Vom Kopf bis zum Fuß vereint das System Windenergieanlage verschiedenste Technologien, die eine bedeutende Eigenschaft gemeinsam haben. Ob Fundamentstrukturen, die flach oder tief im Boden verankert sind, Türme aus Beton, Stahl oder beidem, die oft 100 Meter in den Himmel ragen oder komplexe elektronische Systeme, die mit der Anlagenmechanik des Schwermaschinenbaus eine Einheit bilden: Sie alle wurden über Jahrzehnte in verwandten Industrien weiterentwickelt und konnten von den Windturbinenbauern adaptiert und den eigenen Bedürfnissen entsprechend angepasst werden. Mehr und mehr Spezialisten stehen zur Lösung von Problemen mit einzelnen Komponenten bereit. Und durch den Einzug der Zulieferer infolge ausgelasteter Fertigungskapazitäten der Windturbinenproduzenten, konnten die Anlagenhersteller auch ihr Prozesswissen bei der Produktion erweitern. Die Branche begann stärker zu automatisieren, ihre Effizienz zu steigern und großindustriell zu fertigen.
Eine bedeutende Ausnahme bilden bislang die Rotorblätter. Noch immer bestimmt Handarbeit bei vielen Unternehmen den überwiegenden Teil der Blattproduktion. Ein einzelnes Rotorblatt innerhalb von 24 Stunden zu fertigen, gilt in der Branche als sportlich. Rund 100.000 Euro kostet ein Flügel für gängige Serienmodelle, die Investitionen können sich für Kleinserien mit aufwändiger Technik und komplexen Designs jedoch auch verdreifachen. Dabei lassen sich wesentliche Verbesserungen in der Fertigung nicht von anderen Branchen kopieren, denn der einzige nahe Branchenverwandte ist in der Flugzeugindustrie zu suchen: Im Flugzeugbau nutzen die Hersteller wesentlich mehr Automatisierung als bei der Rotorblattproduktion. Auch sind ihre Toleranzbereiche viel geringer – aber teuer erkauft. „Für die Windindustrie wären die Produktionskosten zu hoch, die Ablegegeschwindigkeit der Maschinen zu gering und das macht sie für die Windbranche unwirtschaftlich“, sagt Dr. Arno van Wingerde, Leiter des Kompetenzzentrums Rotorblatt am Fraunhofer Institut für Windenergietechnik, IWES.
Van Wingerde zu Folge steckte die Industrie aufgrund ihrer geringen Größe und dem relativ jungen Alter über viele Jahre hinweg in dem Dilemma, nicht genügend Zeit und Geld aufwenden zu können, um neue Fertigungskonzepte zu entwickeln und auszutesten. Mit dem Einzug großer Konzerne, die kleine Windenergieunternehmen aufkauften, eine Qualitätssicherung und interne Forschungszentren aufbauten, konnte die Industrialisierung der Branche sich schneller entwickeln.
Das Problem der automatisierten Rotorblattfertigung liegt laut van Wingerde nicht in der Technologie, sondern in der Wirtschaftlichkeit, denn „bevor eine Technologie verwendet werden kann, muss bewiesen sein, dass sie auch funktioniert. Kein Hersteller will Investitionen bis zu mehreren Millionen Euro aufwenden, ohne den Nachweis, dass die eingekaufte Technik funktioniert und die Produktion schneller und kostengünstiger macht.“
Große Kostensenkungen möglich
Daher haben es die wenigen Anbieter von Technologien zur Effizienzsteigerung bei der Rotorblattproduktion schwer in der Branche Fuß zu fassen. Auch MAG, ein US-Unternehmen für Automatisierung, konnte seine Automatisierungslösung, das Rapid Material Placement, bislang nicht vertreiben. „Wir sind in der Lage innerhalb von zwölf Monaten eine Fertigungslinie für Rotorblätter einzuführen, die Gelcoats, trockene Gelege, Kernmaterialien, Fließhilfen und Vakuumfolien auslegt“, sagt Gunter Connert, Vertriebschef der Abteilung für erneuerbare Energien bei MAG. Um ihre Lösung marktreif zu machen, müssten sie sie gemeinsam mit einem Kunden installieren und an die zu verlegenden Materialen sowie Form und Design des Rotorblattes anpassen. Das System könne als Individuallösung für einzelne Rotorblatttypen die Ablegezeiten um die Hälfte reduzieren und 80 Prozent der personalgebundenen Arbeitsstunden einsparen, prognostiziert Connert. In den USA testet MAG nun mit dem Rotorblatthersteller Astraeus Wind Energy eine andere Ablegemaschine in einem vom Bundesstaat Michigan geförderten Projekt. Die Viper 7000 ist ein sechsachsiger Portalroboter, der Prepreg-Rowings, Stränge aus Kohle- oder Glasfaser führt, selbstständig schneidet und ablegt. Pro Stunde soll die Viper eine Tonne Material ablegen können und die Prepregs besonders genau und kompakt verlegen, was weniger Nacharbeit verlangt und den Designern der Blätter in Zukunft die Möglichkeit geben soll mit weniger Material zu planen.
Effizienzlösung Laserapplikationen
Auch das Lüneburger Unternehmen LAP Laser setzt einen Fuß auf den Windmarkt. Vertreter des Unternehmens führen zurzeit Gespräche mit allen europäischen Herstellern von Rotorblättern. „Den Wachstumsmarkt Windenergie wollten wir strukturiert angehen“, sagt Axel Rieckmann, Sales Manager bei LAP. Bevor das Unternehmen eine Fertigungslösung entwickelt hat, untersuchten die Ingenieure zusammen mit dem Germanischen Lloyd, wo Lasersysteme bei der Produktion von Windenergieanlagen helfen können. Dabei stellte sich heraus, dass die Angestellten vieler Rotorblattproduzenten die Positionen der einzelnen Rotorblattschichten noch manuell einmessen und kennzeichnen müssen. „Das ist bei bis zu 100 Rotorblattschichten übereinander ein ungeheurer Aufwand“, sagt Rieckmann.
Um ein Rotorblatt zu produzieren, benötigen die Hersteller zunächst zwei Negativformen, die das Aussehen des fertigen Rotorblattes vorgeben. In diese Formen legen die Arbeiter millimeterdicke Matten aus trockener Glasfaser oder sie schichten sogenannte Prepregs – dünne Gewebe, die aus Kohle- oder Glasfaser bestehen und mit einem klebenden Kunstharz vorimprägniert sind – übereinander.
Um eine durchgehend hohe Stabilität zu erreichen, müssen die Matten möglichst genau positioniert sein. Im Fall der trockenen Glasfaser verkleben die Arbeiter die einzelnen Schichten, indem sie das Blatt mit einer Folie abdichten, auf einer Seite einen harzführenden Schlauch anbringen und auf der anderen Seite ein Vakuum erzeugen. „Das Vakuum zieht das Harz durch die gesamte Rotorblattlänge, wo es alle Glasfaserlagen fest miteinander verbindet“, sagt IWES-Wissenschaftler Arno van Wingerde. Zuvor angelegte „Straßen“, die die Angestellten entlang des Blattes anlegen, sollen gewährleisten, dass das Harz die Matten vollständig durchdringt und keine trockenen Stellen zurückbleiben, an denen das Rotorblatt porös und kaum belastbar wäre. In die fertige Rotorblatthälfte kleben die Arbeiter Stege, die dem Blatt vom Flansch bis zur Spitze Stabilität verleihen. Danach legen sie die zweite Blatthälfte darüber und verkleben sie mit der unteren Hälfte und den Stegen. „Der Handarbeitsprozesses erfordert aufwändige Vorbereitungen: Die Arbeiter müssen am Rand des Rotorblattes die Anfangs- und Endpositionen der vielen Lagen markieren“, erläutert Axel Rieckmann. Teilweise markieren die Arbeiter auch den Verlauf der Matten entlang des Blattes manuell.
Hilfen für die Handarbeit
Bei diesen manuellen Markierungsarbeiten setzen die Lasersysteme an: Um die Fertigungsschritte bei der Rotorblattproduktion zu vereinfachen, können die Projektoren die Position der einzelnen Schichten mit Laserschablonen in der Negativform anzeigen. Dabei zeigen sie den Arbeitern, wo sie welche Lage der Glasfasermatten oder Prepregs in der Form ablegen müssen. LAP bietet die Laserschablonen seit diesem Jahr an – das Freiburger Unternehmen Z-Laser hat die Technik seit drei Jahren im Portfolio.
„In Mexiko haben wir bislang über 40 Projektoren für die Rotorblattfertigung installiert“, sagt Thomas Lang, Vertriebsleiter bei Z-Laser. Weitere Systeme konnte das Unternehmen in Deutschland und Belgien vertreiben, unter anderem an die Power Composites mit Fertigung im belgischen Genk. 50 Meter misst der längste Rotorblatttyp, bei dem die Fertigungslösung von Z-Laser zum Einsatz kommt. „Dabei waren sechs Laser nötig, zwei direkt im Flanschbereich und vier weitere, die die Schablonen auf die beiden Rotorblatthälften projizieren“, sagt Lang.
Die Laserschablonen von LAP werden bislang nur in der Luftfahrt eingesetzt, wo sie die Sollpositionen der Carbon-Schichten in der Fertigung bei Vertretern wie Airbus, Boeing oder Lufthansa anzeigen. Speziell für den Einsatz in der Windenergieindustrie musste LAP sein System zur korrekten Projektion auf den Lagen anpassen, denn anders als in der Luftfahrt kommen bei der Rotorblattfertigung vermehrt trockene Glasfasermatten zum Einsatz. „Die liegen nicht so eben und blasenfrei übereinander wie die feuchten Prepregs“, sagt LAP-Vertriebsleiter Rieckmann. Die Projektion auf der unebenen Fläche kann sich dadurch verzerren. LAP behebt dieses Problem, indem der Projektor die Glasfaseroberflächen in regelmäßigen Abständen scannt und seine Daten mit denen im CAD-System abgleicht. Die Projektion wird dann so angepasst, dass die abgebildete Fläche trotz einzelner Erhöhungen gleichmäßig ist.
3D-CAD: Pflicht für höhere Effizienz
Für eine höhere Technisierung der Arbeitsprozesse sind bei vielen Lösungen detaillierte dreidimensionale Modelle der Bauteile nötig. Sie werden in einem 3D-CAD-Programm abgebildet und bestimmen auch bei den Lasersystemen die Genauigkeit der Projektion. Denn durch die Dicke der Schichten erhöht sich der Punkt an dem der Laser auf die Fläche trifft mit jeder Lage. Weil die Laserstrahlen ausgehend von einem festen Ursprungspunkt in der Regel nicht senkrecht, sondern schräg auf die Oberfläche fallen, muss das System seinen eigenen Abstand zur Projektionsfläche kennen, damit der projizierte Umriss immer die richtigen Abmessungen hat.
LAP und Z-Laser bieten ihre Technologien auch in Ausführungen an, die nur Basisfunktionen übernehmen, bei denen keine 3D-CAD-Daten nötig sind. Sie können zum Beispiel die Markierungen am Seitenstreifen, wo Anfangs- und Endpositionen der Lagen markiert sind, ersetzen. Dadurch entfallen die Fehlerquellen, die durch manuelles Ausmessen bedingt sind. „Unser Projektor lässt sich wie ein digitaler Zeigestock steuern, bei dem man den Laser direkt oder durch Koordinaten an die gewünschte Position bringen kann, wo die Anlage nur Kreuze oder ganze Umrisse anzeigt“, sagt Lang.
Je nach Ausführung sind unterschiedlich viele Projektoren und verschiedene Softwarelösungen nötig. Die Laserprojektoren beider Unternehmen lassen sich im Verbund oder unabhängig voneinander steuern, was es ermöglicht gleichzeitig unterschiedliche Arbeiten zu verrichten. Während Z-Laser in der Regel einen grünen Laser im Projektor verwendet, verfügen die Projektoren von LAP über zwei verschiedenfarbige Laser, wodurch die Schablonen rot oder grün erscheinen – oder gelb, wenn beide Strahlen übereinander liegen. Per Knopfdruck können die Angestellten zwischen den abgebildeten Schichten umschalten und werden so Schritt für Schritt durch den Fertigungsprozess geleitet. Ein Log-Funktion in den Systemen dokumentiert den Fertigungsablauf, wodurch sich auswerten lässt, welche Schritte auffällig viel Zeit in Anspruch nehmen und optimiert werden sollten.
Insgesamt soll das LAP-System die Ablagegeschwindigkeit um rund 20 Prozent erhöhen, schätzt Rieckmann. Z-Laser will die Ablagegeschwindigkeit teilweise um bis zu 30 Prozent verbessert haben. Zu ihrem Service gehören Testinstallationen, die den Herstellern über einen bestimmten Zeitraum beweisen sollen, dass das System funktioniert und die Fertigung beschleunigt. Während des Testzeitraumes erhebt das Unternehmen Mieten für die Anwendung. „Das ist auch für Kleinserien interessant, weil sich die Arbeiter durch den angeleiteten Prozess viel schneller einarbeiten können“, sagt Lang.
Mehr Robotik im Finishing
Einige Rotorblattproduzenten sehen den stärksten Automatisierungsbedarf am Ende der Produktionskette: im Finishing des zusammengefügten Blattes. Die Finishing-Verfahren würden sich zwischen den verschiedenen Herstellern und Rotorblatttypen laut internen Kreisen stark unterscheiden und maßgeblich vom angewandten Verfahren, dem verwendeten Material und der Oberflächengüte abhängen. Viele Finishingprozesse seien zurzeit noch stark durch Handarbeit geprägt.
Zum Finishing gehört unter anderem die Rotorblattbeschichtung. Diese hat der Anlagenhersteller Vestas bereits 2008 am Standort Lauchhammer vollständig automatisiert. Für den Bau der Rotorblätter der neuen V112-Anlage mit drei Megawatt Leistung, stellt Vestas seine Produktion auf vollständige Taktfertigung um. Dabei wird das Rotorblatt nach einem vorgegebenen Zeittakt schrittweise von einer Arbeitsstation zur nächsten bewegt. Das ist eine wichtige Voraussetzung für die Fertigungsautomation. „Wir automatisieren nur da, wo es auch sinnvoll ist – beispielsweise zeit- oder positionskritische Arbeitsschritte mit hoher Taktfrequenz“, sagt Frank Weise, Geschäftsführer von Vestas Blades. Insgesamt will Vestas den Anteil der automatisierten Teilprozesse mit diesem Fertigungskonzept deutlich erhöhen. Konkrete Angaben zur Automatisierung wollte das Unternehmen nicht machen.
Auch der nach eigenen Angaben größte Zulieferer der Windbranche, die dänische LM Wind Power, arbeitet aktuell an einem automatisierten Blatt-Finishing, in der Produktionsroboter zum Einsatz kommen sollen. Einen Prototypen testet das Unternehmen derzeit in einem seiner US-Werke. LM Wind Power hat die Produktionsdauer seiner Rotorblätter durch die Optimierung der Arbeitsprozesse innerhalb von zwei Jahren um 35 Prozent verringert. Dies sei hauptsächlich auf die Umstellung der Organisation auf das LEAN-Management zurückzuführen, was zum Großteil die Ausrichtung allen Handelns auf die Prozessoptimierung richtet. Die Mitarbeiter erhielten gesonderte Schulungen für die Rotorblattproduktion und waren angehalten, Schwachpunkte der Effizienz in der Fertigung zu finden. „Unsere Angestellten waren aktiv in den Prozess eingebunden“, sagt Unternehmenssprecher Helle Larsen Andersen. Auch aufgrund der Anregungen seiner Angestellten hat LM Wind Power technische Hilfsmittel eingeführt, um den Produktionsprozess zu verbessern. Das Unternehmen setzt nach wie vor auf Glasfasermatten, die die Angestellten im Vakuumverfahren mit Kunstharzen wie Polyester verkleben. Diese sind kostengünstiger als die vorimprägnierten Prepregs, die besondere Anforderungen an die Lagerung und Verarbeitung stellen. Spezielle Fertigungseinrichtungen helfen dem Unternehmen den Prozess der Harzeinspritzung und des Verklebens der Blatthälften zu beschleunigen.
Automatisierung kommt schrittweise
Bereits 2005 hat LM Wind Power den halbautomatischen Glass-Wagon eingeführt, eine Anlage, die am Blatt entlang fährt und die Matten automatisch in der Rotorblattschale ablegt. „In diesem Prozess müssen unsere Mitarbeiter noch den Ablageprozess überwachen und die Maschine kontrollieren, um sicherzustellen, dass keine Fehler auftreten“, sagt Helle Larsen Andersen. Seit dem Einsatz des Glaswagens kann das Unternehmen seine Glasfaserlagen um 25 Prozent schneller verlegen als zuvor, bei gleichzeitiger Reduktion von Fehlern und Materialausschuss. Im Rahmen des von der dänischen Regierung geförderten Blade-King-Projects untersucht das Unternehmen zudem die Weiterentwicklung der Rotorblattproduktion und den Einsatz neuer Materialien.
Institutionelle Lösungen gefragt
Der Bedarf an weiteren Effizienzsteigerungen durch technische Hilfen oder Automatisierungskonzepte wird weiter steigen. Die Richtung dieser Lösungen werden auch die zukünftigen Blattkonzepte vorgeben. Denn ob das bislang weitverbreitete Zweischalensystem die Oberhand behält oder sich die Fertigung in einem Stück, wie sie Siemens praktiziert, durchsetzt, kann maßgeblich das Aussehen der technischen Hilfen bestimmen. Sollten die Rotorblätter – aufgrund ihrer Blattlänge und den unterschiedlichen Windanströmungen und Turbulenzen entlang des Blattes – später aus verschiedenen Segmenten bestehen, die sich in Konstruktion und Materialien unterscheiden, würden gar völlig neue Anforderungen an die Produktion hinzukommen.
Während die großen Produzenten zum Teil isoliert von der Öffentlichkeit eigene Fertigungslösungen entwickeln können, hält IWES-Wissenschaftler Dr. Arno van Wingerde es für sinnvoll, die Rotorblattfertigung auch unabhängiger von einzelnen Unternehmen weiterzuentwickeln. Denkbar wäre eine institutionelle Lösung, bei der ähnlich der Rotorblatttests, wie sie das Fraunhofer Institut durchführt, in Kooperation mit den Herstellern neue Verfahren entwickelt werden. So könnten neue Technologien ohne wirtschaftliche Gefahren für die Unternehmen weiterentwickelt und erprobt werden.
DENNY GILLE