Die Progress-Studie selbst sagt gar nicht, dass der Mäusebussard durch Windkraft gefährdet ist. Sie gibt lediglich an, dass es unter bestimmten Annahmen und Voraussetzungen zu einer Bestandsveränderung kommen könnte; tatsächlich sind viele Variationen des Ergebnisses möglich. Hinzu kommt, dass man sowohl Grundannahmen als auch Prognosemodell als solche kritisch betrachten sollte. Es ist keineswegs zu lesen, dass der Mäusebussard gefährdet ist. Er könnte es sein.
Herr Ratzbor, der Mäusebussard ist laut der viel diskutierten Progress-Studie gefährdet, aber Experten bezweifeln die Modellierung. Wie sehen Sie das?Was stimmt an der Annahme nicht?
Sie geht einerseits davon aus, dass die Bestandsgröße nicht durch dichteabhängige Faktoren beeinflusst würde. Andererseits wird davon ausgegangen, dass die zur Hochrechnung der Schlagopfer verwendeten Korrekturfaktoren zutreffend und voneinander unabhängig seien. Das sind schon mal Punkte, welche die Ergebnisse wesentlich verändern können. Die Ergebnisse der Studie wurden aber nicht, wie es in der Modellbildung üblich ist, an realen Situationen überprüft.
Der Mäusebussard fliegt hier überall rum. Ist er überhaupt gefährdet?
Allein aus der Häufigkeit des Auftretens einer Vogelart kann man nicht auf ihre Gefährdung schließen. Feldlärche und Feldsperling sind zwei Arten, die früher extrem häufig anzutreffen waren. Die beiden Arten haben aber durch Lebensraumveränderungen Verluste bis zu 90 Prozent hinnehmen müssen. Beim Mäusebussard ist es nicht so extrem. Aber auch hier haben wir die Situation, dass in einem kalten, schneereichen Winter bis zu ¼ aller Tiere umkommen können.
Wodurch kam es zu den deutlichen Verlusten?
Meist sind es Veränderungen der Landschaft durch den Menschen. Die Summe aller Einflussfaktoren auf die Funktionsfähigkeit der Natur ist ausschlaggebend. Beim Mäusebussard sind es vor allem Einzelereignisse wie ein sehr kalter Winter. Solche Bestandsschwankungen gibt es immer. Dabei sind auch kurzfristig deutliche Bestandszunahmen bei Greifvögeln möglich, wenn es beispielsweise ein gutes Mäusejahr gibt. Die treten etwa alle drei Jahre auf. Veränderungen treten fortwährend auf. Die Windenergienutzung ist da ein zu vernachlässigender Faktor.
Es gibt ja auch andere Faktoren, die die Vogelpopulation reduzieren. Stehen die auch so in der Kritik wie die Windkraft?
Es gibt kritische Aspekte wie Glasfassaden von Gebäude. Seit über 15 Jahren wird darauf hingewiesen, es gibt sogar Berechnungen zu den Todesfällen. Gleiches gilt für Mittelspannungsleitungen. Das Problem ist sogar als Sonderregelung in das Bundesnaturschutzgesetz gekommen. Bis 2012 sollten eigentlich alle Mittelspannungsleitungen für Vögel Stromschlag-sicher umgebaut werden sollen. Ich glaube, zwei Drittel sind bisher umgebaut worden. Die Bundesbahn zieht langsam nach, weil sie zu viele Zugausfälle hat durch Stromschläge, die Vögel verursacht haben. Wenn man sich so die Todesursachen von windkraftrelevanten Arten anschaut, sind oftmals mehr Tiere an Mittelspannungsleitungen zu Tode gekommen als an Windenergieanlagen.
Andere Gefahren?
Ein Wissenschaftler aus Österreich hat mal das Katzenäquivalent geprägt. Eine Untersuchung im Burgenland brachte das Ergebnis, dass eine Windenergieanlage etwa das Äquivalent einer Katze hat. Jede Katze töte etwa so viele Vögel wie eine Windenergieanlage. Katzen sind ein Problem, dem wir uns nicht stellen. Sogar hier in Niedersachsen müssen in der Vogelbrutzeit Hunde an die Leine. Katzen dürften eigentlich auch nicht raus, aber da kümmert sich kaum jemand drum. Hier werden bekannte Probleme, zu denen es viele Untersuchungen gibt, weitgehend ignoriert.
Das Interview führte Nicole Weinhold, mehr von Günter Ratzbor lesen Sie in unserem Magazin ERNEUERBARE ENERGIEN 5/2017, das am 18.7. erscheint. Außerdem referiert er in einem BWE-Seminar zu Naturschutz.