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Wegbereiter der Smart City

Tilman Weber

Dieses Ergebnis der jährlichen gemeinsamen Stadtwerkestudie des Energiewirtschaftsverbandes BDEW und des Wirtschaftsberatungsdienstes Ernst & Young mag auf den ersten Blick die von zehn führenden kommunalen Energieversorgern unlängst gestartete Kooperation „Netzwerk Digitale Daseinsvorsorge“ infrage stellen. Der direkte Ausbau von Erneuerbare-Energien-Anlagen, die handfeste Umsetzung der Wärmewende in Heizungskellern und Fernwärmesystemen, das Rekrutieren neuer Mitarbeiter und die Sicherheit vor digitalen Angriffen waren gemäß „Stadtwerkestudie 2023“ im vergangenen Jahr wichtiger für die deutschen Kommunalunternehmen als die Digitalisierung selbst. Wie immer befragten die Studienautoren die kommunalen Versorger im Rückblick auf das beendete Geschäftsjahr. Die Stadtwerkestudie im Jahr zuvor hatte noch die Digitalisierung als das Top-Zukunfts- und Beschäftigungsfeld der Stadtwerke von 2021 verzeichnet. Damals hatten die Versorger ihre Ausrüstung mit Datennetzen und intelligenten Rechenprogrammen als vordringlich vor allem anderen angesehen, um idealerweise so etwas wie die Steuerzentrale der nachhaltigen Stadt, einer Smart City, und ihrer Energiewende zu werden.

Das vor genau zwei Jahren im September 2021 gegründete Netzwerk Digitale Daseinsvorsorge soll den Austausch und die Zusammenarbeit bei digitalen Geschäftsmodellen zwischen den Stadtwerken in Deutschland fördern. Die zehn Gründungspartner haben allesamt mit weitreichenden Investitionen in die Energiewende und mit Pilotprojekten der Smart City auf sich aufmerksam gemacht: Badenova aus Freiburg, SWM in München, Heag in Darmstadt, Mainova in Frankfurt am Main, die nordrhein-westfälischen Stadtwerke Wuppertal, Düsseldorf und Münster sowie Dortmunds DEW, Enercity in Hannover und SWHL in Lübeck. Sie wollen im Netzwerk Strategien für die Digitalisierung in allen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge entwerfen. Außerdem wollen sie erklärtermaßen als „digitale Hubs“ ihre Rechendienstleistungen kleineren Stadtwerken anbieten, die nicht ausreichend Geld und Personal für ihre Smart-City-Zukunft haben.

5. Rang – auf diese Platzierung setzten die an der Stadtwerkestudie beteiligten Versorger die Digitalisierung, als sie die aktuell für sie wichtigsten Fragen nennen sollten. Aber gerade die vier durch die Stadtwerkeumfrage aktueller gerankten Fragen belegen, dass die Digitalisierung eilt.

Der vermeintliche Bedeutungsabstieg der Digitalisierung in der Stadtwerke-Agenda bestätigt bei genauerem Hinsehen erst recht den Sinn der Kooperation. Aufgrund eines hohen innen- und außenpolitischen Handlungsdrucks scheinen die Kommunen bei Strom-, Wärme- und Sicherheitswende, so besagt es die Stadtwerkestudie 2023, nun zwar schnell etwas vorweisen zu wollen. Doch der angeblich bevorstehende forcierte Ausbau von Erneuerbare-Energien-Anlagen unter der Regie der Stadtwerke erhöht auch den Zeitdruck für kommunale Versorger, ihre Bedeutung im neuen Energieversorgungssystem durch ein kluges Digitalisierungsprogramm abzusichern. Als Dienstleister der künftigen Smart City werden die kommunalen Versorger künftig nämlich nicht nur die Effizienz einer dezentralen, wetterabhängigen Grüne-Energie-Wirtschaft erhöhen. Studien, Konzepte und Stadtwerkepräsentationen auf Konferenzen benennen seit Jahren übereinstimmend, wie weit die künftige Moderatorenrolle in der Smart City reichen muss: Die Kommunalversorger sollen auch die Transparenz der neuen Energiezuteilung fördern sowie mehr Bürgerbeteiligung am Gesamtumbau der Stadt oder Schwarmintelligenz anreizen – mittels freiwilliger Beteiligung der Ortsansässigen an kommunalen Investitionen. Außerdem sollen sie kluges Verbraucherverhalten etwa im Verkehr anregen und die Nutzwertigkeit städtischer Dienstleistungen garantieren.

Speziell für die künftige Energieversorgung mag das strategische Ziel unter den Stadtwerken sogar schon ausdiskutiert sein: Sie müssen sich vom Energieverkauf als Hauptumsatz- und Hauptgewinnquelle verabschieden, weil sie den Trend zur Selbstversorgung mit Photovoltaik von immer mehr Eigenheimern oder zur dezentralen Erzeugung und Vermarktung von Grünstrom nicht aufhalten können. Stattdessen müssen sie künftig wohl vielmehr die Datenströme für die Organisation der sich entwickelnden nachhaltigen Stadt liefern – oder Energielieferungen makeln.

Doch die genaue Definition der neuen Digitalisierungsaufgaben und letztlich dessen, wie die Smart City und die Rolle der Stadtwerke in ihr aussehen soll, ist offenbar ein schwieriges Unterfangen. Ein Jahr nach der Netzwerkgründung präsentierten die Partner im September 2022 eine schon angekündigte eigene Studie, die wenig Konkretes vermeldete. Sie sollte den Zustand der Digitalisierung in den Stadtwerken bundesweit und die Bandbreite schon skizzierter Visionen erfassen, ließ das Netzwerk vorab verlauten.

Das von Wissenschaftlern der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen veröffentlichte 65-Seiten-Papier bleibt aber auch in seinem Fazit bestenfalls vage. Zur Rolle der Stadtwerke für die Smart City fasst es allenfalls wenige Jahre alte Erkenntnisse zu den Kommunalversorgern zusammen: „Sie erbringen ein vielfältiges Angebot im Kontext der Daseinsvorsorge wie Versorgung mit Energie, Mobilität, Telekommunikation und Trinkwasser und sind ohnehin in viele Smart-City- und Nachhaltigkeitsthemen involviert. Zu ihrem Produktportfolio gehören die Digitalisierung von Bestandsprozessen genauso wie die Modernisierung der Infrastruktur.“ Vor allem enthält die Studie eine statistische Erfassung von Antworten der deutschen Stadtwerke auf unzählige Fragen, die vorerst nur zur Analyse möglicher Märkte dienen. Zum Beispiel: Erleben kommunale Versorger eine hohe Intensität in der Zusammenarbeit mit Geschäftspartnern?

Wir wollen die Treiber einer nachhaltigen und digitalen Daseinsvorsorge sein und damit die Energie- und Mobilitätswende voranbringen.

Jens-Meier, Vorsitzender der Geschäftsführung der Stadtwerke Lübeck und Sprecher für das Netzwerk Digitale Daseinsvorsorge

VKU hilft mit Organisationseinheit

Am 5. Juli gab nun der Stadtwerkeverband VKU die Gründung der Taskforce Digitale Daseinsvorsorge zur Unterstützung des Netzwerkes bekannt. Die beim Verband angesiedelte Organisationseinheit wird dem Netzwerk zuarbeiten, indem die Taskforce „eine Definition der Digitialen Daseinsvorsorge zu entwickeln“ beginnt oder sogenannte Best-Practice-Beispiele ausfindig macht und das Thema auch im Verband diskutieren lässt.

Die weitreichendsten Definitionen der neuen digitalen Daseinsvorsorge hatte womöglich der VKU selbst schon im Januar 2020 und im November 2021 definiert. So liegt bereits seit mehr als dreieinhalb Jahren das VKU-Weißbuch „Digitale Daseinsvorsorge stärken“ vor. Und vor knapp zwei Jahren präsentierte der Stadtwerkeverband „zehn Leitideen“: Um eine Smart City durch intelligente Steuerung zu organisieren, sollten die Kommunen und Stadtwerke zum Beispiel digitale Infrastrukturen regional planen. So ließe sich vermeiden, dass globale Datenkonzerne das Verbraucherverhalten der Bürger bei Energie oder Verkehr steuern und Steuerungschancen der intelligenten Stadt blockieren, lautet eine dieser Leit­ideen. Smart Home und Smart Mobility gehören ebenfalls zu ihnen: mittels elektronischer Datenverarbeitung eine effiziente computergestützte Energie­nutzung im Haushalt und einen effizient geregelten Verkehr der Elektroautos ohne Parkplatz- oder Ladesäulensuche erreichen. Eine Rolle als Datentreuhänder für Kunden ist eine vierte Leitidee.

Das Weißbuch benannte wiederum Leuchtturmprojekte wie den über Blockchain-Technik geregelten lokalen Grünstromhandel der Wuppertaler Stadtwerke (WSW). Dieses WSW-Modell lässt Stromkunden direkt Windturbinen oder Solarmodule in der größeren Region buchen. Dafür belegt ein Verrechnungssystem über sich verkettende Datensignaturen für jede Kilowattstunde die Produktion an einen bestimmten Ort und legt ihre Abnahme durch einen bestimmten Verbraucher fest.

Beim VKU geben sich die mit der Taskforce betrauten Personen bedeckt, so sie Fragen nach dem bisherigen Entwicklungsstand des Netzwerkes und seiner Arbeitsweise beantworten sollen. Der gewährte grobe Einblick verrät, dass sich die Netzwerkpartner „drei- bis viermal im Jahr“ treffen, manchmal davon in Präsenz, manchmal auch digital. Die Taskforce begleitet sie künftig dabei. Als eine der ersten Aufgaben bearbeitet das Netzwerk weiterhin die Definition der digitalen Daseinsvorsorge, definiert aber auch verschiedene Sichtweisen dazu. Konkrete Arbeitsschwerpunkte und Arbeitsgruppen soll die Taskforce in ihren ersten offiziellen Meetings festlegen.

Nicht zufällig: Federführung in Lübeck

Sprecher des Netzwerkes Digitale Daseinsvorsorge ist der Chef der Stadtwerke-Lübeck-Gruppe (SWHL), Jens Meier. Die Hanseaten wollen für rund 80 Millionen Euro die Stadt mit einem Glasfasernetz zur schnellen Datenübertragung fast komplett ausstatten. 80 Prozent der Bevölkerung würden den Breitbandanschluss erhalten. Ein SWHL-Tochterunternehmen baut zudem eine Smart-City-Datenplattform auf. Sie macht Besucherströme in Museen oder Parkplatzauslastungen sichtbar, um durch Information von Bürgern und Touristen den Überfüllungen der Sehenswürdigkeiten oder den Staus durch Parkplatzsuchverkehr vorzubeugen. Gründer können dort zudem Umweltdaten analysieren, um mit neuen Unternehmensideen zum Aufbau einer nachhaltigen Stadt beizutragen. Auf der in Lübeck Mitte April von der SWHL veranstalteten Zukunftskonferenz Energiewende benannte Meier einen grundsätzlichen Anspruch, der freilich für alles offenbleibt: „Wir wollen die Treiber einer nachhaltigen und digitalen Daseinsvorsorge sein und damit auch die Energie- und Mobilitätswende voranbringen.“

Fiktives virtuelles 3-D-Stadtmodell

Foto: antoniojmonteiro - sketchfab (CC BY 4.0)

Fiktives virtuelles 3-D-Stadtmodell

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