Nicole Weinhold
Wir kennen die Diskussion über linksdrehende oder rechtsdrehende Milchsäure. Wenn es nicht gerade um Säuglingsernährung geht, spielt die Richtung aber keine Rolle - außer vielleicht für die Werbefachleute der Molkerei-Industrie. In Australien dreht sich der Strudel des ablaufenden Badewassers anders herum. Auch das spielt keine Rolle. Ebenso wenig schmeckt ein Martini je nach Rüherrichtung anders. Und ob ein Karussel rechts- oder linksherum dreht, interessiert auch nur die Wenigsten. Dieses Sammelsurium der Drehrichtungen kann jetzt erweitert werden um eine Frage, die das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) aufgeworfen hat: Sollten Windkraftanlagen nicht lieber andersherum drehen? Die Tagespresse reagierte prompt mit aufgeregten Schlagzeilen: "90 Prozent der Windräder drehen sich falsch herum", "Verschenktes Potential durch falsche Drehrichtung", "Streit um linksdrehende Rotoren".
Im August 2019 veröffentlichten Antonia Englberger, Andreas Dörnbrack (beide (German Aerospace Center, Institute of Atmospheric Physics, Oberpfaffenhofen, Germany),und Julie K. Lundquist (Department of Atmospheric and Oceanic Sciences, University of Colorado Boulder, Boulder, USA; National Renewable Energy Laboratory, Golden, Colorado, USA) ein Diskussionpapier, das der Frage nachgeht, ob die Drehrichtung einer Windkraftanlage den Nachlauf in einer stabil geschichteten atmosphärischen Grenzschicht beeinflusst und welche Auswirkungen dies auf den Ertrag der Anlagen haben kann. Im Januar 2020 folgte ein zweites Diskussionpapier, welches klären will, ob sich Windkraftanlagen in die entgegengesetzte Richtung drehen sollten. Dieser Beitrag wurde ab Mitte Juni in vielen Medienberichten aufgegriffen und zitiert. Wie nach der vom DLR angekurbelten Diskussion über Insektensterben an Windkraftanlagen fragt sich die Windkraft-Branche auch diesmal wieder: Was ist der Sinn dieser Thesen? Wir sprachen mit dem Geschäftsführer des Bundesverbands Windenergie, Wolfram Axthelm.
Drehen alle Windkraftanlagen verkehrt herum? Laut DLR schon….
Wolfram Axthelm: Die Debatte hat uns überrascht. Zunächst ist man angesichts der in den Raum geworfenen These etwas ratlos. Schon die Recherche der Quellen des Diskussionspapiers – denn es ist ausdrücklich keine Studie – wirft eine Reihe von Fragen auf. Die rein theoretischen Simulationen blenden aus, wie sich die Anordnung der Anlagen innerhalb eines Parks auswirkt oder wie Turbulenzen die beschriebenen Effekte verringern. Dann stützen sich die Autoren auf Beobachtungen in großen, flachen Ebenen der USA. Diese lassen sich auf die vielfältige Topgrafie in Europa nicht übertragen.
Die Diskussion besteht schon seit August 2019. Was steckt dahinter?
Wolfram Axthelm: Gemeinsam mit einer US-amerikanischem Autorin haben zwei Wissenschaftler des DLR im August 2019 ein erstes Diskussionspapier veröffentlicht und im Januar, mit Veröffentlichung eines zweiten Papieres, zugespitzt. Diese Zuspitzung fand den Weg in die Medien und schon stand im Raum, dass die Energieausbeute bei linksdrehenden Rotoren deutlich größer ist als bei den derzeit betriebenen rechtsdrehenden Rotoren. Dies ist wissenschaftlich nicht belegt und technisch falsch.
Warum ist das Aufwerfen dieser Fragestellung nicht zielführend?
Wolfram Axthelm: Fragen darf die Wissenschaft immer stellen. Dies ist sogar deren Aufgabe. Aber Wissenschaft ist auch gefordert keine Missverständnisse zu provozieren. Die Zusammenfassung und Überschriften der Texte suggerieren, dass die Drehrichtung insgesamt links statt rechts sein sollte. Im Text wird aber die zweite Reihe von Anlagen innerhalb eines Windparks diskutiert und behauptet, dass linksdrehende Anlagen in der zweiten Reihe zu höheren Erträgen führen. Schon dies ist falsch. Gleichzeitig ist wohl jedem klar, was es bedeutet wenn die erste Reihe im Uhrzeigersinn und die zweite links, die dritte wieder im Uhrzeigersinn etc. dreht. Dies würde die Akzeptanz in der Bevölkerung untergraben.
Das DLR hatte zuletzt durch eine Studie über Windkraft und Insekten auf sich aufmerksam gemacht. Wie kommt es zu diesen ungewöhnlichen Fragestellungen in einer Forschungseinrichtung, die dem zügigen Ausbau einer sauberen Energiequelle wie der Windkraft nicht dienlich ist? Geforscht wird ja sonst eher dahingehend, die Technologie voran zu bringen: Mehr Ertrag, weniger Material, besserer Transport, weniger Umwelteinfluss wie Schall…
Wolfram Axthelm: Die aktuell publizierte These hat, wie die vor einem Jahr zu Insekten, viel mit Kaltakquise von Drittmitteln zu tun, aber wenig mit Wissenschaftlichkeit. Wenn Thesen aufgestellt und medial publiziert werden, die dem wissenschaftlichen Ruf der Institution eigentlich nicht mehr gerecht werden, sollte dies zu denken geben. So Forschungsbedarf zu generieren, gehört sich nicht.
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