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Fraunhofer CSP

"Der Wert von Innovationen muss sich beziffern lassen"

Der gebürtige Karlsruher kommt von der Loughborough University/England nach Sachsen-Anhalt. Im Interview 100 Tage nach seinem Amtsantritt erklärt der 48-jährige Physiker, was ihn an den neuen Aufgaben reizt, welche Ziele er sich gesetzt hat und wie er die Perspektiven der Photovoltaik in Deutschland beurteilt.

Sind jetzt seit 100 Tagen in der neuen Funktion im Amt. Wie fällt die Zwischenbilanz aus und was möchten Sie als neuer Leiter des Fraunhofer CSP erreichen?

Bis April hatte ich die Arbeiten des Fraunhofer CSP von außen betrachtet. Diese unvoreingenommene Perspektive hat sich als sehr wertvoll erwiesen und mein Eindruck ist weiterhin: Das Fraunhofer CSP ist hervorragend aufgestellt für die Technologiebegleitung von Innovationen, etwa neue Anwendungsfelder wie Fahrzeug-integrierte und Gebäude-integrierte Photovoltaik, die Qualitätssicherung entlang der gesamten Wertschöpfungskette, neue Mess- oder Automatisierungsansätze und die Leistungsoptimierung von Systemen. In den ersten 100 Tagen habe ich mich darauf konzentriert, einen Eindruck von innen zu gewinnen, vor allem durch Gespräche mit den neuen Kollegen. Daraus werden sich jetzt die konkreten Ziele ableiten. Was ich schon sagen kann: Die Energiewende ist mir persönlich sehr wichtig. Ich möchte zum Erfolg der Photovoltaik beitragen. Ich sehe auch, dass in den vergangenen Jahren ein Großteil der Modulhersteller aus Deutschland abgewandert ist und zugleich die Zulieferer immer größerem Kostendruck ausgesetzt sind. Ein Problem für die Industrie ist, dass es derzeit nicht möglich ist, den Wert von Innovationen zu bestimmen. In diesem Punkt zu einer Lösung beizutragen, ist mir ein wesentliches Anliegen.

In der Photovoltaik-Industrie haben wir derzeit einen Fokus auf den Verkauf von System, der Anwender hat jedoch seinen Fokus auf Energiegewinnung. In der Industrie herrscht ein intensiver Preiskampf, bei dem es zunächst darum geht, möglichst billig zu produzieren. Viele Hersteller quantifizieren dabei nicht die Auswirkungen auf die Zuverlässigkeit und führen auch keine LCA (Life Cycle Analysis) durch. Verbesserungen, die den Lebensenergieertrag steigern, können die Leistung eines Moduls reduzieren. Dies ist nicht immer der Fall, kann aber passieren. In solch einem Fall reduziert sich der Wert des Produkts für den Hersteller, da dieser Leistung verkauft, erhöht aber den Wert für den Nutzer. Es gibt jedoch noch keine verlässlichen Berechnungen des Lebensenergieertrags und somit ist eine LCA, wie sie für konventionelle Kraftwerke durchgeführt wird, bisher nicht machbar.

In anderen Branchen gibt es z.B. ein Qualitätsmanagement, das Rücklaufzahlen in Abhängigkeit von Einsatzprofilen statistisch berechnen kann. In der Photovoltaik beschränkt sich das Qualitätsmanagement oft auf die Zertifizierung des Modultyps nach IEC, was nur aussagt, dass ein Modul eines Typs die Chance hat, 25 Jahre in einem mitteleuropäischen Klima zu überstehen. Ein Schritt, der meiner Meinung nach dringend benötigt wird, ist eine statistische Bewertung der Zuverlässigkeit und auch eine Honorierung von Garantiefällen, die in anderen Industrien üblich ist.

Parallel sind Sie zum Professor für Photovoltaische Energiesysteme an der Hochschule Anhalt berufen worden. Was macht gute Hochschullehre für Sie aus? Welche Impulse möchten Sie dem Studiengang geben?

Gute Hochschullehre bedeutet für mich, einen engen Bezug zu den Studierenden zu haben und auch den Dialog zu suchen. Das kann beispielsweise bedeuten, über eine Evaluation die Bedürfnisse der Studentinnen und Studenten abzufragen, um dadurch Feedback für eine kontinuierliche Verbesserung der Lehre zu erhalten. Eine praxisorientierte Ausbildung sollte zudem gute Karriereaussichten eröffnen. Da können wir unterstützen, indem wir schon während des Studiums eng mit möglichen Arbeitgebern zusammenarbeiten. Die Impulse, die ich dem Studiengang gerne geben möchte, liegen vor allem in der anwendungsbezogenen Betrachtung der Solarenergie. Ich möchte also nicht nur technologische Fragestellungen in den Blickpunkt rücken, sondern auch die Betrachtung spezifischer Anwendungen und deren Pflichtenhefte.

Das bauen einer Solaranlage ist kein Selbstzweck. In den meisten Fällen versucht man, eine Dienstleistung zu erbringen. Ein anschauliches Beispiel wäre die Elektrifizierung eines Dorfes in einem Entwicklungsland. Den Bewohnern ist es egal, wie viele kWp das System hat oder wie viele kWh es produziert. Den Nutzer interessiert, wie viele Stunden Licht oder Fernsehen oder Mobiltelefonladung er bekommt und dass der Strom auch zu der Tageszeit an dem Tag verfügbar ist, wenn es für ihn nützlich ist. Das Pflichtenheft wäre hier die Bereitstellung einer Dienstleistung zu gewissen Zeiten, mit einer gewissen Zuverlässigkeit etc. Dies zu erfüllen, bedarf mehr als nur die Anlage aufzubauen: Betriebsführung und Wartung werden essentiell.

Eine ähnliche Betrachtung gilt für Systeme, die ins Netz einspeisen. Die billigste kWh ist zu teuer, wenn das Netz zu dem betreffenden Zeitpunkt überlastet ist und man noch dafür zahlen muss, um die Energie wieder los zu werden. Die Photovoltaik hat ein fulminantes Wachstum hinter sich und ist zu einer Mainstreamtechnologie erwachsen. Dies bedeutet, dass man die Rahmenbedingungen für Installationen betrachten muss. Die Kosten der Technologie sind so gefallen, dass meiner Meinung nach die Wirtschaftlichkeit einer PV-Installation weniger von den Komponentenkosten getrieben wird als von deren Zuverlässigkeit und den sonstigen Rahmenbedingungen.

Die Betrachtung dieser Rahmenbedingungen und der Dienstleistungscharakter der Photovoltaik sind spezifische Punkte, die ich vermitteln möchte.

Der englischsprachige Studiengang ist ein Beispiel für die zunehmende Internationalität der Hochschule Anhalt. Welche Möglichkeiten haben Sie, diesen Aspekt zu stärken, gerade durch die Einbindung Ihres persönlichen Netzwerks?

Ich habe in der Vergangenheit sehr international gearbeitet und pflege weiterhin sehr gute Verbindungen zu amerikanischen und asiatischen Universitäten. Es ist mein Ziel, fruchtbare Kooperationen mit einigen Partnern zu arrangieren, die einerseits das Interesse an einem Studium bei uns noch weiter steigern, andererseits den Bekanntheitsgrad der Hochschule Anhalt noch erhöhen sollen.

Die Solarbranche in Deutschland hatte zuletzt einen schweren Stand. Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?

Richtig ist, dass es kaum noch Modulhersteller gibt. Diese Situation kenne ich aber aus England, wo der Photovoltaikmarkt erst ab 2011 richtig Fahrt aufgenommen hat. In Deutschland ist die Solarforschung nach wie vor stark, auch etliche internationale Marken haben hier ihre Forschungsaktivitäten konzentriert. Deutschland hat zudem eine führende Rolle im Maschinenbau für die Solarbranche, das ist besonders reizvoll im Blick auf die Photovoltaik-Industrie 4.0. Generell wird bei der Bewertung der Branche vielleicht ein wenig zu großer Fokus auf die Modulherstellung gerichtet. Die Photovoltaik kann man mit dem Mobilfunk vergleichen: Das ist ein essentieller Industriebereich, in dem fast alle Geräte in China produziert werden. Aber Zulieferer, Betriebsführung und Finanzierung tragen auch anderswo signifikant zur Wertschöpfung bei, auch in Deutschland.

Vielleicht kann ich hier noch etwas vertiefen. Die Marktsituation ist sehr angespannt und auch Maschinenbauunternehmen kämpfen mit der Konkurrenz aus China. Softwaregetriebene Prozesse, wie z.B. Industrie 4.0 oder auch Metrologie (Messtechnik) scheinen jedoch länger Alleinstellungsmerkmale zu bleiben, und daher könnte ein konsequentes Vorantreiben dieser Technologien einen Wettbewerbsvorteil bedeuten. Des Weiteren wurde gezeigt, dass die derzeit profitabelsten Segmente in der PV Industrie der EPC (Engineering and Procurement Contractor, hier einschließlich Betriebsführung und Wartung) und der Energieverkauf sind.

(Nicole Weinhold)