Die Rotorblatt-Inspektion in Offshore-Windparks erfolgte bislang durch das Abseilen von Personen vor Ort, was allerdings sehr kostenintensiv und mit Personenrisiken verbunden ist. Die Omexom Renewable Energies Offshore GmbH hat daher – unterstützt durch verschiedene Innovationsförderprogramme und Stakeholder von VINCI und VINCI Energies – eine smarte Lösung entwickelt: Mithilfe von mit Kameras ausgestatteten Drohnen und einer anschließenden Bildanalyse mittels künstlicher Intelligenz (KI) gelingt die Inspektion schneller, günstiger und vor allem sicherer.
Nach einer Untersuchung des Fraunhofer-Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik hat die Offshore-Windkraft das Potenzial, bis 2050 einen Maximalanteil von rund 32 Prozent (258 TWh) der in Deutschland erforderlichen Gesamtenergie bereitzustellen. Mit dem am 1. Januar 2023 in Kraft getretenen Windenergie-auf-See-Gesetz hat die Bundesregierung dazu auch eine der entscheidenden Weichen gestellt. Allerdings: Mit dem Ausbau der WEA-Kapazitäten allein ist es nicht getan, um eine zuverlässige Erzeugung grüner Windenergie sicherzustellen. Denn gerade im Offshore-Bereich stellen Wartung und Instandhaltung eine besondere Herausforderung dar – allem voran bei den Rotorblättern der Anlagen.
Neben hohen Kräften aufgrund der Drehbewegung, die an der Spitze eines Blattes eine Geschwindigkeit von bis zu 400 km/h erreichen kann, sind sie ganzjährig den Elementen ausgesetzt – starke Winde, Wellengang und die salzhaltige Luft auf dem Meer verstärken den Effekt bei Offshore-WEAs noch zusätzlich. Vorgaben sowohl vonseiten des Gesetzgebers als auch der Hersteller legen zudem Intervalle fest, in denen Inspektionen und Wartungsarbeiten zu erfolgen haben. Diese müssen Betreiber von Beginn an mit einplanen, um die wirtschaftliche Betriebsdauer von 20 bis 25 Jahren auch tatsächlich erreichen zu können. Da die traditionelle Inspektion von Rotorblätter jedoch teuer, aufwändig und mit einem hohen Personenrisiko verbunden ist, sind Alternativen gefragt.
Moderne Technik klug kombinieren
Jahrelange Erfahrung mit der Wartung und Instandhaltung von Offshore-Windparks hat die Omexom Renewable Energies Offshore GmbH. Der auf den gesamten Lebenszyklus von Offshore-Anlagen spezialisierte Industriedienstleister kennt das Bündel an Herausforderungen: von der umfassenden und langwierigen Planung über die damit verbundenen Kosten bis hin zu den Risiken für die in luftiger Höhe arbeitenden Techniker. So beträgt etwa die Standzeit einer einzigen WEA bei einer herkömmlichen Inspektion zwischen sechs und zwölf Stunden. Bei einem täglichen Ertragsausfall von im Schnitt 10.000 Euro entstehen damit Verluste zwischen 2.500 und 5.000 Euro – ohne Berücksichtigung der Kosten für die Dienstleistung selbst. Unterstützt durch verschiedene Stakeholder und Innovationsförderprogramme von VINCI und VINCI Energies entwickelte Omexom Offshore daher die Lösung „OBSERVAERO“: Sie kombiniert die Vorteile von Drohnen mit der automatisierten Bilderkennung mittels KI.
Statt Menschen die Rotorblätter direkt vor Ort zeitaufwändig und unter persönlichen Risiken inspizieren zu lassen, kommen mit hochauflösenden Kameras ausgestattete Drohnen zum Einsatz. Dank der fortgeschrittenen Technologie gelingt es, den Rotorstern innerhalb von etwa einer halben bis einer Stunde abzufliegen. Die dabei gemachten Aufnahmen werden anschließend einer KI vorgelegt, die auf den Bildern der Rotorblätter Auffälligkeiten vorselektiert und kenntlich macht. Blattexperten werten die Bilder final aus. Wie sieht der Vorgang im Detail aus und welche Technik steckt dahinter?
Inspektion – buchstäblich wie im Flug
Auch Drohnen und ihre spezialisierten Piloten müssen an eine Anlage heran. Die Anfahrt erfolgt wie bei den meisten regelmäßigen Arbeiten im Windpark per Crew Transfer Vessel (CTV). Der Clou: Während bei der herkömmlichen Methode die Seilkletterer einen ganzen Arbeitstag zur Inspektion benötigen und ein Sicherungsschiff vorgehalten werden muss, kann der Drohnenflug innerhalb der zuvor genannten kurzen Zeit erfolgen. So kann eine Drohne innerhalb des für einen Tag gebuchten Schiffs gleich mehrere WEAs abfliegen und inspizieren, was die Effizienz deutlich hochskaliert.
Die Drohne kann selbst bei Windgeschwindigkeiten zwischen 12 und 14 m/s noch fliegen. Allerdings sollte es nicht regnen und auch kein Nebel herrschen. Andernfalls kann die Bildqualität zu stark darunter leiden, beziehungsweise muss nach aktueller Rechtslage der Pilot Sichtkontakt zur Drohne halten können. Sind die Wetterbedingungen ausreichend gut, erfolgt der Flug nach einem gleichbleibenden Abflugmuster. Je nach Kundenwunsch kann der gesamte Rotorstern in einer einzigen Position abgeflogen oder jedes Blatt einzeln in 12-Uhr-Stellung gebracht werden, um Abschattung zu verhindern und damit die Bildqualität noch weiter zu erhöhen. In diesem Fall sind jedoch zumeist drei Flüge erforderlich. Nach Abschluss des Drohnenflugs erfolgt ein kurzer Quality-Check des Bildmaterials, bevor der Rotorstern der nächsten Anlage abgeflogen werden kann.
Bildanalyse per KI
Das Team von Omexom überträgt später die auf der Drohne gespeicherten Bilddaten auf die Plattform OBSERVAERO, um diese von einer künstlichen Intelligenz analysieren zu lassen. Der Algorithmus, auf dem die KI basiert, hat sich bereits in der Bilderkennung im Straßenbau und der Kohleindustrie bewährt. Für die Aufgabe im WEA-Bereich war allerdings zunächst ein Initialtraining nötig, bei dem der KI Bilder von Rotorblättern vorgelegt wurden, bei denen Fachpersonal Schäden zuvor nach streng abgestimmten Regeln manuell markiert hatte. So lernt die KI Muster entsprechender Schäden wiederzuerkennen. Auch während der praktischen Arbeit läuft das Training kontinuierlich weiter. Denn mit jeder neuen Aufnahme lernt die KI hinzu – auch bei nicht oder unzutreffend erkannten Schäden, die – nachträglich korrigiert – wieder in das Training eingespeist werden.
Registriert die KI Mängel, markiert sie diese auf den Aufnahmen. Nach dem Human-in-the-Loop-Ansatz sichten anschließend Blattexperten von Omexom die Bilddaten, überprüfen die KI-Markierungen und erstellen einen Inspektionsbericht, den sie an die jeweiligen Kundenansprechpartner weiterleiten. Zusätzlich zum Inspektionsbericht erhält der Kunde auch Zugang zur OBSERVAERO-Plattform, um sich die markierten Bilder selbst anzusehen und weitere Schritte optimal planen zu können.
Dank der höheren Flexibilität, des geringeren Aufwands und der reduzierten Kosten können Prüfungen mit OBSERVAERO häufiger erfolgen und Schäden deutlich schneller erkannt werden. Das hat wiederum zur Folge, dass sich Mängel frühzeitig beheben lassen und damit der Austausch eines Rotorblattes gar nicht erst erforderlich ist.
Im Einsatz bewährt – für zahlreiche Vorteile
Die Lösung hat ihre praktischen Fähigkeiten bereits bei mehreren Nordsee-Windparks von verschiedenen Betreibern unter Beweis gestellt. Hierbei führte Omexom mittels OBSERVAERO neben verdachtsunabhängigen auch zielgerichtete Inspektionen nach bestehenden Verdachtsmomenten durch. Ebenso lassen sich Fremddrohnenbilder von der KI der Plattform analysieren.
Mehr Flexibilität für Prüfungen, der deutlich geringere Aufwand, die höhere Effizienz und schließlich die dadurch reduzierten Ertragsausfall- und Service-Kosten ermöglichen gemessen an einer einzelnen Windenergieanlage Einsparungen von rund 0,5 Prozent ihrer Jahresproduktion – oder zwei Tage der vollen Produktionskapazitäten. Das entspricht pro WEA pro Jahr etwa 20.000 Euro. Hinzu kommt die insgesamt höhere Zuverlässigkeit des Betriebs, die wiederum dazu führt, dass die Stromerzeugung aus Windkraft preiswerter, planbarer und effizienter wird und dazu beitragen kann, dass die allgemeine Akzeptanz für die Energiewende steigt. Bei VINCI Energies und ihren Marken sind bereits weitere Anwendungsfälle für den Einsatz der Lösung im Gespräch. Zudem wird geprüft, wie die Plattform und ihre KI in anderer Form zum Einsatz kommen könnten. Weiterhin ist die Methodik nicht auf den Offshore-Windmarkt beschränkt und kann genauso bei Windenergieanlagen an Land zum Einsatz kommen.
Um die hochwertige Qualität der Inspektionsergebnisse sicherzustellen, hat Omexom das Verfahren einer Validierung unterzogen und dieses Validierungsprogramm zudem von einer unabhängigen Zertifizierungsstelle bestätigen lassen. Diese kommt zu dem Schluss, dass das Verfahren von Omexom nicht nur mindestens gleichwertige Ergebnisse zu der traditionellen Seilzugangsmethode liefert, sondern auch die Anforderungen der zuständigen Behörde, des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrografie (BSH), erfüllt. (nw)
Autor: Lennart Reepschläger, Projektmanager bei Omexom Renewable Energies Offshore GmbH