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Interview zu Forschungsprojekt Digiwind

Modulare Perfektion der Windstromernte

Ein Gespräch mit Tobias Meyer, Gruppenleiter Advanced Control Systems am Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme (Fraunhofer Iwes), über die Innovationskraft einer modernen flexibilisierten Digital-Twin-Technologie im künftigen Windparkbetrieb.

DER HINTERGRUND:

Digitale Zwillinge bieten viele Möglichkeiten, Daten komplexer technischer Anlagen und Maschinen während des Betriebs auszuwerten und gewinnbringend für die Steuerung oder Verbesserungen und Wartung des realen Systems zu nutzen. Speziell in der Windenergiebranche ist allerdings, dass die Lebensdauer der Systeme sehr lang ist, sich aber die Umgebung und das System selbst ständig wandeln. Dies kann beispielsweise durch Veränderungen an den Windenergieanlagen passieren, etwa der sogenannte Retrofit mittels aerodynamischer Verbesserungen durch aufgeklebte spezielle Rotorblattprofile. Aber auch Anpassungen der Windturbinen-Regler oder Eingriffe in die Umgebung etwa durch die Errichtung von Gebäuden ändern die Bedingungen. Um dies abzubilden, sind modulare Modelle der Anlagen-Avatare erforderlich, die in der internationalen Praxis Digital Twins heißen und für die Windparkbetriebsführung bisher noch kaum eine Rolle spielen. Auch eine Infrastruktur zur Verwaltung der Modelle, der Daten und der Simulationen ist notwendig. Im Forschungsprojekt Digiwind unter Leitung des Windenergieinstituts Fraunhofer Iwes haben die Entwicklungspartner eine Referenzarchitektur für digitale Zwillinge so erweitert, dass sie die Modularität abbilden kann und eingetragene Veränderungen am System berücksichtigt. Die erarbeiteten Verfahren werden bei der Schätzung der Restlebensdauer von Komponenten angewandt. Nach der nun beendeten Projektlaufzeit von Juli 2021 bis Oktober 2022 plant das Fraunhofer Iwes eine Fortentwicklung mitsamt Tests an der Iwes-Forschungswindenergieanlage Adwen AD 8-180 in Bremerhaven. 

INTERVIEW:

Herr Meyer, Ziel Ihrer Forschung im Projekt ist eine „Referenzarchitektur für digitale Zwillinge, um Modularität abzubilden und eingetragene Veränderungen zu berücksichtigen“. Welchen Aufwand bedeutet es bisher, digitale Zwillinge, wo überhaupt schon in der Windkraft angewendet, derart modular anzupassen?

Tobias Meyer: Ein großer Teil des Aufwands liegt in der simulations-technischen Modellierung des Gesamtsystems.

Problematisch wird es mit der Modularität, wenn es keine Struktur im Schnittstellen-Design gibt. Damit meine ich nicht nur die informationstechnischen Schnittstellen zu Datenbanken oder Messgeräten, sondern Modellschnittstellen zwischen den einzelnen Komponenten/Modellen des digitalen Zwillings. Besonders in der Simulation von Energiesystemen muss man da aufpassen, dass man keine unphysikalischen Kopplungen erzeugt oder die Modelle einfach nicht kompatibel sind. In dem Fall muss man alles umbauen und das erzeugt viel Arbeit.

Und muss man bisher wirklich immer einen komplett neuen modularen Zwilling bauen?

Tobias Meyer: Nein, dass muss man nicht. Bisherige Systeme werden sicher auch erweiterbar sein, aber sie wurden nicht mit dem Gedanken einer einfachen Erweiterbarkeit auf modularer Basis aufgebaut. Unsere digitale Zwillingsplattform hat jedoch diesen Aspekt als grundlegendes Konzept. Die Modularität unserer Plattform und eine Struktur basierend auf Microservices erlaubt es Modelle wiederzuverwenden, vielseitiger einzusetzen und einfach miteinander zu koppeln. Die Kopplung von Modellen ist eine zentrale Funktion der Plattform.

In welchen Bereichen der echten Windenergiepraxis und in welchen Anlagen- oder Betriebsbereichen ist diese Forschung voraussichtlich zunächst interessant: Für digitale Zwillinge der Gesamtanlage? Einzelner Komponenten? Des Gesamtwindparks?

Tobias Meyer: Der Anwendungsbereich bezieht sich auf einzelne Anlagen, die alleine stehen oder sich innerhalb eines Windparks befinden. Jeder Turbine erfährt andere Lasten während des Betriebs und muss daher individuell behandelt werden. Jedes Modell kann individuell parametriert und angepasst in einer Gesamtsimulation mit einbezogen werden. Die Vorteile ergeben sich bereits in der Entwicklungsphase. Hier werden die Modelle aufgebaut, die man nachher auch für den digitalen Zwilling verwenden kann. Während des Betriebs werden dann Änderungen durch unseren Model-Management-Service in die Datenstruktur eingepflegt. Der Anwendungsbereich hängt vom Betreiber der Anlage und den aufgebauten Modellen ab, da diese auf den jeweiligen Anwender angepasst sind. Alle Anwendungen werden bei uns Services genannt.

Speziell zur Anwendung in der Windenergiepraxis: Wird es zunächst nur bedeutend für den Reparatur- und Wartungsservice oder schnell auch für den Windparkbetrieb – weil ja leichte Änderungen im Design der Anlagen, Upgrades, bauliche Veränderungen ringsum, überraschende Sonderabnutzungen etc. auch Bedeutung für die Erträge und vielleicht auch für eine neue Steuerungsstrategie haben?  

Tobias Meyer: Dem digitalen Zwilling sind hier erstmal wenig Grenzen gesetzt. Allgemein kann man sagen, dass ein digitaler Zwilling in erster Linie zur Systemüberwachung und Betriebsbewertung eingesetzt werden kann. Durch die Modularität ist es zusätzlich „einfach“ möglich, Veränderungen auf verschiedenen Ebenen in den Modellen mit einzubeziehen oder um weitere Anpassungsmöglichkeiten zu erweitern. Außerdem ergeben sich durch den digitalen Zwilling weitere Möglichkeiten zur Anpassung der Steuerungsstrategie wie etwa den aktuellen Schädigungszustand der Anlage mit einzubeziehen und beispielsweise mit Wartungsfenstern abzustimmen und den Betrieb entsprechend anzupassen.

Als Analogie kann man unsere Plattform wie ein Smartphone ansehen und die Services des digitalen Zwillings sind die zugehörigen Apps, die man anpassen, aktualisieren oder um weitere Funktionalitäten erweitern kann.

Was ist die besagte „Referenzarchitektur“?

Tobias Meyer: Die Referenzarchitektur, auf der wir aufbauen, wurde an der TU Wien entwickelt und kombiniert das Konzept des 5D Digital Twin mit dem RAMI4.0-Modell. 5D bezieht sich auf die fünf Dimensionen des digitalen Zwillings, der aus der physischen und virtuellen Entität, Datenmodellen, Services und den Verbindungen zwischen diesen Komponenten besteht. Durch den Standard RAMI4.0 erhält man einen Rahmen für die Einordnung aller Bestandteile im digitalen Zwilling und somit hat man direkt eine Abgrenzung von Komponenten für die Implementierung.

Was hat der Einsatz des Entwickelten in der Fraunhofer-Iwes-Forschungsturbine vom Typ Adwen in Bremerhaven ergeben?

Tobias Meyer: Wir haben gelernt, dass es noch eine Menge Daten gibt, die ohne digitale Zwillinge ungenutzt bleiben. An einer Windenergieanlagen fallen im Sekundentakt Daten an, die sich gut für eine Simulation eignen und mit dem digitalen Zwilling lasen sich Referenzen für Anlagenzustände generieren. Wir können damit den Betrieb direkt überprüfen oder retrospektiv eine Analyse der Daten machen.

Der Fokus des Projektes Digiwind lag allerdings noch nicht auf der direkten Einbindung des digitalen Zwillings an die AD8. Die Daten wurden bisher konzeptuell mit dem digitalen Zwilling verknüpft und an den digitalen Zwilling für eine vereinfachte Schädigungsberechnung angebunden. Es ist aber deutlich geworden, dass es noch eine Menge Daten gibt, die ohne digitale Zwillinge ungenutzt bleiben. Diese Themen möchten wir in Folgeprojekten angehen, in Digiwind haben wir die Plattform für weitere Anwendungen aufgesetzt.

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