Eigener Spitzenkoch und eine Kräuterspirale im Garten. Fußballplatz zwischen Holzfassaden und Fernsehzimmer mit Anschluss zum Sportkanal Sky, um gemeinsam die wichtigsten Fußballspiele zu sehen. Firmenkindergarten und Shuttle-Service zum Job. Das ist wie New Economy. Genau wie bei Google und Co gilt auch hier bei Juwi im rheinland-pfälzischen Wörrstadt: Arbeit – all inclusive. Der Systemanbieter für erneuerbare Energien hat seinen 1.100 Mitarbeitern am Firmenhauptsitz ein attraktives Arbeitsumfeld geschaffen. Malocht wird in den Großraumbüros zwischen Kaffeeküche und Knautschsofas.
Die Art und Weise, wie das Unternehmen an die Ausgestaltung des Arbeitsplatzes herangeht, ist typisch für Juwi, sie ist ganzheitlich gedacht. Wer gute Mitarbeiter haben will und seinen Sitz nicht gerade am Nabel der Welt hat, der erhöht seine Chancen erheblich durch eigene Kita-Plätze, hochwertiges Essen und ein nettes Umfeld. Typisch ist der Ansatz insofern für die Firmenchefs Fred Jung und Matthias Willenbacher, als dass sie ihr Unternehmen seit der Gründung vor 17 Jahren kontinuierlich mit Blick auf einen ganzheitlichen Ansatz diversifiziert haben.
Fokus auf das Wesentliche
Nun allerdings stehen sie mit einem ganzen Bauchladen unterschiedlicher Regenerativtechnologien da – und müssen sich von einigen verabschieden, um ihr Unternehmen in einem schwierigen Marktumfeld stabil zu halten. Verunsicherung in der Branche durch eine anhaltende politische Diskussion und die reduzierte Einspeisevergütung für Solarstrom erschweren den Job in Deutschland. Neue Geschäftsfelder müssen erschlossen, alte, wenig lukrative Liebhaber-Projekte auf Eis gelegt werden. Da macht Juwi keine Ausnahme: Die Regenerativbranche muss sich in diesen Zeiten neu erfinden.
Seit der Gründung als Windkraft-Planungsfirma sind Umsatz und Mitarbeiterzahl stetig gewachsen. Dank der Ende Juni erschienenen autobiografisch-politischen Buchpublikation „Mein unmoralisches Angebot an die Kanzlerin“ von Matthias Willenbacher wissen nun alle Leser genau, wie es damals anfing, 1997, als Jung und er sich in einer Studentenbude über die Zukunft unterhielten. Das erste Windrad hatten die Bauernsöhne gerade gemeinsam gebaut und nun wollten sie mehr davon. Nur der Firmenname fehlte noch, als Jung seinem Partner die Hand zum Einschlagen hinstreckte, „Ju“, sagte – und Willenbacher mit einem beherzten „Wi!“ einschlug. Phonetisch war mit „You“ und „We“ der Grundstein für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit gelegt – wie auch für ein internationales Geschäft.
Heute umfasst die bunte Juwi-Welt 1.800 Mitarbeiter, die entweder in Wörrstadt die gute Küche genießen oder in einem der Regionalbüros irgendwo in einer Arbeitswelt sitzen, die von Berlin bis Costa Rica reicht. 2011 lag der Umsatz knapp unter einer Milliarde Euro. 2012 konnte Juwi zehn Prozent Steigerung gegenüber 2011 verbuchen. In diesem Jahr erwartet das Unternehmen knapp mehr als eine Milliarde Euro. „Wir haben sage und schreibe 321 Megawatt aus Solarkraftwerken installiert. Und mit 314 Megawatt Windenergie waren wir 2012 in Deutschland die Nummer eins“, sagte Juwi-Finanzvorstand Martin Winter im März bei der Vorstellung der Geschäftszahlen.
Boomende asiatische Märkte
Der Einbruch im hiesigen Sonnenstrommarkt scheint sich noch kaum negativ niederzuschlagen. „Deutsche Solarenergie ist ja nur eines unserer Geschäftsmodelle, zugegebenermaßen in einem wichtigen Markt. Wir haben aber boomende südostasiatische, latein- und nordamerikanische Märkte“, sagt Matthias Willenbacher. Sein Unternehmen werde in diesem Jahr von der Menge her so viel bauen wie 2012, allerdings mit etwas weniger Umsatz.
Wie in der Solar- sind auch in der Bioenergie die wirtschaftlichen Voraussetzungen auf dem deutschen Markt schwieriger geworden. „Das hat Auswirkungen auf unsere Diversifizierung, die wir in diesem Umfang nur in Deutschland hatten“, so Willenbacher. Juwi könne sie so nur noch zum Teil aufrechterhalten. „Wir verkaufen noch Holzpellets, wir bieten Ökostrom an und wir haben ein Speichersystem für Solarstrom im Angebot.“ Seit Anfang Januar 2013 ist alles gebündelt in einer Gesellschaft, die sich Juwi Energielösungen nennt. Ziel ist es, Privathaushalten und Gewerbetreibenden Konzepte anzubieten, mit denen sie Energiekosten sparen können. „Bei der E-Mobilität haben wir zwar das Know-how im Haus, aber es ist kein Geschäftsbereich mehr.“ Juwi hat bereits einen Großteil des eigenen Fuhrparks auf E-Mobilität umgestellt. Ein knalloranger Tesla, Inbegriff des sauberen Yuppie-Flitzers, gehört seit Jahren dazu. Betankt werden die Fahrzeuge mit eigenem Grünstrom.
Wind im Wald
Die Ausrichtung des Unternehmens hat sich im Lauf der Zeit immer wieder gewandelt. Angefangen hatte es mit Wind, 1999 kam Solar als das erste neue Feld hinzu. Irgendwann folgte Bioenergie und danach haben sich immer wieder neue Bereiche dazugesellt. Willenbacher erklärt: „Wenn wir im Bereich Solarcarport unterwegs waren, hatten wir automatisch mit Elektromobilität zu tun. Wir haben Biogasanlagen geplant, wollten aber nicht die Gärreste von der Abfallbiogasanlage bei uns auf dem Grundstück haben.“ Bei der Suche nach einer Möglichkeit, was man aus Gärresten machen kann, lagen Dünger oder Erde nahe. „So kam es zu dem Projekt Terra Preta.“ Heute sucht Juwi nach einem Investor für das Herstellungsverfahren dieser schwarzen Erde.
Jung und Willenbacher waren also offen für sinnvolle Ergänzungen des Kerngeschäfts, der Projektierung von Wind-, Solar- und Bioenergie. „Aber das haben wir jetzt deutlich zurückgefahren.“ 2013 werde die Windenergie in Süd- und Westdeutschland den größten Anteil am Jahresumsatz haben, prognostiziert Willenbacher.
Wenn es um Windkraft in rheinland-pfälzischen Wäldern geht, fallen einem die Wörrstädter zuerst ein. Sie haben dort über den Wipfeln die höchsten Turbinen angesiedelt – und sind dabei immer wieder auf Widerstand gestoßen. Gleich bei der Planung des ersten Windrads mussten Jung und Willenbacher lernen, was passiert, wenn man die Bevölkerung nicht von Anfang an in seine Planungen einbezieht.
Tücken im Projektgeschäft
Aber selbst wenn man die Menschen mitnimmt, garantiert das nicht unbedingt ein glückliches Ende. Bürgerproteste gegen Schall und Schattenwurf, Vorwürfe der Landschaftsverschandelung und des Vogelmords begegnen jedem Planer. Gerade lehnte der Gemeinderat von Raschau-Markersbach im Erzgebirge ein Juwi-Projekt mit fünf Turbinen ab: Der Bürgermeister war zu schnell vorgeprescht, die Räte unterstellen ihm einen Alleingang. Eine Situation, die Projektfirmen zu vermeiden versuchen. Erfolgversprechender ist es, die Bürger frühzeitig zu informieren und finanziell zu beteiligen.
Dafür hält Juwi verschiedene Modelle von Energiegenossenschaft und Bürgerwindpark über Bürgerstrom und Sparbrief bis zur Beteiligung der Kommune oder einer gemeinsamen Projektentwicklung bereit. So werden die Bürger Teil der Energiewende. Statt gegen Planer zu wettern, entwickeln sie Verständnis für die Idee einer dezentralen, regenerativen Vollversorgung.
Die Wörrstädter sehen in der Bürgerbeteiligung die Zukunft: Statt sich in einen Mix mit Kohle und Atom einzugliedern, fordert Willenbacher Kanzlerin Merkel in seinem Buch nun auf, das Ziel von 100 Prozent erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2020 zu forcieren. Sein „unmoralisches Angebot“: Er bietet Merkel seine Firmenanteile, wenn sie mitspielt.
Wenn man die Verschmutzung des Planeten als unmoralisch einstuft, dürfte es vonseiten der fossilen Energielobby deutlich unmoralischere Angebote geben, mit denen die Kanzlerin regelmäßig konfrontiert wird.
Kampf mit harten Bandagen
Jung und Willenbacher wollen etwas bewirken. Geld wollen sie dabei auch verdienen, aber das ist eben nicht alles. 2010 haben sie die Stiftung „100 Prozent erneuerbar“ als Schnittstelle zwischen Unternehmen und Gesellschaft, Branche und Politik gegründet. Lobby im Sinne der Energiewende.
So wie den Wörrstädtern geht es vielen Unternehmen in der Regenerativbranche: Man will etwas verändern. So fördert beispielsweise der Generalunternehmer GP Joule die Jugend, gründet eigene Schulen und spendet hohe fünfstellige Beträge für Jugend forscht.
Gleichzeitig kämpfen Planungsfirmen mit harten Bandagen um Standorte. Es geht um Pachten, Gewerbesteuer, Ausgleichszahlungen. Es fließt viel Geld. Zurück zu dem „unmoralischen Angebot“ aus Rheinland-Pfalz. Der Ansporn, das Buch überhaupt zu verfassen, resultierte aus einer gewissen Gleichgültigkeit der Kanzlerin für das Thema: Auf einer internationalen Wirtschaftsreise, verrät Willenbacher, habe sie sein Anliegen, über die Energiewende zu sprechen, mit der Antwort abgebügelt, ihr stattdessen lieber einen Brief zu schreiben. Daraus ist dann das Buch entstanden. Eine Kanzlerinnenschelte – all inclusive. (Nicole Weinhold)