Tilman Weber
Stromlieferverträge unabhängig von staatlichen Fördersystemen für erneuerbare Energien elektrisieren auf der Messe E-World in Essen selbst erfahrene Besucher mehr denn je: Im Panel zum Thema „Erneuerbare Energien“ des kostenpflichtigen Kongresses sind am Mittwoch alle Plätze besetzt. Die Diskussion über die Vermarktung von Windstrom ohne Vergütung nach den Förderbedingungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ist rege. Die Vorträge der Referenten ziehen viele Fragen nach sich. Doch die mehrjährigen Stromlieferverträge zwischen Wind- oder Solarparkbetreibern auf der einen Seite und auf der anderen Seite Industrieunternehmen als Großverbraucher oder Stromhändler als Zwischenvermarkter beginnen sich in Europa gerade erst in Pionierländern durchzusetzen. Daher finden Meldungen zu „Power Purchase Agreements“ (PPA) in Deutschland auch dann aufmerksame Zuhörer, wenn das Projekt noch in der Zukunft liegt oder es nur dank kreativer Vermarktungskonstruktionen das Label Stromliefervertrag tragen darf.
175-MW-Solarpark zu Marktwertpreisen
So war der frisch gemeldete Plan des baden-württembergischen Energiekonzerns EnBW ein Thema. Die süddeutschen Energieversorger wollen nun einen 175-Megawatt-Photovoltaikpark in Brandenburg bauen und null Cent EEG-Vergütung dafür verlangen.
Zum Verständnis: In Ausschreibungen müssen Projektierer ihre Vorhaben gemäß dem EEG 2017 für eine gesicherte Vergütung qualifizieren, indem sie dort die geplante Einspeisung ins Stromnetz zu einem niedrigeren Preis als andere Wettbewerber anbieten. Die niedrigsten Gebote erhalten dann den Zuschlag einer 20-jährigen gesicherten Vergütung in Höhe des gebotenen Preises. EnBW verwies nun darauf, bei vergleichbaren Offshore-Windpark-Ausschreibungen bereits erfolgreich mit Null-Cent-Einspeisegeboten abgeschnitten zu haben. Bei solchen Geboten müssen die Netzbetreiber erst dann für die Einspeisung zuzahlen, wenn der Wind- oder Solarstrom an den Strombörsen wegen eines Überangebots sonst negative Preise erzielen würde. Darüber hinaus wollen Projektierer wie EnBW sich mit ihren Null-Cent-Geboten vollständig auf den Marktwert ihres Grünstroms verlassen – auch wenn dieser zwischenzeitlich gen Null gehen sollte. Mit mehrjährigen PPA allerdings können sie sich dann auch einen Kilowattstundenpreis ungefähr auf Höhe des durchschnittlichen Marktwertes absichern. Wie die Vermarktung stattfinden soll, ließ EnBW vorerst offen. Denkbar wären ein PPA genauso wie den Strom eigens im üblichen Viertelstundentakt am tagesaktuellen Spotmarkt der Strombörse zu vermarkten oder auch am längerfristigen Regelenergiemarkt.
In dieselbe Kategorie passt die auf der Messe am Mittwoch bekannt gegebene Mitteilung des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall: Für einen erst 2020 geplanten Windpark in Nordschweden am Standort Brännliden mit Binnenland-Spezialgroßanlagen der modernsten Anlagenklasse und 42 Megawatt (MW) Gesamtleistung hat Vattenfall einen Vertrag mit dem Infrastrukturinvestor Margeruite Capital abgeschlossen. Dabei darf Vattenfall den Strom aus dem im Konzernbesitz verbleibenden Windpark als Dienstleister für Marguerite Capital vermarkten und die für Marguerite wichtigen Herkunftsnachweise besorgen. Stromabnehmer ist Marguerite Capital damit streng genommen weder als Zwischenhändler für die Endkunden noch als Großverbraucher – vielmehr will der Infrastrukturinvestor offenbar über den Stromabnahmevertrag sich schlicht einen stetig zurückfließenden Anteil an der weiteren Vermarktung durch Vattenfall sichern.
Vertrauen in Technologie ist hoch
Mit Sicherheit zeigen solche Meldungen, wie groß inzwischen das Vertrauen der gesamten Wirtschaft in die Technologie von Windkraft und Photovoltaik (PV) ist. Auch wenn die Margen klein sein mögen, lockt hier der verlässliche und stetige Rückstrom an Erträgen durch die modernen Grünstrom-Erzeugungsanlagen.
In dieselbe Kategorie von Investorenvertrauen auf Basis guter wettbewerbsfähiger Technologie gehört auch der am Mittwoch vom norwegischen Strom-Direktvermarkter Statkraft gemeldete Plan, bis 2025 jährlich eine Milliarde Euro zu investieren. Schon bisher ist Statkraft bei Abschlüssen von PPA sehr aktiv: Im September vergangenen Jahres schloss das Unternehmen den ersten Stromliefervertrag mit einem Konsortium von sechs älteren Bürgerwindparks in Niedersachsen ab. Diese sollen nach 2021 und damit nach dem Ende ihrer 20-jährigen EEG-Förderung ihren Strom zu einem festgelegten Rest-Marktwert an die Norweger liefern, die den Grünstrom dann über die Börsen an Großunternehmen und Energieversorger vermarkten. Im Januar hatte das Unternehmen noch zwei PPA mit Windparks auch in Frankreich abgeschlossen.
Nun will Statkraft im Rahmen seines Investitionsprogramms mit der Milliarde Euro pro Jahr eigene Anlagenparks entwickeln lassen oder aber durch Firmenzukäufe an weitere Wind- und PV-Erzeugungskapazitäten gelangen. Statkraft will so einen Erzeugungspark von sechs Gigawatt aufbauen – und zwar in den Märkten Deutschland, Frankreich, Niederlande, Polen und Spanien.
Gerade die Auswahl der Märkte zeigt, dass die Technologie inzwischen unabhängig von einer mehr oder weniger bremsenden aktuellen Politik sich durchsetzt. Dabei kommen beispielweise neue Riesen-Windenergieanlagen von weit über drei bis hin zu 4,5 MW nun überall zum Einsatz und nicht mehr nur im traditionellen Markt für große Pilotanlagen – nämlich Deutschland. Denn die neuen Anlagen sind für (fast) Fördersystem-unabhängige Einsätze konstruiert.
Enercon-Großturbine auch für Kanada
Auch der ebenfalls am Mittwoch von Windturbinenbauer Enercon gemeldete Liefervertrag über rund 100 Anlagen für zwei Windparks in Kanada bestätigt die Aussage: Die neue Anlagenklasse lohnt sich inzwischen in den meisten – oder in allen (?) – wichtigen Windenergiemärkten. Enercon liefert Anlagen vom Typ E-138 EP3: Die erstmals im vergangenen September vorgestellte Neuentwicklung mit 3,5 MW und 138 Meter Rotordurchmesser besteht in einem verglichen mit den bisherigen Enercon-Anlagen deutlich schlankeren und kostengünstigeren Design. Und sie stößt im Wettbewerb gemessen an der Erzeugungs-Auslastung weit nach vorne: Das Verhältnis von vorgesehener Nennleistung zur Rotorfläche ist bei der E-138 EP3 so gering wie bei kaum einer anderen am Markt angebotenen Windenergieanlage in der Leistungsklasse ab drei MW – mit 234 Watt pro Quadratmeter liegt dieser Wert gerade mal noch rund 10 Watt hauchdünn hinter den hier geltenden Spitzenwerten. Je weniger Watt pro Quadratmeter überstrichender Rotorfläche aber eine Anlage für ihre maximale Erzeugung einfahren muss, umso öfter kann sie diese Nennleistung auch erreichen. Für den kanadischen Enercon-Kunden war das neben dem neuen verschlankten Design möglicherweise ein zusätzliches Verkaufsargument.