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Schall

Psst! Streit um Windrad-Lärm

Volker Gemmel „weiß gar nicht mehr, auf wie vielen Veranstaltungen“ er in Bramsche aufgetreten ist – so oft musste der Auricher Lärmgutachter zu Einwohner- und Ratsversammlungen in die Stadt an der Hase reisen. Dort analysierte er während der Bauleitplanungen für die Stadt Bramsche die Geräuschwirkung eines geplanten Windparks mit 13 Senvion-Turbinen der Binnenlandserie 3.0M122. Tatsächlich drohte ein Schallproblem: Nachts würden bei Volllast an den rund einen Kilometer entfernten Ortsrändern mehr als die gemäß Lärmschutznorm zumutbaren 40 Dezibel (dB(A)) ankommen.

(Schall) Reduzierter Nachtbetrieb

Das Projekt erhält nun die Auflage, dass bei sieben der Drei-Megawatt-Anlagen nachts die Leistung auf 2,3 Megawatt (MW) begrenzt bleibt, bei zwei weiteren auf 2,7 MW. Diese Maßnahme soll die Geräusche von Getriebe und durch die Luft rauschenden Rotorblättern auf den Schallleistungspegel 100 Dezibel begrenzen. Laut Lärmgutachten kämen dann keine 40 dB(A) mehr bei den Anwohnern an.

Die Genehmigung wurde gerade erteilt, erklärte Oliver Nickel Mitte Mai. Er ist Mitarbeiter des von den Investoren beauftragten Planungs­büros und war mit der Umsetzung der Lärmreduktion betraut. Die Senvion-Turbinen verursachen unter Volllast 104,5 Dezibel. Das ist im Branchenvergleich leise. Außerdem, lobt Nickel, seien die Turbinen darauf eingestellt, in einen schallreduzierten Modus zu wechseln. Mit drei Prozent Ertragsverlust rechnet er für den ganzen Windpark: „Das ist noch verschmerzbar.“

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Das Projekt Ahrensfeld-Wittefeld, wie es nach den betroffenen Bramscher Ortsteilen heißt, ist ein Musterbeispiel für eine inzwischen alltägliche Planeraufgabe: Neue Windparks müssen nachts den Betrieb reduzieren, um Lärmschutzvorgaben einzuhalten. Andernfalls fielen in Anwohnernähe geplante Turbinen weg. Das Phänomen wird Normalfall, weil Planer kaum mehr Flächen ohne Lärmvorbelastung finden. Rotieren in der Nähe andere Windparks, müssen die Lärmexperten deren herüberwehende Schallspur zu den Emissionen des neuen Windparks hinzurechnen. Schmerzhaft könnte für die Branche der Geräuschschutz aber künftig erst werden. Denn das Bundesumweltministerium plant einen neuen Standard zur Prognose der Schallbelästigung.

Strengere Lärmprognosen drohen

Dazu hat die sogenannte Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz (LAI) „Hinweise zum Schallimmissionsschutz bei Windkraftanlagen“ diskutiert, die für neue Projekte die Prognosewerte um bis zu vier dB(A) erhöhen könnten. Das ist viel: Jedes Plus um drei Dezibel bedeutet eine Verdopplung der Lautstärke. Die Windkraft-Verbände leiden bereits darunter, dass sie in den Entwicklungsprozess für den LAI-Lärm-Leitfaden nicht einbezogen worden waren. Dabei gilt als unstrittig, dass der Standard technologisch überholt werden muss: Aktuell bezieht er sich auf 60 Meter Nabenhöhe. Nicht nur angesichts heute üblicher 140 Meter Nabenhöhe gilt er als veraltet.

Eingebunden in das Verfahren ist die Berliner Fördergesellschaft Windenergie und andere Erneuerbare Energien (FGW). Sie ist als Dienstleistungs­gesellschaft für die Definition von Branchenstandards anerkannt. „Der Schall ist für Projektgenehmigungen schon heute eines der größten Hindernisse“, sagt Marko Mühlberg, der für die FGW eine Stellungnahme zu den LAI-Gesprächen mit verfasste. Die FGW erreichte laut Mühlberg bereits, dass grobe Mängel aus dem neuen Standard getilgt wurden. Dennoch bestätigt er: „Im Extremfall könnten die Immissionsprognosen mit dem neuen Verfahren um drei bis vier dB(A) ungünstiger ausfallen als bisher.“ Gemeint sind die Prognosen zu den Immissionen, also dazu, welche Schalleindrücke die Anwohner erreichen.

Expertenkritik: falsche Prämissen

Warum aber verdrießen neue Standards ein Gremium, das Reformen an Branchenstandards ja geradezu als Dauerauftrag versteht? Das LAI-Papier, heißt es bei FGW, ziehe Prämissen aus nur einem zweifelhaften Gutachten. Es habe in einem neuen Windpark sehr tiefe und somit weit hörbare Frequenzen registriert. Doch verursachten dort nicht etwa die neuen heutigen Rotorgrößen, sondern einzig ein spezieller Lärm-Testbetrieb den tiefen Schall. Die Tester hatten eine besonders laute Betriebsweise eingestellt, um noch in größerer Entfernung die Frequenzen messen zu können. Falsch sei auch grundsätzlich die Prämisse des LAI-Papiers, dass alle Anlagen zugleich im Schallmaximum drehen, allein schon wegen der Windschatteneffekte.

Als nachteiligste Konstruktion im LAI-Papier gilt der Windbranche das sogenannte Interimsverfahren. Die reale Geräuschausbreitung der Wind­energieanlagen muss im Zweifelsfall spätestens ein Jahr nach ihrer Errichtung überprüft werden. Das war auch bisher so. Bei neuen Anlagentypen klären Messungen auch die sogenannte Serienstreuung: Wie sehr unterscheiden sich die Schallleistungspegel eines Anlagentyps aufgrund leichter Abweichungen etwa in den Komponenten-Formen und -Maßen und innerhalb einer Produktionsserie? Stimmen die Prognose und die Messung überein, ist alles in Ordnung. Ist der gemessene Schall höher, muss die Anlage ihre Leistung für den Lärmschutz drosseln.

Allerdings sind die Immissionen nur in maximal 1.000 Meter Entfernung messbar. Dahinter lassen sich aufgrund der Geräusche aus Wetter, Vegetation und Verkehr die von Windturbinen verursachten Werte nicht mehr herausfiltern.

Bisher behalfen sich die Genehmigungsbehörden angesichts solcher Ungewissheiten mit Sicherheitsaufschlägen. Der neue LAI-Standard soll diese Pufferwerte durch Berechnungen nach heutigem Stand der Technik ersetzen. Weil die Berechnungen danach erneut mit Messungen bestätigt werden müssen, spricht die LAI von einem Interimsverfahren. Doch die neuen Berechnungen analysieren offenbar weniger realitätsnah die Schallbelästigung, sondern fußen immer auf den höchsten denkbaren Werten. Die Windbranche moniert: Willkürlich müsse sie nun bis zur späteren Lärmmessung auf einen Teil der Erträge verzichten. Besonders pikant: Im LAI-Entwurf ist nicht einmal geklärt, wie lange die Interimsregel gilt und bis wann ihre Sicherheitspuffer validiert sein müssen.

Wie laut sind abweichende Töne?

Ohnehin lässt sich über den vermeintlichen Stand der Technik im Lärmschutz leidlich streiten. Beispiel Tonhaltigkeit: Unter der Größe KTN bemisst diese in Dezibel, inwiefern der Schall nur als Rauschen ähnlich dem Wind wahrnehmbar ist oder als unangenehm aus Umwelt-Geräuschen hervorstechendes Geräusch. Die LAI wollte ursprünglich eine Tonhaltigkeit nur noch von einem Dezibel anstandslos akzeptieren. Mehr sei nicht Stand der Technik und führe zu unerwartet höherer Belästigung. Die Immissionsprognose solle dies mit drei Dezibel extra berücksichtigen. Erfolgreich drängte die FGW darauf, dass wie bisher eine Tonhaltigkeit von zwei dB(A) als akzeptabel gilt. Nur für noch tonhaltigere Anlagen gibt es drei Dezibel Prognose-Zuschlag.

Außerdem monierte die FGW, dass der LAI-Standard bei tieferen Schallfrequenzen davon ausgeht, dass sich der gesamte Schall stärker ausbreite – Dämpfungen auf der Strecke zu den Anwohnern durch Klima, Pflanzenbewuchs oder vom Schall abweichende Windrichtung sind hier schwächer. Die LAI müsse für verschiedene Tonlagen-Bereiche die Lärmdämpfung getrennt berechnen, also „frequenzselektiv“, so fordert es die FGW. (Tilman Weber)