Vera Schorbach, Professorin für Windenergie und virtuelle Produktentwicklung an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW), spricht über ihr Forschungsthema Zweiblattanlagen.
Welche Pläne verfolgen Sie beim Thema Zweiflügler?
Vera Schorbach: Wir haben ein Forschungsprojekt, das sich mit Zweiblattanlagen befasst. Die zentrale Forschungsfrage lautet erstens: Kann man Zweiblatt- und Dreiblattanlagen fair miteinander vergleichen und wie sieht ein solcher Vergleich aus? Und zweitens: Sind Zweiblattanlagen günstiger als Dreiflügler? Lohnen sie sich? Um das zu beantworten, entwickeln wir auf Basis einer virtuellen Dreiblatt-Forschungsanlage eine Zweiblattanlage. Die Dreiblattanlage kommt aus dem Forschungsprojekt Innwind und hat eine Leistung von 20 MW und 252 Meter Rotordurchmesser. Unser Zweiflügler wird den gleichen Ertrag und die gleiche Nabenhöhe haben wie diese Anlage. Letztlich haben wir dann zwei Anlagen, die man wirklich miteinander vergleichen kann. Eine passende Bezeichnung dafür wäre „Schwesteranlage“. Zum Verständnis hinsichtlich eines fairen Vergleichs: Ming Yang hat bis vor fünf Jahren Zweiblattanlagen gebaut. Da können Sie sich zwar die Daten ansehen, aber Sie wissen nicht, mit welcher Dreiblattanlage Sie diese vergleichen müssten. Es hat bisher nie einen fairen Vergleich gegeben mit zwei Schwesteranlagen, die den gleichen Ertrag haben. Deshalb stecken wir so viel Arbeit in die detaillierte Auslegung von unserer Zweiblattanlage, um so erstmalig einen Vergleich auf allen Ebenen zu ermöglichen.
Wie weit sind Sie da?
Vera Schorbach: Wir sind noch dabei, die Zweiblattanlage zu entwickeln. Wir haben erste Lastsimulationen gemacht und sind jetzt bei den großen strukturellen Bauteilen. Wenn ich auf Basis einer Dreiblattanlage eine Zweiblattanlage konstruiere, muss zunächst entschieden werden, wie schnell letztere drehen soll. Soll das Blatt ungefähr gleich bleiben, dann muss die Anlage schneller drehen. Soll jedoch die Drehzahl gleich bleiben, muss die Breite des Blattes (die Blattsehnenlänge) vergrößert werden. Wenn Sie da einen Blick in die Literatur werfen, dann teilen sich die Meinungen 50:50 auf. Unsere Antwort ist ein Kompromiss. Wir haben herausgefunden, dass die Zweiblattanlage idealerweise 100 Meter pro Sekunde Blattspitzengeschwindigkeit haben sollte. Das ist elf Prozent schneller als die Innwind-Dreiblattanlage. So ist das Blatt stabil und gleichzeitig leicht genug. Wir sind mit der Entwicklung unserer Zweiblattanlage auf der Zielgeraden. Dann haben wir belastbare Lastsimulationen und fertige Ergebnisse. Das heißt, wir können dann sagen: Wie schwer ist das Blatt, wie schwer der Turm? Das Fundament? Dann können wir die Cost of Energy ausrechnen. Wenn ich weiß, wie viel so ein Blatt wiegt, kann ich relativ schnell ausrechnen, was es kostet. Aber es ist ein enormer Prozess herauszufinden, wie das Blatt ausgelegt sein muss, damit es betriebsfest ist und auch Extremlasten aushält. Wenn wir diese Basis-Zweiblattanlage haben, schauen wir, wie wir die Lasten möglichst weit reduzieren können. Stichwort Pendelnabe, individuelle Pitchregelung oder weitere moderne Regelungsstrategien.
Inwiefern kann man Teile der ursprünglichen Anlage in den Zweiflügler übernehmen?
Vera Schorbach: Leider ist es nicht so, dass man einfach ein Blatt weglassen kann, das wäre schön. Die Rotorblätter einer Zweiblattanlage haben, wie beschrieben, eine andere Form, der Turm muss anders ausgelegt sein. Eine Zweiblattanlage ist ganz anders belastet als eine Dreiblattanlage. Der Generator wird sich unterscheiden, weil die Drehzahl höher ist und daher weniger Polpaare gebraucht werden. Das ist ein Gewichts- und Kostenvorteil. Die Nabe wird auch anders aussehen. Der Großteil der Elektrik wird gleich bleiben. Wir konzentrieren uns in diesem Forschungsprojekt auf die großen, strukturellen Bauteile, weil die den größten Einfluss auf die Kosten haben. Hier ist Genauigkeit gefordert. Deshalb stecken wir in Bauteile, die weniger als fünf Prozent der Kosten ausmachen, natürlich nicht so viel Zeit wie etwa in den Turm, der rund 30 Prozent der Anlage kostet. Wir sind nur drei Kollegen im Team.
Es hat ja schon in der Vergangenheit Versuche mit Zweiflüglern gegeben, Aeolus zum Beispiel. Die sind nicht weiterverfolgt worden, weil die Lasten schwer zu bezwingen waren. Der Geräuschpegel, das visuelle Erscheinungsbild, vieles sprach gegen Zweiflügler. Warum jetzt ein neuer Anlauf?
Vera Schorbach: Ja, das ist ein Punkt. Windenergie wurde ja zunächst für Onshore entwickelt. Die Zweiblattanlage kann ihre Stärke aber eigentlich erst Offshore wirklich ausspielen. Sie kann einfacher errichtet und transportiert werden, da der Rotor bereits an Land vormontiert werden könnte. Außerdem wäre die Turmkopfmasse leichter als bei einer vergleichbaren Dreiblattanlage. Das sind alles Aspekte, die Onshore kaum eine Rolle spielen. Wenn Sie die gesamten Kosten einer Offshore-Windenergieanlage betrachten, dann liegt die Anlage selbst bei nur 30 Prozent. Balance of Plant, also Errichtung, Gründung und Verkabelung sind weitere 30 Prozent. Und der Rest sind Betriebskosten. Auch diese sind bei Zweiblattanlagen geringer, da ein Blattsystem weniger gewartet werden muss. Offshore spielt es eine große Rolle, wie schnell ich eine Anlage errichten kann und wie lange es dauert, sie zu warten. Hier hat eine Zweiblattanlage deutliche Vorteile.
Aber werfen wir einen kurzen Blick auf die ersten Zweiblattanlagen aus den 80ern.
Viele sagten damals, Zweiblattanlagen sind hässlich. Und tatsächlich wirken sie unrund, wenn sie drehen. Je nach Konzept waren einige auch lauter, weil sie schneller gedreht haben. Wenn alle Dreiblattanlagen, die heute auf dem Land stehen, Zweiblattanlagen wären, dann hätten wir wahrscheinlich noch viel mehr Windkraftgegner. Das sind jedoch alles nur Gegenargumente, wenn es um Onshore geht. Auch die Dynamik war in der Vergangenheit problematisch. Ein Zweiflügler ist dynamisch wesentlich mehr beansprucht als eine Anlage mit drei Blättern. Das waren aus der Perspektive der 80er Jahre für Onshore-Anlagen drei Killerargumente. Heute ist die angewendete Regelungstechnik jedoch deutlich weiter. Außerdem geht es in unserem Fall um Offshore-Anlagen. Viele Zweiblattanlagen in der Vergangenheit waren zudem reine Forschungsprojekte. Die berühmteste war Growian, ein Forschungsprojekt mit einem sehr großen Budget. Darum hat man dann gleich in die Vollen gegriffen und Anlagengrößen gebaut, die man noch gar nicht handhaben konnte. Growian hatte einen Rotordurchmesser von 100 Metern. Das war 1981. Die Standardanlange war zu der Zeit die Vestas V15 mit 15 Meter Rotordurchmesser. Das wäre so, als würden wir heute aus heiterem Himmel eine Anlage mit 350 Meter Rotordurchmesser bauen. Das Scheitern des Growian lag unter anderem daran, dass hier solch ein Riesenschritt gegangen wurde. Und das wiederum hat das Image der Zweiflügler geprägt. Growian hatte 400 Betriebsstunden, bevor er wieder zerlegt wurde. Zudem hatte er eine Pendelnabe, die ungünstig ausgelegt war. Ein weiterer Grund für sein Scheitern. In meiner Promotion habe ich mich mit Pendelnaben befasst. Growian hat nicht nur den Zweiblattanlagen an sich, sondern auch den Pendelnaben zu einem sehr schlechten Image verholfen. Ich habe mir da sehr viel anhören müssen, weil ich meine Promotion über Pendelnaben bei Zweiblattanlagen geschrieben habe. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viele Leute mir einen Vogel gezeigt haben und gesagt haben: Bist Du verrückt? Du beschäftigst Dich mit Pendelnaben?
Vielleicht können Sie kurz sagen, was denn überhaupt eine Pendelnabe ausmacht?
Vera Schorbach: Eine Dreiblattanlage hat eine starre Nabe. Die Rotorblätter sind fest an der Nabe und die Nabe ist fest an der Antriebswelle. Auch viele Zweiblattanlagen haben eine starre Nabe, aber bei Zweiblattanlagen gibt es auch die Möglichkeit, die Nabe pendeln zu lassen. Das geht bei Dreiblatt- anlagen nicht. Bei einer Pendelnabe habe ich ein zusätzliches Gelenk in der Nabe, das dem Rotor die Möglichkeit gibt, sich ein paar Grad nach hinten zu bewegen, also dem Wind sozusagen auszuweichen. Dadurch reduziert sich ein großer Teil der Belastungen auf Nabe, Gondel und Turm.
Und jetzt wollen Sie auf die Pendelnabe verzichten?
Vera Schorbach: Auf keinen Fall. Ich konnte in meiner Doktorarbeit nachweisen, dass Pendelnaben sehr gut funktionieren, wenn sie richtig ausgelegt sind. Wenn eine Pendelnabe gut ausgelegt ist, kann ich damit sehr gut die Lasten reduzieren. Aber wenn sie schlecht ausgelegt ist, endet es im Desaster. Ich konnte nachweisen, dass Pendelnaben zu Unrecht einen so schlechten Ruf haben. Daraus hat sich das Forschungsprojekt ergeben. Wir wollen auf jeden Fall auch einen Vergleich mit Pendelnaben machen.
Der Artikel ist eine Kostprobe aus unserem Printmagazin. Ein kostenloses Probeabo finden Sie hier.
Behalten Sie die Entwicklung von Windturbinen im Blick. Abonnieren Sie dazu einfach unseren kostenlosen Newsletter! Hier können Sie sich anmelden.