condi­tion Monitoring speziell für die Blätter konnte sich am Markt nicht durchsetzen. Lediglich alle zwei bis vier Jahre ist im Rahmen der wiederkehrenden Prüfungen auch die Inspektion der Rotorblätter vorgesehen. „Vor 20 Jahren ist man davon ausgegangen, dass es sich bei Rotorblättern um wartungsfreie Komponenten handelt“, sagt Philipp Bumm, Geschäftsführer der Baywa r.e. Rotor Service GmbH.

Dem ist allerdings nicht so. „Grundsätzlich kann man Schäden an Rotorblättern in drei Kategorien einteilen“, sagt Frauke Bungart, Sales and Business Development Manager bei der WKA Blade Service GmbH. „Herstellungsfehler, Transport- und Errichtungsschäden sowie Schäden, die während des Betriebs entstehen.“ Um Schäden bei der Fertigung schon vor der Montage zu entdecken, empfiehlt Jürgen Schamo, Sachverständiger für Rotorblätter bei Wölfel Engineering, das Konzept der Third Party Inspection (TPI). „Jedes Blatt hat seinen individuellen Fingerabdruck“, sagte er bei den Windenergietagen in Warnemünde. Um so wichtiger sei es, dass eine unabhängige dritte Partei das Rotorblatt nach der Fertigung abnehme. Bislang wird dieses Konzept allerdings nur bei Offshore-Parks eingesetzt. Doch auch an Flügeln für Windparks an Land treten Fertigungsfehler auf, die, wenn sie unentdeckt bleiben, teure Folgen haben können.

Längere Blätter erschweren zudem den Transport. „Wir überprüfen vor der Montage alle Blätter auf der Baustelle“, sagt Annika Behrens, technische Leiterin bei Baywa r.e. Rotor Service. So könnten Transportschäden gleich festgestellt und behoben werden, bevor das Blatt den Belastungen des Windes ausgesetzt werde. Die Tendenz der Mängel steigt, sagt Annika Behrens „Während die Blätter immer länger werden, bleiben die Lkw-Parkplätze auf den Autobahnen gleich groß.“ Auch Kräne und Bau­maschinen können die Blätter beschädigen. Ein Grund: Zeitdruck. „Es ist in den vergangenen Jahren sehr viel zugebaut worden“, meint Philipp Bumm. Die Folge sei Zeitdruck bei der Errichtung, aber auch beim Transport und beim Handling auf der Baustelle. „So können Flüchtigkeitsfehler entstehen.“

Doch die größte Schadenskategorie beim Rotorblatt bleiben die Schäden im Betrieb. Die WKA Blade Service hat systematisch über 20 Jahre alle Schäden an Rotorblättern, die in ihrer Wartung sind, erfasst und kategorisiert – 220.000 Datensets von 3.000 Windenergieanlagen mit mehr als 100 Rotorblatttypen sind darin erfasst. Aufgenommen werden Schadenstyp, zum Beispiel Risse oder Blitzschäden, die Klassifizierung des Schadens, ein Schadensdiagramm und die Position auf dem Blatt. Zur Auswertung hat sich das Unternehmen mit Big XYT zusammengetan, einem Partner, der Erfahrungen in der Auswertung von Big Data hat.

Häufige Erosionsschäden

Eine Erkenntnis: Erosionsschäden stehen in der Bilanz ganz oben. Vor allem an den schwer belasteten Anströmkanten gibt es Risse oder Lunker.„Für uns sind die Auswertungen wichtig, um gezielt warten zu können“, sagt Frauke Bungart. Wenn bei einem Blatttyp auffalle, dass ein Fehler besonders häufig auftrete, könne bei Wartungen an anderen Anlagen mit demselben Blatttyp verstärkt darauf geachtet werden. „Wir können in der Wartung präventiv tätig werden.“ Dafür werden beispielsweise spezielle Folien eingesetzt, die die Blattkante verstärken und somit Erosion zumindest hinauszögern.

Doch Bungart räumt ein, dass ihre Datenbank lediglich die Anlagen auswerten könne, die im eigenen Unternehmen unter Vertrag stehen. „Wünschenswert wäre, wenn mehr mitmachten. Die Daten sind ja alle da. Man muss sie nur nutzen.“ Sie könnte sich auch vorstellen, sich etwa mit einem Getriebespezialisten zusammenzutun, um die Datenbank um weitere Komponenten auszubauen.

Doch andere Unternehmen reagieren bislang zurückhaltend. Auch Philipp Bumm sieht eine gemeinsame Datenbank eher skeptisch. „Wir erfassen die Schäden ohnehin nicht quantitativ, da sie in der Ausprägung zu unterschiedlich sind“, sagt er. Baywa r.e. setze auf ihre technische Dokumentation und die Erfahrung der Mitarbeiter. Zudem könnten bei einer gemeinsamen Datenbank Vertraulichkeitserklärungen mit den Kunden Probleme bereiten.

Doch auch wenn andere Hindernisse abgebaut sind: Wichtigste Voraussetzung, um Daten sinnvoll zu verknüpfen, ist eine gemeinsame Sprache. „Solange jeder seine eigenen Bezeichnungen verwendet, ist es schwierig“, sagt Frauke Bungart. Standardisierung sei eine zwingende Voraussetzung für eine gemeinsame Dokumentation. Es müsste ein gemeinsames Vokabular für Schäden, Rotorblatt­bezeichnungen und Reparaturmethoden verbindlich festgelegt werden.

Fehlende Standards

Standardisierung kann auch in anderer Hinsicht sinnvoll sein – wenn es nämlich darum geht, Schäden so schnell und kostengünstig wie möglich zu reparieren. „Wir setzen das Material nach den Angaben der Hersteller ein“, sagt Philipp Bumm. Das bedeutet unter anderem: Drei Hersteller von Glas- und Kohlefasern mit 18 Produkten, fünf Hersteller von Spachtelmasse mit acht Systemen und sieben Hersteller von Lacken mit zwölf Systemen in diversen normierten Farben müssen berücksichtigt, vorgehalten und vom Personal richtig eingesetzt werden. „Bei der Vielfalt der Materialien ist der Faktor Mensch entscheidend“, betont Philipp Bumm. Mitarbeiter könnten leichter Fehler machen, wenn es zu viele Materialien mit unterschiedlichsten Verarbeitungsanforderungen und Lagerungsbedingungen gebe. „Oft haben wir auch nur unzureichende Informationen von den Rotorblattherstellern“, klagt Philipp Bumm – ein Lied, das wohl alle unabhängigen Serviceanbieter singen können.

Gerade im Hinblick auf die Kosten könnte aber die Verwendung standardisierter Materialien zu Einsparungen im Service führen. „Wir müssten weniger vorhalten und auch weniger abgelaufene Materialien entsorgen“, erläutert Philipp Bumm. Sein Traum: eine Liste von Materialien, die von allen Herstellern freigegeben sind. Doch bis dahin ist der Weg noch weit. Zumindest ändere sich die Wahrnehmung der Rotorblätter: „Wir bieten vermehrt reine Wartungsverträge für Rotorblätter an. Mittlerweile wissen die professionellen Betreiber, dass ein gut gepflegtes und gewartetes Blatt mehr Ertrag bringt.“ (Katharina Wolf)

Dieser Artikel ist in unserem Print-Magazin 3/2018 erschienen. Mehr spannende Artikel erhalten Sie, wenn Sie jetzt ein   kostenloses Probeheft   online bestellen.