Vier Mal mehr als bisher müssen Stadtwerke von nun an bis 2030 jährlich in den Neu- oder Umbau der Infrastruktur für die Energiewende investieren. Darauf stimmte der Hauptgeschäftsführer des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU), Ingbert Liebing, im September die versammelten Branchenvertreter des VKU-Stadtwerkekongresses in Hannover ein. Das Branchentreffen verzeichnete mit rund 700 Vertretern kommunaler Versorger einen neuen Besucherrekord. Liebing sprach zum Auftakt des Themenblocks über Finanzierungen für Stadtwerkeinvestitionen. Das Panel dominierte die Tagesordnung und zog viele Zuhörende in den Saal.
Die Aufgabe ist enorm. Und sie ist nach Überzeugung des obersten Stadtwerkevertreters nicht mehr ohne – auch kreative – Kapitalbeschaffung aus vielen Quellen zu bewältigen. Um neue Erneuerbare-Energien-Anlagen, Produktionstechnik für den emissionsfreien Energieträger Wasserstoff (H2), H2-Leitungen, Stromnetze, Ladesäulen für Elektroautos, Energieanlagen und Transportrohre für Fernwärme oder Datenleitungen zur Digitalisierung von Energie- oder Verkehrsströmen bereitzustellen, müsse die gesamte Energiewirtschaft bis 2030 „100 Milliarden Euro pro Jahr im Vergleich zu derzeit 25 Milliarden“ investieren, sagte Liebing zu ERNEUERBARE ENERGIEN. Er verweist so auf den vom Energiewirtschaftsverband BDEW Anfang des Jahres vorgelegten Fortschrittsmonitor Energiewende des Marktberatungsdienstes Ernst & Young. Die Consulter erwarten bis 2030 Infrastrukturinvestitionen durch sämtliche Energieunternehmen von 721 Milliarden Euro, um die politisch vorgegebenen Energiewendeziele zu schaffen.
Im bundesweiten Mittel gut
Aus eigenen Befragungen und aus Gesprächen mit Stadtwerkemanagern ergebe sich dasselbe Bild, informiert Liebing. Die Stadtwerke rechneten damit, bis 2030 drei bis fünf Mal so viele Sachwertinvestitionen wie bisher leisten zu müssen.
Die Kämmerin der nordrhein-westfälischen Verwaltungs- und Universitätsstadt Münster, Christine Zeller, gewährte danach einen gedanklichen Ausblick auf einen vielleicht scharfen Richtungswechsel in den Kommunen. Städte wie Münster und ihre Versorgungsunternehmen müssten womöglich nun extrem schwierige Entscheidungen darüber treffen, welche nicht lukrativen Angebote wie Schwimmbäder oder öffentliche Dienste sie nicht mehr selbst anbieten wollen, um freies Geld für die notwendigen Energiewendeinvestitionen zu bekommen. In der Stadtverwaltung wie auch schon im Stadtparlament sei dies in Münster ein Thema, sagt sie auf Nachfrage. „Eine Diskussion über Prioritäten der Leistungen und Projekte im gesamten Stadtkonzern findet statt.“
Münster, Bochum oder Halle als Modell?
Die Münsteraner sind keineswegs nur mit dem Rotstift unterwegs. Als Mitglied der Städteinitiative Net Zero Cities zielen sie auf eine klimaneutrale Versorgung schon im Jahr 2030 ab. Gemäß den Regeln des globalen kommunalen Klimaschutzbündnisses wären Transformationskosten von 3,9 Milliarden Euro zu stemmen – und zwar zu 52 Prozent von den Bürgern, zum Beispiel in Wärmedämmungen, zu 21 Prozent von Unternehmen, zu elf und zehn Prozent von Stadtwerken und Verkehrsbetrieben plus zu sechs Prozent von der Stadtkasse selbst.
Mit zwei neuen Finanzierungsmodellen geht Münster voran. Durch zwei sogenannte grüne Schuldscheine sammelte die Kommune 310 Millionen Euro von als institutionelle Anleger bezeichneten Geldgebern ein wie Banken, Versicherern oder Fondsgesellschaften. Die Münsteraner finanzieren so insbesondere eine Solarthermieanlage der Stadtwerke und das Glasfaserkabelnetz fürs schnelle Internet. Zudem gründeten sie durch die Stadtwerke ein Joint Venture zum Ausbau des Glasfasernetzes mit dem Rentenfondsverwalter Palladio Kommunal, der sich mit 30 Prozent einkaufte. Während der Telekommunikationskonzern Telekom die Netztechnik liefert und nach dem Ausbau pachten und vermarkten wird, wollen Stadtwerke und Palladio Kommunal die Pachtrendite gemäß ihrem Anteil beziehen. Für weitere strategische Projekte aber – Photovoltaik- und Windenergieanlagen, Nahwärmeversorgung, digitalisierte intelligente Niederspannungsnetze – müssen die Stadtwerke bis 2028 weitere 800 Millionen Euro Kapital aufbringen.
Weil die kommunalen Versorgungsunternehmen sich zwar mit vorhandenem Eigenkapital Fremdkapital in Form von Bankkrediten dazuholen können, aber die institutionellen Geldgeber ein abnehmendes Eigenkapitalpolster mit zunehmend höheren Sicherheitszinsen beantworten, verlangen VKU und BDEW nun von der Bundesregierung, einen Energiewende-Kapitalfonds mit 30 bis 50 Milliarden Euro Anfangsvolumen einzurichten. Über Genussrechte und Unternehmensbeteiligungen solle dieser Anlegergeld sammeln, das als Eigenkapital die Investitionen zusätzlich abdecken kann.
Einstweilen gebe es für die Fonds-Idee in der Politik zwar „positive Resonanz“, heißt es beim VKU, allerdings müssten die Verbände weiterhin Überzeugungsarbeit leisten. Das Bundesfinanzministerium winkt jedoch ab, die Infrastrukturinvestitionen der Stadtwerke seien Aufgabe der Kommunen, deren Finanzlage jüngst noch „im bundesweiten Mittel gut und nicht etwa schlechter als die des Bundes war“. Allerdings brachte es zuletzt den Regierungsentwurf für ein „Zukunftsfinanzierungsgesetz“ hervor. Es soll Investitionen privater Fonds in auch kommunale Energiewendeinfrastruktur anregen.
310 Millionen Euro sammelte die Stadt Münster von institutionellen Anlegern, wozu Banken, Versicherungen oder Fondsgesellschaften gehören, für die Finanzierung des Glasfasernetzes oder einer großen Solarthermieanlage.
Große Akteure wie Enercity AG in Hannover können für ihr Investitionsvolumen – bei Enercity 7,6 Milliarden Euro – das Eigenkapital eher aufbringen. Auch die Hannoveraner fordern dafür allerdings von ihrem kommunalen Eigentümer nun, anders als bisher überplanmäßige Gewinne als Investitionskapital behalten zu dürfen. Mittelgroße Stadtwerke sollten eher nach Münster schauen. Denn Banken erkennen die als sogenanntes Gesellschafterdarlehen im Nachrang ausgegebenen grünen Münsteraner Schuldscheine als Eigenkapital an.
Palladio Kommunal will das Münsteraner Modell anderswo wiederholen. Auch mit den Stadtwerken Neumünster kooperieren die Fondsexperten so beim Glasfasernetz. Mit Dutzenden kommunalen Unternehmen seien sie im Gespräch über weitere Infrastruktur-Investments, erklären sie.
Es sind nicht wenige Kommunen oder Stadtwerke, die mit Pilotprojekten den Weg zum Privatkapital eingeschlagen haben. Die Stadtwerke Bochum holten in zwei Zwei-Millionen-Euro-Tranchen bürgerschaftliches Anlegergeld mit pro Person 2.000 bis 5.000 Euro ein. Es finanziert schon 23 Projekte – alles Solaranlagen oder Auto-Stromladesäulen. So dienen diese Bürgerfonds vor allem der Identifikation der Stadtbevölkerung mit dem Energie-Infrastrukturumbau, weniger der Kapitalbeschaffung im Großen: Die Bochumer rechnen mit 1,2 Milliarden Euro Investitionsbedarf bis 2030.
In Halle wiederum stemmen die Versorger außerhalb der Einnahme- und Ausgabenbilanz große Freiflächenfelder der Photovoltaik, indem sie mit immer neuen Investoren auf jeweils abgegrenzte Ausbauprojekte bezogen Joint Ventures gründen. So nahmen die Stadtwerke hier schon 140 Megawatt (MW) in Betrieb. Mit weiteren geplanten Vorhaben werden es 200 MW sein. Und die Hallenser wollen 600 MW mehr, um 2035 die Stadt mit Sonnenstrom voll versorgen zu können. Künftig bilden sie Joint Ventures auch mit anderen Stadtwerken.