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Rücksichtsvoll geplant

Sven Ullrich

Kersch ist ein beschaulicher Ort in Rheinland-Pfalz, wenige 100 Meter von der Grenze zu Luxemburg entfernt. Seit der Steinbruch nördlich des Ortes im Jahr 2018 stillgelegt wurde, ist es ruhiger geworden. Inzwischen stehen dort, wo einst Bagger und Lkw Lärm machten, Solarmodule.

Die Kerscher wollen die Fläche nun der Natur zurückgeben. Deshalb wurde unter den Module eine Blumenwiese ausgesät, um Bienen und anderen Insekten eine neue Heimat zu geben. Das Anlegen einer solchen Blühwiese ist ein langwieriger Prozess: Im ersten Schritt wird der gesamte Boden aufgelockert, um die Beikräuter, die sich hier ansiedeln, ohne Chemiekeule zu entfernen. Durch den lockeren Boden gehen diese Pflanzen bei Frost ein. Im Herbst des zweiten Betriebsjahres wird diese Prozedur wiederholt, bevor im Frühjahr darauf die Blumenwiese angesät werden kann – mit heimischen und regionalen Pflanzen.

Auch wenn die Photovoltaik für Konversionsflächen eine sinnvolle Nachnutzung ist, bleiben Natur- und Artenschutz ein wichtiges Thema. Denn gerade diese Standorte – oft handelt es sich um einst militärisch oder industriell genutzte Flächen – bieten vielen Pflanzen und Tieren schon ein Zuhause, bevor die Photovoltaik dazukommt. „In Kersch war das einfach. Denn die Fläche wurde bis vor Kurzem noch als Steinbruch genutzt, so dass sich bisher keine Arten ansiedeln konnten“, sagt Peter Maasem, Projektentwickler von WI Energy.

Das Unternehmen hat die Anlage in Kersch geplant, errichtet und begleitet jetzt auch die Renaturierung. „Konversionsflächen, die brach liegen und auf denen lange nichts gemacht wurde, wo noch Asphaltflächen, alte Gebäude oder viele Bäume vorhanden sind, sind der perfekte Lebensraum für alle Arten“, weiß Maasem. So siedeln sich in den Gebäuden oft Fledermäuse an. Auch Eidechsen und Vögel finden hier viel Ruhe, um sich zu vermehren. Selbst für Wildkatzen sind die brach liegenden Flächen ein perfekter Rückzugsraum.

Kein Solarpark im Naturschutzgebiet

Deshalb sind gerade diese Flächen für den Natur- und Artenschutz besonders relevant. „Sie werden von Biologen von ihrer ökologischen Wertigkeit als so hoch angesehen, dass gerade dort die meisten Beschränkungen bestehen und die intensivsten Ausgleichsmaßnahmen erforderlich sind“, weiß Christine Tranziska. Sie ist in der Projektentwicklung von IBC Solar für die Bauleitplanung zuständig, zu der auch die Planung solcher Ausgleichsmaßnahmen gehört.

Solche Maßnahmen sind die Regel – unabhängig davon, dass die Anlage nicht in einem ausgewiesenen Naturschutzgebiet steht. Denn dort verbietet sich der Bau eines Solarparks ohnehin. „Es sei denn, man erwirkt für diese Fläche ein Ausgliederungsverfahren. Doch dann ist es keine Naturschutzfläche mehr“, erklärt Tranziska. „Das ist zudem aufwändig und langwierig und damit komplett unwirtschaftlich.“

Alle Flächen werden begutachtet

Das trifft für alle Naturschutzgebiete, Vogelschutzgebiete, geschützte Feuchtbiotope oder die sogenannten FFH-Gebiete zu, die in der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie aufgeführt sind. „Andere Schutzkategorien wie beispielsweise Landschaftsschutzgebiete werden von den unteren Naturschutzbehörden per Rechtsverordnung ausgewiesen“, erklärt Marc Krezer, der für die Projektentwicklung von Baywa RE in Deutschland verantwortlich ist. „Die Bundesländer und Naturschutzbehörden der Landkreise unterscheiden sich in der Frage, ob und in welchem Umfang Freiflächenanlagen in solchen Schutzgebieten zulässig sind oder Gebiete vorhabenbezogen verkleinert werden können.“

Grundsätzlich unterliegen alle Flächen dem Bauleitverfahren. Dazu gehört nicht nur die Beteiligung von Naturschutzbehörden und Verbänden, sondern auch ein Bilanzierungsverfahren, bei dem der Ist-Zustand der Fläche mit dem prognostizierten künftigen Zustand verglichen wird. „Hier ergibt sich immer ein Defizit und ein Einfluss auf die Natur, der planungsmäßig ausgeglichen werden muss“, sagt Christine Tranziska von IBC Solar. „Dabei werden alle Klimaschutzvorteile der Photovoltaik gegenüber fossilen Technologien aber nicht mit eingerechnet, sondern nur die Nachteile bilanziert“, kritisiert sie.

Lange Prüfperioden einplanen

Um diese Bilanz zu ziehen, wird die Fläche vorher begutachtet. Ein Biologe untersucht, welche Tiere und Pflanzen vorkommen. Auf dieser Basis werden die notwendigen Ausgleichsmaßnahmen festgelegt. Das kann durchaus langwierig sein. „Wir planen derzeit einen Solarpark auf einer Konversionsfläche. Dazu sind im Vorfeld acht Begehungen notwendig“, berichtet Peter Maasem von WI Energy. „Die ersten beiden finden im Herbst dieses Jahres statt. Im Frühjahr, im Sommer und im Herbst des kommenden Jahres folgen dann wieder jeweils zwei Begehungen. So wird der Gutachter sein Ergebnis erst im Herbst 2022 vorlegen.“

Ein Zeitraum von einem Jahr ist nicht ungewöhnlich, vor allem wenn es um den Vogelschutz geht. Wenn im Gutachten Ausgleichsmaßnahmen festgelegt werden, muss auch dafür noch zusätzlich Zeit eingeplant werden.

Alternativen während der Bauphase bieten

Diese Ausgleichsmaßnahmen können teilweise auch schon während des Baus notwendig werden. Schließlich ist dies die Zeit, in der es unruhig auf der Fläche zugeht. Dann werden auch durchaus Maßnahmen gefordert, damit Tiere einen alternativen Rückzugsraum finden. Das geschieht auf Basis der CEF-Maßnahmen. CEF steht für Continued Ecological Function.Wie der Name schon andeutet, geht es darum, die ökologische Funktionalität der Fläche ohne zeitliche Lücke zu gewährleisten. Solche Anforderungen können die Projektierer mit Nistkästen für Vögel, Stein- und Totholzhäufen für Eidechsen oder Fledermauskeller für den Fall, das auf der Fläche Gebäude stehen, die abgerissen werden, abdecken.

Für die Bauphase sind noch weitere Schutzauflagen möglich. „So kann festgelegt werden, dass die Fläche von Baufahrzeugen nur bei trockenem Wetter oder nur mit Kettenfahrzeugen befahren werden darf, um die Bodenverdichtung zu vermeiden“, erklärt Christine Tranziska.

Symbiose von Natur und Photovoltaik

In manchen Fällen muss der Bau an die Brutzeiten von Bodenbrütern angepasst werden. Schutzmaßnahmen sind auch für die Zeit nach der Inbetriebnahme notwendig, um die Fläche der Natur wieder zurückzugeben. Die Liste der Möglichkeiten ist hier sehr lang.

Das fängt an bei den Blumenwiesen für Bienen – hier ist die Aussaat im Bebauungsplan geregelt und muss mit regionalem und zertifiziertem Saatgut geschehen – und den Nistkästen für die Vögel und reicht bis hin zu Bienen- oder Schwalbenwänden sowie Habitate für Eidechsen und Kleinsäuger oder sogar Wassertümpel für Amphibien und Insekten. „In einer Anlage in Hof haben wir vegetationsfreie Räume für Feldlerchen eingerichtet. Denn diese meiden Strauchhecken und bevorzugen offene Räume, über die sie einen Überblick behalten“, sagt Christine Tranziska.

Oft werden auch Sitzwarten für Greifvögel errichtet. Das hat sogar Vorteile für den Solarpark. „Denn die Greifvögel fangen Mäuse, die andernfalls eventuell die Plastik- oder Gummiteile der Anlage anknabbern würden“, sagt Peter Maasem.

Versiegelung bleibt gering

Welche Maßnahmen konkret notwendig werden, ist im Gutachten festgelegt. Das können durchaus auch Anpassungen der Anlage selbst sein. „In wassersensiblen Bereichen wird eine Beschichtung der Modulpfosten verlangt, um die Zinkauswaschung zu reduzieren, damit der Boden nicht versauert“, weiß Christine Tranziska. Denn das ist eines der wenigen Risiken, die von einem Solarpark ausgehen – neben der minimalen Versiegelung von Fläche.

Diese ist wiederum immer ein Zankapfel. „Das führt dazu, dass die geringfügige Versiegelung ebenfalls zu einem Ausgleichserfordernis führen kann“, sagt Marc Krezer von Baywa RE.

Er verweist auf die Kriterien für Solarparks, die der Nabu und der Bundesverband Solarwirtschaft im April 2021 veröffentlicht haben. Demnach solle der tatsächliche Versiegelungsgrad inklusive aller Gebäudeteile unter fünf Prozent der Fläche liegen.

Mähen nach Brutzeit

Auch während des Betriebs muss der Natur- und Artenschutz im Blick bleiben. „Oft fordern die zuständigen Behörden zahlreiche Auflagen hinsichtlich der Pflege des Solarparks schon im Rahmen des Genehmigungsprozesses ein und fixieren diese in Form von Auflagen“, erklärt Christoph Reiners, bei Baywa RE für das Produktmanagement von Freiflächensystemen zuständig. „So ist im Fall von Bodenbrütern in Solarparknähe beispielsweise die explizite Freigabe der Mahd durch einen unabhängigen Ornithologen einzuholen.

Zum Teil wird auch der teure Abtransport von Mahdgut gefordert, um das Ausdünnen der Böden zu fördern.“ Außerdem dürfen die Flächen der Solarparks nur zu bestimmten Jahreszeiten maschinell gemäht werden, wenn sich Bodenbrüter angesiedelt haben. Auch in Kersch darf nur zwei Mal im Jahr gemäht werden. Dann muss das Mahdgut zwei Wochen liegen bleiben. Danach wird es gewendet und muss noch zwei Wochen liegen, bevor es abgeholt werden darf. Auch dieser Aufwand muss bei der Planung des Betriebs mit eingerechnet werden. Wie hoch die zusätzlichen Betriebskosten für den Naturschutz sind, hängt von den Auflagen ab.

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