Jess Jessen, Ökolandbauer und Windparkbetreiber, führt seinen Osterhof in Galmsbüll, Ostfriesland, in der neunten Generation. In einer der alten Scheunen hat er seine Firmenzentrale eingerichtet. Hier verschmelzen alte Ziegelgemäuer und breite Scheunentore mit Glasfassaden und geschliffenen dunklen Steinstufen. Jessen verbindet die Tradition mit der Moderne. Und wo immer er modernisiert, sollen viele Menschen profitieren.
Jessens aktuelles Projekt: Er hat die Rotorblätter einer Windturbine im Bürgerwindpark Galmsbüll mit spitzen Zähnen, muschelartigen Spoilern und kleinen Finnen ausrüsten lassen. Anders als Rallye-Streifen und Sportauspuff am PKW dient dieses Tuning aber nicht dem optischen Individualismus. Die Turbine soll nicht mehr auffallen, sondern weniger. Und zwar indem sie leiser wird.
„Viele Leute beteiligen sich an unseren Windparks und wir wollen, dass sie sich so wenig wie möglich beeinträchtigt fühlen“, sagt Jessen. Die Elemente an den 58 Meter langen Rotorblättern der Siemens-Starkwindturbine vom Typ SWT-3,6-120 sollen unerwünschte Luftströmungen reduzieren. Der Wind gleitet besser über die Flügel und quittiert das Zusammentreffen mit dem Blatt mit weniger Zischgeräuschen. Nettes Beiwerk für Jessen, der sich vor allem wegen der Geräuschreduzierung für die Investition entschlossen hat. Die Optimierung erhöht auch den Energieertrag. Das ist der wesentliche Grund, warum Siemens dieses so genannte Power-Curve-Upgrade überhaupt entwickelt hat. 1,5 bis fünf Prozent mehr Ertrag soll die Optimierung einspielen. Solche Retrofits, die die Leistung bestehender Windturbinen optimieren, liegen bei einigen Herstellern und unabhängigen Wartungsunternehmen im Trend. Die Upgrades ersetzen fehleranfällige Bauteile oder kitzeln aus der maximalen Leistungsfähigkeit eines Serienmodells noch ein paar Prozentpunkte heraus.
Drei Blattelemente für mehr Ertrag
Obwohl Siemens das Power-Curve-Upgrade seit 2011 anbietet, gehört Jessens Turbine noch zu den ersten deutschen Projekten, an die das Upgrade verkauft wurde. Siemens bietet es für die Getriebe-Turbinen SWT-2.3 mit 82 und 93 Meter Rotordurchmesser und für die 3,6-Megawatt-Variante an. Da deren Blattgeometrie schon zur älteren Generation gehört, die Anlagen aber noch immer nachgefragt werden, wird die Optimierung auch bei Neuanlagen eingesetzt. „Nur jedes zehnte Power-Curve-Upgrade rüsten wir an einer bestehenden Anlage nach. 90 Prozent liefern wir schon bei der Errichtung mit“, sagt Torsten Sackmann, Head of Service Technology bei Siemens. Das Upgrade besteht aus drei Elementen: Die muschelförmigen Dino-Shells sollen die Strömung an der Abrisskante im Blattwurzelbereich verbessern. Auf der Rückseite des Blattes erzeugen die dünnen Finnen der so genannten Vortex-Generatoren kleine Luftwirbel, um die Blattaerodynamik zu verbessern. Und die spitzen Zähne der Dino-Tails sollen den Auftrieb im Bereich der Blattspitze erhöhen.
Die Amortisation dieses Upgrades beziffert Siemens als Optimum auf vier Jahre: Dazu müsste es den Ertrag einer SWT-3.6-107 an einem Standort mit 7,5 Meter pro Sekunde mittlerer Windgeschwindigkeit um fünf Prozent erhöhen. Für Jessens SWT-3.6-120 im windstarken Galmsbüll prognostizierte Siemens 1,6 Prozent Mehrertrag.
Neben diesem Komponenten-Upgrade bietet das Unternehmen auch eine Steuerungslösung zur Windparkoptimierung an: High Wind Ride Through, kurz HWRT, ermöglicht ein späteres Abschalten der Turbinen. Statt sich nach zehn Minuten bei 25 Meter pro Sekunde automatisch abzuschalten, werden Drehzahl und Turbinenleistung durch langsames Pitchen der Blätter kontinuierlich reduziert. Das soll nicht nur den Ertrag um bis zu 1,1 Prozent erhöhen, es entlastet auch das Netz, weil nicht unvermittelt 100 Prozent Einspeisung bei voller Fahrt vom Netz springen.
Komplexe Eingriffe in die Steuerung wie das HWRT-Upgrade bleiben den Herstellern vorbehalten. Als Entwickler der Anlagen wissen sie, wo sie Reserven gefahrlos nutzen können. Darauf setzt auch GE Wind. Seit Mitte 2011 hat der Hersteller mehrere Module eingeführt, die die Turbinen nachträglich optimieren. Acht bis zehn Prozent Ertragssteigerung seien möglich, wenn sich eine Kombination mehrerer Upgrades anbietet, sagt Andreas von Bobart, General Manager von GE Wind in Deutschland. Bevor GE einem speziellen Windpark ein Upgrade empfiehlt, wird sein Optimierungspotenzial mit Hilfe ähnlicher Parks aus dem Portfolio analysiert. „Danach überprüfen wir die verbleibenden Lastreserven und empfehlen anlagenspezifische Maßnahmen“, sagt von Bobart.
Zur direkten Steigerung von Leistung und Ertrag hat GE zwei Upgrades im Portfolio: Windboost steigert die Leistung der GE-Baureihen mit 1,5 und 2,5 Megawatt (MW) Leistung auf jeweils 1,6 und 2,75 Megawatt. Möglich machen das ungenutzte Reserven der Turbine – vornehmlich wird dem Generator mehr Leistung abverlangt. Laut von Bobart wird das Upgrade hauptsächlich in Starkwindregionen außerhalb Deutschlands genutzt. Das Upgrade Turbine Performance Optimisation, kurz TPO, ändert dagegen nicht die Maximalleistung der Anlage, sondern steigert ihre Jahresproduktion: Durch eine individuelle Optimierung der Pitchwinkel wird jede Turbine den jeweiligen Umweltbedingungen angepasst. So trägt die Anlage etwa unterschiedlichen Luftdichten in Sommer und Winter Rechnung. Windboost und TPO seien inzwischen an über 1.000 Anlagen weltweit nachträglich installiert. Neben diesen Optimierungen lassen sich Erträge laut GE auch durch Pakete wie das Windwhisper-Upgrade steigern: Es reduziert die Turbinenlautstärke, was Drosselungen und Abschaltungen wegen des Emissionsschutzes verringern soll.
GE orientiert sich bei den Upgrades an Amortisationszeiten von unter vier Jahren. „Das verlangen die Kunden“, sagt Andreas von Bobart. Wie im Grunde jeder Hersteller optimiert GE auch kleinere Bauteile und Software-Programme, die die Turbinen auf dem Laufenden halten. Diese kleineren Aktualisierungen sind manchem sogar lieber als die tiefgreifenden Eingriffe in die Turbine.
Skepsis gegenüber dem Tuning
„Never touch a running system“, ist etwa die Devise von Gerald Riedel, Geschäftsführer des Betriebsführungsunternehmens Getproject. Als Vorsitzender des Betriebsführerbeirats im Bundesverband Windenergie kennt Riedel die Vorlieben seiner Kollegen. Upgrades zur Ertragssteigerung schätzt er positiv ein. Eingriffen, die wie beim Chip-Tuning von PKWs die Leistung erhöhen, steht er dagegen eher skeptisch gegenüber. „Wir als Betriebsführer würden allem zustimmen, was die Verfügbarkeit erhöht. Das ist die Stellschraube, die wirklich etwas erzielt.“
Wenn eine Anlage durch Optimierungen auch nach längerem Betrieb endlich 98 statt 97 Prozent Verfügbarkeit erreicht, ist das größte Ziel erreicht, sagt Riedel. Und auch in diesem Prozess steckt viel Wissen und Erfahrung: „Dazu trägt eine gute Betriebsführung bei. Alle Komponenten, die die Verfügbarkeit rauben, werden durch zuverlässige getauscht; außerdem bekommen anlagenspezifisch empfindlichere Komponenten mehr Pflege“, sagt Riedel. Für einen Betriebsführer, ist er sicher, muss die Anlagenzuverlässigkeit über die gesamte Lebensdauer das vorrangige Ziel sein.
Riedels Branchenmitstreiter Deutsche Windtechnik vertritt eine etwas progressivere Version dieser Philosophie. Als einer der wenigen herstellerunabhängigen Servicedienstleister leistet sich das Unternehmen eine eigene Entwicklungsabteilung für die nachträgliche Optimierung. Die hat bisher 17 größere Upgrades neben mehreren kleinen für ausgewählte Turbinen von Neg Micon, Vestas, AN Bonus und Siemens entwickelt. Dabei dient nicht jedes Upgrade der Leistungssteigerung. Viele ersetzen vorbeugend ausfallfreudige Komponenten.
Eine nachträgliche Rotorblatt-Optimierung testet Deutsche Windtechnik in Kooperation mit der Hochschule Bremen seit drei Jahren an einer Vestas V66. Hierzu entwarfen die Entwickler die so genannte Splitflap. Dieses Strömungselement wird entlang des Wurzelbereichs des Blattes aufgeklebt, um dessen Aerodynamik zu verbessern. „Unsere Vergleichsmessungen mit Nachbaranlagen haben ein bis zwei Prozent Mehrertrag durch die Splitflap ergeben“, sagt Lars Behrends, Prokurist der Deutschen Windtechnik Service GmbH.
Mit der Nase exakt im Wind
Doch nicht immer ist der Nachweis so kompliziert: Beim I-Spin etwa, einem Ultraschallwindrichtungsmesser, der an der Rotornabe vor den Blättern montiert wird. „Wir haben gerade bei älteren Anlagen zum Teil große Abweichungen in der Windrichtungsmessung festgestellt“, sagt Behrends. Misst die Windfahne auf der Gondel eine falsche Windrichtung, stellt sich auch der Rotor in eine falsche Position, was den Ertrag schmälert und die Lasten erhöht. I-Spin soll das begradigen – das soll sich ab fünf Grad Abweichung durch eine Ertragssteigerung von 2,5 Prozent lohnen.
Laut Lars Behrends werden nachträgliche Anlagenoptimierungen immer stärker nachgefragt. Allerdings bevorzugen die Kunden einfache Mittel wie lebensdauersteigernde Getriebezusätze oder Blattjustierung statt komplexe, teure Eingriffe. Daran findet Behrends im Grunde nichts Schlechtes: „Man muss genau schauen, welche Optimierung zu welcher Anlage passt. Wir gehen lieber mit der Pipette als mit der Gießkanne vor.“ Dazu gehört auch, dass Windparkbetreiber ein Upgrade zunächst nur an einer kritischen Anlage testen sollen, bevor sie den kompletten Windpark umrüsten.
So hält es auch Jess Jessen vom Bürgerwindpark Galmsbüll. „Das gilt nicht nur für neue Bauteile. Auch wenn der Hersteller ein neues Softwarepaket aufspielt, soll er das zunächst möglichst nur an einer Anlage machen.“ Den zwölf Mitarbeitern der Windparkverwaltung im Osterhof entgeht dabei keine Änderung – sie bekommen die Fernüberwachungsdaten all ihrer Anlagen. Eine gute informationelle Vernetzung mit den Projekten ist den Betreibern wichtig. Apropos Vernetzung – einen Vorschlag für ein weiteres Upgrade hat Jessen schon: „Ein Innerpark-Upgrade wäre klasse. Alle Anlagen sollten untereinander kommunizieren und sich selbst so regulieren, dass die Parkleistung optimiert wird.“ Man sieht, das Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft. (Denny Gille) Dieser Artikel ist in unserer Print-Ausgabe im Oktober erschienen. Gefällt er Ihnen? Hier geht's zu den Probeabos:
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