Der 15. Branchentag Windenergie NRW hat das gesamte Energiesystem in den Blick genommen. Volkswirtschaftliche und juristische Themen fanden hier ebenso ihren Platz wie kommunale oder umweltschutztechnische Fragen rund um u.a. Windenergie. NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur erhielt auf dem Branchentag in Gelsenkirchen viel Zuspruch für den politischen Kurs der Landesregierung. Im Rahmen einer Talkrunde sagte sie: „Ich war vor einem Jahr hier auf dem Branchentag und habe viel über den Koalitionsvertrag sagen können und was wir erreichen wollen. Im Zusammenspiel mit einer Bundesregierung, die energiepolitisch wirklich liefert, ist schon einiges passiert.“ Allerdings sei auch einiges aufzuholen. Arbeitsplatzverluste in der Windbranche wurden in den vergangenen Jahren in Kauf genommen und sind von der vorvergangenen Bundesregierung u.a. auch durch sprunghafte Vergütungsabsenkungen ausgelöst worden. „Ich komme trotzdem mit ein paar guten Nachrichten für Sie: Da wir so viel darüber sprechen, dass hier jetzt Windenergieanlagen gewollt sind, regt sich etwas in den Verwaltungen und Genehmigungsbehörden des Landes.“
Bis 16.5. hatten NRW 104 Genehmigungen für Windenergie an Land mit 525 Megawatt (MW). „Wir belegen damit Platz eins, was die Genehmigungen im Bundesvergleich betrifft. Wir haben gerade einen Entwurf für den Landesentwicklungsplan Energie vorgelegt. Wenn die Regionen mitziehen, die Zeitpläne für die Ausweisung von Flächen umsetzen, dann haben wir bereits Anfang 2025 fertige Regionalpläne mit Flächen für Wind und Solar – sieben Jahre vor der vom Bund geforderten Zeit.“ Energieintensive Unternehmen sollen in der Lage sein, sich in NRW mit sauberem Strom zu versorgen.
1000 Meter Abstand weg
Christian Mildenberger, Geschäftsführer Landesverband Erneuerbare Energie: Zufrieden mit Politik: „Man muss anerkennen, dass die Regierung ein anderes Framing aufgesetzt hat. Wir sind froh, dass das Gesetzespaket jetzt da ist, Landesentwicklungsplan, Landesbauordnung, Abschaffung der 1.000 Meter Abstände – das kommt jetzt alles nach der Sommerpause. Noch nicht so ganz optimistisch sind wir, was die Genehmigungsbehörden anbetrifft. Zwar sehen wir auch steigenden Genehmigungszahlen, aber immer auch noch alte Muster. Und da ist es wichtig, dass die Regierung in die Kommunalparlamente hinein kommuniziert. Stichwort kommunale Selbstverwaltung: Kommunen sagen: lasst uns in Ruhe, wir wollen das selbst machen. Wir müssen kommunizieren: Welche Kommune steht denn jetzt gut da wegen der erneuerbaren Energien?
B-Plan: 8 Seiten in den 60ern – jetzt über 1.000 Seiten
Christoph Heidenreich, Stadtbaurat von Gelsenkirchen, sagte, viele Kommunen hätten sich noch nie so intensiv wie jetzt durch den Ukrainekrieg mit Energiebeschaffung und Energiesicherheit beschäftigt. Eine Notstromversorgung müsse jetzt erst wieder aufgebaut werden. „Gleichzeitig sollen wir noch die Genehmigungen und den Ausbau erneuerbarer Energien beschleunigen. Ein Problem ist dabei der demografische Wandel und damit einhergehend der Fachkräftemangel. Wir verlieren gerade die Leute, die die Genehmigungspraxis der letzten Jahre kennen.“ Anderes Beispiel sei der Aufwand: „Ein Bebauungsplan (B-Plan) von Ende der 60er Jahr fiel mir neulich in die Hände. Umfang: Acht Seiten. Heute machen wird gerade einen Bebauungsplan von hoher Wichtigkeit für die Etablierung einer Kreislaufwirtschaft. Da sitzen drei Mitarbeitende von mir in Vollzeit dran. Mittlerweise wurden über 1.000 Seiten geschrieben und fast 20 Gutachten angefertigt.“ Man werde nach etwa zwei Jahren fertig sein, obwohl mit voller Manpower dran gearbeitet werde. „Alles ist sehr aufwändig: Bislang mussten wir für Freiflächen-Photovoltaik in der Regel einen eigenen Bebauungsplan aufstellen. Das alles kostet Zeit, wir müssen aber auch noch andere Dinge wie den Bau von Schulen voranbringen.“
Tim Loppe, Leiter Medien und Politik bei der Naturstrom AG, erklärte, beim Photovoltaik-Ausbau im Geschosswohnungsbau sei in der Vergangenheit zu wenig passiert. „Die Hemmnisse, die hier in der Regulierung vor allem auf Bundesebene bestanden und teils noch bestehen, werden derzeit angepackt. Wir setzen große Hoffnung in die Vereinfachungen, die das Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende für Mieterstromprojekte in Bestandsimmobilien mit sich bringt.“ tMit der im Gesetz eröffneten Möglichkeit, die Solarstromverbräuche mehrerer Hausparteien virtuell zu bilanzieren, reduzieren sich laut Loppe die Kosten der Messtechnik immens. Weitere Verbesserungen für die Aufdach-PV jenseits des klassischen Einfamilienhauses sollten im Zuge der Solarstrategie auf Bundesebene kommen. „Hier heißt es am Ball zu bleiben, damit die Ankündigungen nach der Sommerpause praxistauglich umgesetzt werden. In den vergangenen anderthalb Jahren hat sich energiepolitisch auf Bundes- wie auch auf NRW-Landesebene so viel getan, wie vorher in einer ganzen Dekade nicht. Da wurden schon viele Steine aus dem Weg geräumt, um den Windenergie- und Photovoltaikzubau zu beschleunigen. Dezentrale Konzepte und die Bürgerenergie-Bewegung sind dabei anfangs zu kurz gekommen. Wir sehen nun aber ernsthafte Bestrebungen, diese Leerstellen zu schließen.“