Eigentlich ist die Rechnung ganz einfach: Wenn Deutschland bis 2045 klimaneutral werden möchte und die Lebensdauer einer neuen Heizung mit 20 Jahren veranschlagt wird, bedeutet das: Spätestens ab 2025 müssen alle neuen Anlagen klimaneutral laufen. Der brutal emotional geführte Streit um das Gebäudeenergiegesetz, auch gern diffamiert als Habecks Heizungshammer, machte allerdings deutlich, dass der Weg dorthin schwierig wird.
Dabei ist das Problem riesig: Die Wärmeversorgung macht in Deutschland laut Bundesbauministerium mehr als 50 Prozent des gesamten Endenergieverbrauchs aus. Rund 80 Prozent der Wärmenachfrage werden mit fossilen Brennstoffen wie Gas und Öl gedeckt. Von den rund 41 Millionen Haushalten heizt fast jeder zweite mit Gas und knapp jeder vierte mit Heizöl. Fernwärme macht rund 14 Prozent aus, doch auch diese wird bisher überwiegend aus fossilen Brennstoffen gewonnen.
Kommunale Pflicht im GEG
Dieser fossile Bestand muss nun umgerüstet werden, möglichst ohne vorrevolutionäre Zustände auszulösen. Das Gebäudeenergiegesetz, das den Einbau neuer Heizanlagen an einen Erneuerbare-Energien-Anteil von 65 Prozent knüpft, wurde daher mit einer Verpflichtung der Kommunen verbunden, eine kommunale Wärmeplanung aufzustellen. Je nach Größe muss diese bis Mitte 2026 oder 2028 vorliegen. Die Idee: Die Kommune ermittelt, auf welche Weise ihr Wärmebedarf am effizientesten klimaneutral gedeckt werden kann. Die Heizungsbesitzer können daraufhin entscheiden, ob sie in eine eigene Heizungsanlage investieren oder sich an die örtliche Fernwärmeversorgung anschließen lassen.
Wenn wir bis 2023 klimaneutral sein wollen, dürfen wir nicht alles auf die letzten Jahre schieben.
Ganz neu ist das nicht. In Baden-Württemberg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hessen und Hamburg ist die kommunale Wärmeplanung bereits verpflichtend. Laut Bundesbauministerium sind 25 Vorreiterkommunen bereits fertig, darunter Großstädte wie München und kleine Orte wie der Flecken Steyermark in Niedersachsen.
Ebenfalls dabei: die niedersächsische Landeshauptstadt Hannover. Möglichst bis 2026 soll dort, ohne einen Umweg über zusätzliche Erdgasverbrennung zu nehmen, der Ausstieg aus der Kohle geschafft sein. Erdgas soll möglichst bald folgen. Klimaneutral will Hannover bis 2035 werden. Wichtiger Schlüssel dazu ist ein massiver Ausbau der Fernwärme, um einerseits die 400 Megawatt des Kohleheizkraftwerks im nördlichen Stadtteil Stöcken zu ersetzen und andererseits den Marktanteil der Fern- und Nahwärme von derzeit rund 30 Prozent bis 2040 auf 60 Prozent zu heben. 14 Ersatzanlagen müssen laut kommunalem Energieversorger Enercity dafür bereitstehen, eine Milliarde Euro wollen die Stadtwerke Enercity investieren (siehe Kasten).
„Der erste Meilenstein wird mit der Stilllegung des ersten Kraftwerksblocks voraussichtlich Ende 2024 erreicht, sodass ab 2025 die Stilllegung des ersten Blocks beginnen kann“, sagt Susanna Zapreva, CEO von Enercity. Die Ersatzanlagen dafür seien gebaut. Etwa ein Drittel der Milliarde sei dafür investiert worden, man sei gut im Plan. „Derzeit liegt der Fokus auf Geothermie, Großwärmepumpen, einer Power-to-Heat-Anlage sowie einer Abfallverwertungsanlage und Industrieabwärme, welche bis 2026 fertiggestellt werden müssen, damit 2027 der zweite Block außer Betrieb gehen kann“, so Zapreva.
Forciert wird der Ausbau der Fernwärme durch eine Satzung, die der Rat der Stadt im Sommer 2021 zusammen mit dem frühen Kohleausstieg beschlossen hat. Sie verpflichtet die Bewohner zahlreicher Straßenzüge im dicht bebauten Stadtzentrum zum Anschluss an die Fernwärme. Dass ein lauter Protestschrei darüber ausblieb, hat wohl auch mit dem Zustandekommen des frühen Kohleausstiegs zu tun. Ursprünglich nämlich hatte der erst 2030 kommen sollen. Zu spät, befand ein breites Bündnis unter anderem aus der For-Future-Bewegung, Umweltgruppen wie Greenpeace und BUND sowie der IG Metall. „Hannover erneuerbar“ startete im Januar 2021 ein Bürgerbegehren mit dem Ziel, schon 2026 aus der Kohle auszusteigen. „Wenn wir in Hannover wirklich bis 2035 klimaneutral werden wollen, dann müssen wir insbesondere in den nächsten Jahren eine drastische Reduktion unserer Emissionen herbeiführen – und nicht alles auf die letzten Jahre schieben“, beschreibt Johanna Gefäller von „Hannover erneuerbar“ den Beweggrund. Die Unterschriftensammlung lief trotz Corona-Auflagen so gut, dass schnell klar wurde: Ein Bürgerentscheid könnte im Erfolgsfall das kommunale Unternehmen zur Satzungsänderung zwingen.
400 MEGAWATT des Kohlekraftwerks Stöcken müssen ersetzt werden.
Auf Initiative des frisch ins Amt gewählten grünen Oberbürgermeisters Belit Onay starteten parallel „konstruktive, intensive Verhandlungen“, so Gefäller. Nach sieben Runden hatte man sich geeinigt: Das Bürgerbegehren läuft aus, doch der Kohleausstieg wird vorgezogen, die Fernwärmesatzung beschlossen und das Ganze mit einer Initiative zum Austausch von Ölheizungen und Heizungseffizienzoffensive flankiert. Ein neuer Beirat „Wärmewende“, in dem auch „Hannover erneuerbar“ vertreten ist, kontrolliert, wie die Umsetzungsmaßnahmen vorangehen. „Am Ende hat der Rat mit der damaligen Ampelmehrheit nahezu einstimmig diese Maßnahmen beschlossen“, sagt Gefäller. Lediglich AfD und die Wählergemeinschaft „Die Hannoveraner“ stimmten dagegen. Enercity sieht derweil eine große Akzeptanz der Anschlusspflicht. „Wir haben eher das Problem bei denen, die nicht im Fernwärme-Satzungsgebiet sind“, sagt Zapreva. W
Hannover: Umbau der Wärmeversorgung
Um das 400-Megawatt-Heizkraftwerk in Stöcken zu ersetzen, werden 14 neue Wärmelieferanten erschlossen. Für Block 1, der 2024 außer Betrieb gehen soll, sind dies:
Block zwei wird ersetzt durch: