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Fränkische Metarmorphose

Tilman Weber

Unser jetzt wichtigstes Thema“, sagt Norman Villnow am Ende des Gesprächs zum Häutungsprozess der N-Ergie, aus dem sich bis 2035 ein komplett grünes Stadtwerk herausschälen soll. Villnow ist beim kommunalen Nürnberger Energieversorger der Geschäftsführer der Energieerzeugung. Bis Jahresende muss „die N-Ergie“ bei der Frankenmetropole den Transformationsplan Fernwärme abgeben. Darin wird die Erzeugungssparte die künftigen Leistungen und Erzeugungsvolumen grüner Kraftwerke vorzeichnen. Und wann das Wärmenetz welche Straßen anbindet. Die Stadt muss darauf aufbauend 2026 den Wärmeplan liefern, so will es das Gesetz.

Es ist tatsächlich ein vielfacher Häutungs-, wenn nicht ein Verpuppungsprozess. Denn ein Kommunalversorger wie der in Nürnberg, der mit 6,5 Milliarden Euro Jahresumsatz der Allianz der acht größten deutschen Stadtwerke 8KU angehört, wird auch durch sein bisheriges frühes Einleiten der Energiewende nicht sofort zum grünen Schmetterling. Bis 2040 will das Unternehmen erklärtermaßen die Infrastruktur dafür schaffen, die Hälfte des Raumwärmebedarfs in der Stadt decken zu können. In dieser Größenordnung lässt sich Nürnbergs Fernwärmeversorgung voraussichtlich wirtschaftlich gestalten. Jetzt liefert N-Ergie über Fernwärmeanschlüsse mit der rechnerischen Abnahmelast von 940 Megawatt (MW) zu Spitzenabnahmezeiten 600 MW als Heizwasser und Heizdampf und damit ein Viertel des Raumwärmebedarfs. Ab 2035 soll diese Wärme komplett klimaneutral sein sowie daher zumindest zu großen Teilen aus Erneuerbare-Energien-Anlagen kommen.

Und auch der 25-Prozent-Anteil der N-Ergie am 845 MW starken Gas- und Dampfkraftwerk Irsching 5 wird dann vielleicht bis zu einem bestimmten Grad ein grüner sein. Denn die Anlage ist für einen Betrieb auch mit grünem Wasserstoff (H2) vorgesehen. Durch Erneuerbare-Energien-Strom betriebene Elektrolyseure sollen dann den emissionsfreien Energieträger H2 als wesentlichen Treibstoff für Irsching 5 produzieren.

Aus dem Verwaltungsgebäude am Kraftwerksstandort Sandreuth, in dem Villnow sein Büro hat, ist die Herausforderung dieses Jahrzehnte anhaltenden Prozesses durch den Blick aus dem Fenster in manchen Büros teilweise sichtbar. Den richtigen Überblick vermitteln Experten wie der Leiter der Kraftwerke-Produktion bei N-Ergie, Matthias Klopfer, gerne vom 70 Meter hohen modernen Wärmespeicher. Mit einigen kleinen Brachflächen und umgewidmeten Kraftwerkszweckbauten aus verschiedenen Zeiten der vergangenen 100 Jahre liefert der von einer Bahnlinie und zwei Straßen begrenzte Standort sein Zeugnis über die beständige Energiewende beim Nürnberger Energieversorger ab.

Biomasseheizkraftwerk

Foto: Annette Kradisch - N-ERGIE

Biomasseheizkraftwerk

Ausstieg aus der Kohle schon 2005

Schon 2005, lange vor dem klimapolitischen Ausstieg aus der Kohlenutzung durch die vorige Bundesregierung hatten die Franken ihr Kohlekraftwerk durch ein Gas- und Dampfkraftwerk (GUD) ersetzt. 2012 nahm N-Ergie auf dem Sandreuth-Gelände ein Biomasseheizkraftwerk für Frischholz-Holzhackschnitzel mit 23,5 MW Feuerungsleistung in Betrieb. 2014 folgte der Wärmespeicher. Er nimmt Wärme aus den wärmegeführten Heizkraftwerken des Standorts auf, wenn diese Strom liefern müssen, die Fernwärmekunden aber keinen Heizbedarf haben. 2022 ersetzte N-Ergie die Gasturbinen durch Varianten, die H2-kompatibel sind und gemäß Konzept ab 2030 mit grünem Wasserstoff auf Erneuerbare-Energien-Basis rotieren könnten.

In der Gasturbinenhalle vermittelt Klopfer mit knappen, aber von Daten und Fachwörtern seines Kraftwerkerdeutsch gespickten Sätzen einen Eindruck von einer der Nachhaltigkeitsverantwortung bewussten Unternehmenskultur. Die zwei Turbinen mit jeweils 56 MW elektrischer Erzeugungskapazität bekommen die durch einen Gasbrenner und einen Luftverdichter auf mehr als 1.000 Grad Celsius erhitzte Strömung auf die Schaufeln. Danach strömt die Luft in einen Abhitzekessel, erwärmt Wasser zu weit mehr als 500 Grad Celsius heißem Dampf, der mit 110 bar Druck in zwei bis drei Dampfturbinen schießt und sie mit 17 bis 44 MW Strom erzeugen lässt. Das in einer anderen Halle platzierte Biomasseheizkraftwerk treibt eine 6-MW-Dampfturbine an und das benachbarte Müllheizkraftwerk der Stadt schickt Wasserdampf in die fünfte Dampfturbine im Sandreuth-Areal mit 26 MW.

50 Prozent des Raumwärmebedarfs in Nürnberg will N-Ergie 2040 durch Fernwärme beliefern können. Noch sind es 25 Prozent. 2035 schon soll die Wärmeenergie der Stadtwerke auch vollständig aus erneuerbaren Quellen stammen oder klimaneutral sein.

Die Stromerzeugung spielt für die Franken dabei kaum eine Rolle. „Vorrangig elektrische Versorgung lohnt sich für uns, sobald der Strompreis höher als der Gaspreis ist“, sagt Klopfer. Offenbar müsste der Strompreis sogar das 2,5-fache des Gaspreises erreichen, damit die Stromerzeugung in Nürnberg den Takt angeben kann. Das kommt zumal im Sommer wegen der großen Einspeisevolumen der Solaranlagen auch in Bayern kaum noch vor, die den Preis im Stromhandel tief drücken.

N-Ergie erzeugt Strom, um Abwärme aus den Kraftwerken nach der Stromerzeugung ins Fernwärmenetz auszukoppeln. Jetzt ist es Ende Juni – und N-Ergie hat begonnen, die GUD-Turbinen für eine wochenlange Sommerrevision herunterzufahren. Ab sofort reparieren Monteure die Anlagen, während das Fernwärmenetz nur wenig Heizwärme abnehmen und ausliefern muss. Zu dieser Jahreszeit betriebene Turbinen wie die der Müllverbrennung füttern bei zu geringer Wärmeabnahme den Wärmespeicher mit Heißwasser. In Sommermonaten könnte der Speicher gut zwei Tage lang die Wärmeversorgung im Stadtgebiet übernehmen, falls die Strompreise zu tief sind und N-Ergie die Heizkraftwerke ausschalten müsste.

Mit 180 bis maximal 190 MW, schätzen die N-Ergie-Kraftwerker, können die Sandreuth-Kraftwerke elektrisch einspeisen. Hinzu kommen einige MW von kleineren N-Ergie-Heizkraftwerken anderswo im Stadtgebiet. Mitunter muss N-Ergie einige Netzkapazitäten auf Anweisung des Übertragungsnetzbetreibers auch im Sommer am Netz behalten, um in Netzengpasssituationen ebenfalls auf Anweisung noch Leistung einzuspeisen und die Netzfrequenz zu stützen.

Kraftwerk-Leitwarte am Standort Sandreuth

Foto: Melissa Draa - N-ERGIE

Kraftwerk-Leitwarte am Standort Sandreuth

Kleinteilige Wende zur grünen Fernwärme

Doch N-Ergie muss auch die Stromerzeugung ergrünen lassen, um ab 2035 rein grüne Fernwärme auszuliefern. Das aber können die Franken nur durch Zubau kleinerer Einheiten, die auf dem Kraftwerksgelände noch Platz finden und sich in die Fernwärme einbinden lassen. Die Planung sah bislang bis 2025 den Bau eines Altholzkraftwerkes mit 15 bis 30 MW vor. Klopfer und Villnow skizzieren die Hürden: Mit der Stadt müssen die Kraftwerksbetreiber die baurechtlichen Bedingungen klären, mit der Regierung von Mittelfranken die Zulässigkeit der Emissionen. Widerstand von Bürgerinitiativen ist einzukalkulieren. Wirtschaftlich funktioniert das Konzept nur, wenn die Genehmigung noch bis Mitte 2026 so erfolgt, dass es eine Förderung über das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz gibt. Bis 2028 ließen sich auch Großwärmepumpen mit 15 bis 20 MW planen – platziert in Flüssen oder zur Nutzung von Abwärme aus Klärwerken. Auch über Erdwärmeprojekte bis 20 MW denken die Franken nach.

„Wir bräuchten 20 Projekte alleine, um die Wärmeversorgung auf erneuerbare Energien umzustellen“, sagt Villnow in seinem Büro oben im Verwaltungsgebäude, von wo aus er nun einen weitreichenderen Überblick über die N-Ergie-Pläne gewähren möchte. „Wir müssen hierfür in den kommenden Jahren jeden Baustein für Baustein erschließen – und vielleicht noch Strom speichern, um nicht komplett die jetzt noch nicht grüne Wärmeleistung von 600 MW mit neuen Grünstromanlagen bereitstellen zu müssen.“ Die Nürnberger dächten etwa über eine Tauchsiederanlage zur Erwärmung von Wasser nach, um auch überschüssigen Strom direkt als Wärme zu speichern. Für die künftige Wasserstoffversorgung der Gasturbinen wäre N-Ergie auch auf Partner aus der Industrie angewiesen, die teils schon mit H2-Erzeugung experimentierten.

300 Megawatt Windkraft wäre vermutlich ein realistisches Ziel für das Erneuerbare-Energien-Portfolio des Versorgungsunternehmens im Jahr 2035.

Außerhalb des Nürnberger Fernwärmesystems wollen N-Ergie-Strategen wie Villnow allerdings vor allem auf den Ausbau von Photovoltaik- und Windenergieanlagen setzen. Weil in Bayern seit 2014 nach Einführung der bundesweit widrigsten Abstandsvorgaben für neue Windenergieanlagen in Siedlungsnähe kaum irgendwo überhaupt noch Windräder ans Netz gehen konnten, hat N-Ergie im eigenen Portfolio lediglich eine Beteiligung an sieben älteren Windparks verbucht mit einer N-Ergie-eigenen Gesamtleistung von 30 MW. Die Photovoltaik-Entwicklung hatten die Franken in den vergangenen Jahren dagegen vorangetrieben. Sie betreiben davon 130 MW in rund 30 Freiflächen-Solarparks.

N-Ergie will jetzt auf Windkraft setzen

Um auf eine relevante Menge an Grünstrom-Erzeugungskapazität zu bekommen, sollte das Portfolio sich gemäß ersten Plänen bis 2030 auf 700 MW erweitern. Und auch weil die Photovoltaikanlagen in sonnenreichen Zeiten die Netze der Region schon heute fluten und daher Abregelungen durch den Netzbetreiber hinnehmen müssen, soll es bei N-Ergie in Zukunft wieder mehr die Windkraft richten. „95 Prozent des Sonnenstroms können wir derzeit noch ins Netz einspeisen“, heißt es bei N-Ergie. Aber „aufgrund der sich ergänzenden Profile wäre ein besserer Mix“ aus Wind- und Solarstromerzeugung für das Unternehmen „wünschenswert“, teilt N-Ergie auf Anfrage mit. Das Stadtwerkeunternehmen verweist so auf die oft zu unterschiedlichen Zeiten stattfindende wetterabhängige Grünstromerzeugung beider Technologien – PV tagsüber und im Sommer, Windkraft häufig nachts und viel in Frühjahr, Herbst und manchmal auch im Winter.

„Wir müssen Baustein für Baustein erschließen.“

Norman Villnow, Geschäftsführer Energieerzeugung, N-Ergie, zur Wärmeerzeugung durch erneuerbare Energie. Der Umbau könne nicht durch große Regenerativkraftwerke erfolgen.

Allerdings korrigierte N-Ergie die Zielzahlen für den Grünstrom wieder etwas zurück. Nun sollen die 700 MW erst 2035 in Betrieb sein – weil neue Windkrafterzeugung sich in Deutschland und erst Recht in Bayern immer noch sehr langsam genehmigen lässt. „Wir haben Windenergieentwicklungsflächen für mehrere 100 MW akquiriert“, sagt Villnow. Im „erweiterten Versorgungsgebiet“ um die um Nürnberg gelegenen Mittelzentren Ansbach und Weißenburg treibe N-Ergie mit professionellen Projektentwicklungsunternehmen und Bürgerenergie-Gesellschaften die Vorhaben voran. „Daraus werden realistisch betrachtet 200 bis 300 MW Windstromkapazität für uns hervorgehen.“

Auf allen Baustellen der Energiewende

Das sich in den kommenden zehn Jahren damit entpuppende grüne Stadtwerk kann sich nach Ansicht seiner heutigen Führung allerdings im wörtlichen Sinne aus keiner Baustelle der Energiewende mehr heraushalten. Auch den Verkehr hat N-Ergie strategisch im Blick. In einem in Nachbarschaft zum Kraftwerk 2021 eröffneten sensorüberwachten Parkhaus lassen die Versorger zielsicher Elektroautos an freie Ladesäulen fahren. Eine App registriert jede Bewegung teilnehmender Autofahrer ins oder aus dem Parkhaus heraus und erübrigt Parkraumsuchverkehr. Dank der Sensorik wissen die Autofahrer immer, an welchem der 128 Ladepunkte im Parkhaus sie Strom tanken können.

Und auch übers Contracting schöpft N-Ergie das Potenzial der erneuerbaren Energien weiter aus: So baut der Versorger Photovoltaik-Dachanlagen mit mehr als 100 Kilowatt Nennleistung oder Wärmepumpen bei Kunden auf, die Miete für den Zugriff auf die erzeugte Energie bezahlen. Die N-Ergie-Tochter Solarstrom GmbH wickelt diese Eigenbedarfsversorgung der Contracting- Kunden ab.

Sogar eine Elektrolyse in eigener Hand zur Erzeugung des grünen Wasserstoffs müssen die Nürnberger im Auge behalten. Von den beständig neuen Rahmenvorgaben der bundesdeutschen Energiepolitik geleitet, muss N-Ergie wie andere Stadtwerke auch strategische Schwerpunkte mal in einer und mal in der anderen energiewirtschaftlichen Richtung setzen. „Wir wollen eigentlich alles machen. Nur wissen wir nicht von vornherein in welcher Reihenfolge“, sagt Kraftwerker Klopfer bei der Führung. „Noch gibt es keine Elektrolyseure in Größenordnungen, wie wir sie bräuchten.“

Wärmegeführt

Energieerzeugung des Nürnberger Kommunalversorgers erfolgt in Kraft-Wärme-Kopplung mit dem Vorrang fürs Einspeisen der Wärme aus dem Kraftwerksbetrieb. Ein sehr großer Wärmespeicher mit 70 Meter Höhe beschert N-Ergie einen guten Puffer in der Fernwärmeversorgung.

Foto: Annette Kradisch - N-ERGIE

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