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Auf der Zielgeraden?

Katharina Wolf

Es ist ein Wendepunkt: Zum ersten Mal sind in den ersten sechs Monaten eines Jahres mehr alte Windenergieanlagen stillgelegt worden als neue in Betrieb gingen. Während 277 alte Mühlen zwischen Januar und Juni 2024 abgebaut wurden, kamen nur 250 hinzu. Der Rückbau der ersten Genration des Anlagenparks hat begonnen. Damit stellt sich die Frage: Wohin mit den vielen Rotorblättern?

Das Problem: Rotorblätter bestehen zum größten Teil aus glas- und teilweise aus kohlenstofffaserverstärkten Kunststoffen (GFK und CFK). Während sich die anderen Bestandteile einer Wind­energieanlage wie Stahltürme oder Kupferkabel vergleichsweise leicht recyceln lassen, ist das bei Rotorblättern wegen dieser Verbundmaterialien aufwändig und energieintensiv. Nach Zahlen des Umweltbundesamtes von 2021 fallen bis 2040 fast 77.000 Tonnen dieser Verbundstoffe aus der Wind­energie an. Deponiert werden dürfen sie seit 2005 nicht mehr. Die übliche Entsorgungsmethode bislang: die Zementindustrie, wo der Glasfaseranteil als Rohstoff eingesetzt und der Kunststoffanteil als Energielieferant verbrannt wird.

Dabei ist es nicht so, dass es keine Recyclingverfahren gibt. Doch noch existieren sie vor allem im Labor oder sind sehr teuer. „Die aktuelle Frage ist: Wer schafft es, wirtschaftliche Verwertungsketten aufzubauen?“, sagt Steffen Czichon, Abteilungsleiter Rotorblätter beim Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme Iwes.

Wer schafft es, wirtschaftliche Verwertungsketten aufzubauen?

Steffen Czichon, Fraunhofer Iwes

Denn das ist nicht so leicht. Erleben musste dies das Unternehmen Neocomp aus Bremen, das sich auf die Verwertung von Rotorblättern spezialisiert hatte und vor zwei Jahren den Betrieb einstellte – aus wirtschaftlichen Gründen, wie eine Sprecherin der Muttergesellschaft Nehlsen AG auf Anfrage mitteilte.

Doch das Thema ist in Bewegung. Unterschiedlichste Forschungsprojekte sind dabei, bereits ausgetüftelte Methoden in den industriellen Maßstab weiterzuentwickeln. Eine Frage dabei: Wie muss man das Blatt in seine Bestandteile zerlegen, um es weiterverwenden zu können?

Vom Rotorblatt zur Lärmschutzwand

Um diese Frage kümmert man sich im Projekt ­Blade Reuse am Karlsruher Institut für Technologie. Das Team von Ingenieur Matthias Albiez will möglichst großteilige Ausschnitte der Blätter verwenden. „Unsere Idee war, dass die meisten Rotorblätter nicht außer Betrieb gehen, weil sie defekt sind, sondern weil sich der Weiterbetrieb der Windenergieanlage oftmals wirtschaftlich nicht mehr lohnt“, erklärt Albiez. Angesichts der Menge an ausgedienten Rotorblättern, die in den kommenden Jahren anfallen, suchte das Team nach einem Weiterverwertungsgebiet, das großflächige Bauteile erfordert, so Albiez. Die Lösung, die jetzt im Forschungsprojekt genau untersucht werden soll: Lärmschutzwände an Fernstraßen.

Was auf den ersten Blick einfach erscheint, entwickelt seine Herausforderungen im Detail: „Wir müssen eine räumlich gekrümmte Struktur in 2-D-Streifen zerlegen“, beschreibt der Wissenschaftler ein Problem. Dazu komme, dass für die Rotorblätter kosteneffiziente und präzise Technologien zur Segmentierung zu entwickeln seien. Dritte Herausforderung sei nachzuweisen, dass die weiterzuverwendenden Teile auch den Qualitäts­anforderungen von Lärmschutzwänden entsprechen und kein innerer Schaden in der Struktur später Probleme bereite. Albiez ist indes zuversichtlich, diese Probleme lösen zu können. „Im Projekt ist die ganze Prozesskette vertreten, von RWE als Betreiber von Windparks bis zur Autobahn GmbH als potenzielle Abnehmerin von Lärmschutzwänden.“ Demnächst starten erste Versuche an einer alten Enercon-Anlage.

77 Tausend Tonnen der Verbundstoffe GFK und CFK fallen bis 2040 aus der Windenergie an.

Ein anderer Ansatz ist, die Materialien, aus denen das Rotorblatt besteht, voneinander zu trennen, um sie so wiederzuverwerten. „Derzeit sprechen wir dabei immer von einem Downcycling, weil die Materialien nicht die gleichen Eigenschaften haben wie vorher“, stellt Steffen Czichon vom Iwes klar. Wichtiges Ziel der Iwes-Forschung zum Recycling sei daher, möglichst viele der positiven Materialeigenschaften der Fasern zu erhalten und gleichzeitig den Energieaufwand und damit die CO2-Emissionen im Blick zu behalten.

Wie groß das Interesse ist, zeigt das internatio­nale Verbundprojekt Eolo Hubs, an dem das Iwes beteiligt ist. 20 Partner aus ganz Europa untersuchen die gesamte Prozesskette von der Zerlegung der Rotorblätter über die Wiedergewinnung der Fasern per Pyrolyse (Verbrennung unter Luftabschluss) und Solvolyse (chemische Trennung) bis zu einer sinnvollen Verwendung der recycelten Materialien. Zum Projektabschluss in 2026 sollen in Spanien und in Deutschland je eine Demonstratoranlage aufgebaut sein und der gesamte Weg vom Blatt zur neuen Faser durchgespielt werden.

Hersteller Vestas wiederum präsentierte vor einem guten Jahr ein Verfahren, mit dem Epoxidharz chemisch in neuwertige Materialien zerlegt werden kann. So könnten Rotorblätter in Rohstoffquellen umgewandelt werden, schwärmte Mie Elholm Birkbak, Specialist, Innovation & Concepts bei Vestas bei der Vorstellung. Nun arbeite der Konzern daran, das Verfahren in eine kommerzielle Lösung umzusetzen.

Entwicklung recyclebarer Blätter

Siemens Gamesa hingegen setzt auf Rotorblätter, deren Verbundmaterialien sich besser voneinander trennen lassen und so mit weniger Energieaufwand recycelt werden können. Im „Recyclable Blade“ kommt ein neues Harzsystem zu Einsatz, das eine effiziente Trennung der Verbundwerkstoffe am Ende des Lebenszyklus des Blattes ermöglicht, wie der Hersteller verspricht. Die wiedergewonnenen Materialien wie Glasfasern und Harz könnten in der Automotive Industrie oder in der Baubranche wiederverwendet werden. Man arbeite daran, auch wieder neue Rotorblätter aus den recycelten Materialien herzustellen, so Siemens Gamesa. Im Einsatz ist das Blatt bereits an Testanlagen im RWE-Windpark Kaskasi. Der Energiekonzern will zudem die Blätter im Windpark Sofia verwenden, der derzeit im Bau ist. Noch ist das Blatt allerdings teurer als herkömmliche. Man sei zuversichtlich, die Preislücke zu schließen, wenn die Produktion anlaufe, heißt es von Siemens Gamesa. „Man muss aber unterscheiden zwischen recycelbarem Rotorblatt und einem Rotorblatt, das tatsächlich recycelt wird“, betont Czichon, dessen Team im Verbundprojekt Reusa-Blade an der sinnvollen Verwendung der ­wiedergewonnenen Materialien forscht. Auch Siemens Gamesa ist dabei.

Welches Verfahren und welcher Ansatz sich am Ende durchsetze, sei aus heutiger Sicht nicht seriös zu beantworten, sagt der Wissenschaftler. „Wir müssen noch viele Schritte machen, um am Ende eine wirtschaftliche Lösung zu finden.“ Gleichzeitig will er das Thema auch in den richtigen Rahmen setzen. „Die Entsorgung und das Recycling der Rotorblätter sind nicht die entscheidende Frage, wenn es um die Windenergie geht, auch wenn Windkraftgegner dies oft so darstellen“, so der Ingenieur. „Selbst wenn wir keine komplette Kreislaufwirtschaft für Rotorblätter schaffen, werden wir sinnvolle Lösungen finden.“

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