Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch

„Der Sinn der Arbeit zählt“

Tilman Weber

Ihre Unternehmen, Frau Fein vom Windturbinenbauer Nordex und Herr Pitschke von den Stadtwerken Düsseldorf, suchen Fachkräfte in dreistelliger Zahl. Wie genau lässt diese Dynamik noch erkennen, wie viele Sie zu jedem Zeitpunkt einstellen müssen?

Lina Fein: Natürlich wissen wir, wie viele neue Mitarbeitende wir jeweils gerade suchen. Wir erstellen eine Personalplanung, die regelmäßig den aktuellen Bedürfnissen angepasst wird. Wir suchen alleine aktuell nur in Deutschland bis zu 300 neue Mitarbeitende. Und natürlich wissen wir auch, wo wir uns beim Aufbau der benötigten Belegschaften und bei der Versorgung mit den richtigen Fach- oder Führungskräften schwertun.

Carsten Pitschke: Um Vakanzen auf Knopfdruck monitoren zu können, haben wir dazu unseren digitalen „Vakanz-Monitor“ eingeführt. Der gibt Personalabteilung und Führungskräften schnellen Überblick, ob und wie lange Stellen vakant sind und wo Vakanzen bevorstehen. Wenn ich den öffne, sehe ich, dass wir aktuell etwa 100 Stellen ausgeschrieben haben. Die Herausforderung, Fachkräfte für verschiedenste Aufgaben zu gewinnen, wird auf absehbare Zeit gewaltig bleiben. Das zeigt die Altersstruktur unserer 2.300 Beschäftigten. Die Hälfte der Belegschaft ist 50 Jahre oder älter.

Lina Fein: Wir bei Nordex haben eine eher noch junge Mitarbeiterstruktur mit einem Altersdurchschnitt von unter 40 Jahren. Andererseits müssen wir mit der Herausforderung unseres geografisch weitreichenden Bedarfs umgehen – bei mehr als 500 ausgeschriebenen Stellen in ganz Europa und einigen Dutzend in Nordamerika.

Die Stadtwerke Düsseldorf, Herr Pitschke, müssen damit zurechtkommen, dass Düsseldorf ein Standort vieler Energie­unternehmen ist, die regional dieselben Fachkräfte suchen: Windparkbetreiber, Energieunternehmen, Stromversorger und -händler, Netzbetreiber, Projektentwickler, Ingenieurdienste, Investmentspezialisten.

Carsten Pitschke: Natürlich stehen wir im Wettbewerb mit anderen Energieunternehmen aus der Region um spezielle Fachkräfte; letztlich aber auch darüber hinaus in vielen Bereichen wie Controlling, IT, Digitalisierung mit anderen attraktiven Düsseldorfer Arbeitgebern aus unterschiedlichen Branchen. Elektroniker und Mechatroniker suchen aktuell viele mit technischem Fokus.

Ich finde diese Kombination sehr positiv, ... einen starken lokalen Footprint und einen in unserer Stadt überall greifbaren Versorgungsauftrag mit der Einbindung in einen starken Konzern.

Carsten Pitschke, Leiter Personal, Stadtwerke Düsseldorf

Wie knapp ist die Ressource Fachpersonal?

Lina Fein: Klar ist, dass wir längst bereit sein müssen, Quereinsteiger an Bord zu holen. Dies tun wir insbesondere im Bereich der Servicetechniker. Grundsätzlich trifft es aber auf fast alle Fachbereiche zu, dass wir bei Neueinstellungen bei der Qualifikation oder Berufserfahrung flexibler sein müssen. Die Profile, die wir suchen, sind häufig hochspezialisiert, die finden wir nicht so ohne Weiteres am Arbeitsmarkt. Auch sehe ich die erhöhten Anforderungen an den sich verknappenden Fachkräftemarkt. Es gibt keinen Unternehmensbereich, der nicht mittlerweile digitalisiert ist und entsprechende Anforderungen an Mitarbeitende stellt.

Wie kommt die Branche aus dieser Schere wachsender Anforderungen und Bedarfe im schwindenden Arbeitskräftepool raus?

Arwid Detlefs: Machen wir uns nichts vor. Wenn ein Unternehmen eine Stelle neu besetzt, reißt es in der Regel bildhaft eine Lücke bei anderen Unternehmen. Wir schieben den Facharbeitermangel von rechts nach links, weil die Geburtenrate bei uns ist, wie sie ist. Überlegen müssen wir nur, welche Maßnahmen wir ergreifen können, um diese Mangelsituation zu managen und bei der Personalbewirtschaftung effektiver zu werden. Ich beobachte, wie meine Mandanten nun prüfen, wie ihre Prozesse zur Rekrutierung von Personal ablaufen, wie Auswahlverfahren stattfinden, wie sie Quereinsteiger einstellen können, wie sie Schulabgänger ausbilden, inwieweit sie auch mit künstlicher Intelligenz die Prozesse vereinfachen und insbesondere beschleunigen.

Kann KI die Antworten auf den Fachkräftemangel liefern oder verschärft sie nur den Wettbewerb zwischen den Unternehmen?

Lina Fein: Natürlich vereinfachen wir mit KI zukünftig die Prozesse. Was Sie beschreiben, Herr Detlefs, findet ja auch statt. Ich möchte dabei aber zwei Bereiche der Rekrutierung voneinander unterscheiden. Einerseits den Bereich der Techniker für die Wartung, Errichtung und Inbetriebnahme der Windenergieanlagen. Und andererseits akademische Profile. Viele unserer Stellengesuche fürs Wachstum beim Personal richten sich an Servicetechniker und Inbetriebnehmer. Diese bilden wir selbst aus oder wir bilden dafür Quereinsteiger weiter. Voraussetzung für Quereinsteigende in diesem Bereich ist, neben der persönlichen Eignung, nur noch eine technische Ausbildung. Das können beispielsweise Dachdecker sein, die eben das Arbeiten in der Höhe als Fähigkeit mitbringen. In einem 18-monatigen Programm werden diese neuen Mitarbeiter komplett von uns für die Tätigkeiten an den Turbinen weiter ausgebildet. Wir haben eine eigene Akademie, die weltweit Schulungskonzepte für eben solche Mitarbeitergruppen entwickelt und umsetzt. Darüber hinaus haben wir eine Kooperation mit der Firma Liebherr an unserem Produktionsstandort in Rostock, die ebenfalls eine eigene Akademie betreibt. Dort können Mitarbeiter eine Qualifikation als Industrieelektriker erwerben.

Arwid Detlefs: Ich kann aus der Beobachtung des Marktes bestätigen, dass Nordex hier durchaus weiter ist als der ein oder andere Akteur in der Branche ...

Lina Fein: Wir sind ja auch größer als viele andere Akteure, mit denen Sie uns hierbei vergleichen. Wir wissen, wie viele Windkraftkapazitäten wir verkauft haben und welche und wie viele Anlagen wir davon wann errichten müssen. Daher können wir ganz gut planen, welche Fachkräfte wir wann einstellen. Das gilt natürlich auch im akademischen Bereich. Wir beschäftigen zum Beispiel recht viele Werkstudierende, die wir am Ende des Studiums in ein Beschäftigungsverhältnis überführen wollen.

Arwid Detlefs: Natürlich braucht ein Unternehmen eine gewisse Schwungmasse, sprich: die Größe, damit es alle Wege in der Personalbeschaffung gehen kann. Grundsätzlich predige ich da, wo es möglich ist, die Kooperation zwischen Unternehmen, um in der Breite auch Personal heranzuziehen. Ihr Beispiel mit Liebherr ist hierfür ein sehr gutes, weil sich am besten Unternehmen für die Personalentwicklung zusammentun können, die nicht unmittelbar aus derselben Industrie kommen. Sie können dann in so einer Kooperation fast schon einen gemeinsamen Pool an Leuten aufbauen.

Können Sie als kommunales Unternehmen genauso flexibel mit der Herausforderung Personalaufbau umgehen, Herr Pitschke?

Carsten Pitschke: Vorweg: Wir sind ja kein rein kommunales Unternehmen, sondern auch eine Mehrheitsbeteiligung der EnBW. Ich finde diese Kombination sehr positiv, insofern wir einen starken lokalen Footprint und einen in unserer Stadt überall greifbaren Versorgungsauftrag mit der Einbindung in einen starken Konzern verbinden. Hinsichtlich Arbeitgeberattraktivität erlebe ich das jeden Tag als die perfekte Mischung „beider Welten“. Das hilft uns, da auch wir eine riesige Bandbreite von Fachkräften für die Umsetzung der Energiewende brauchen: einerseits hochqualifizierte Funktionen im IT-Bereich, insbesondere in Hinblick auf Digitalisierung, Datenmodelle und Prozessdesign, und andererseits sehr praktische Funktionen wie Fachkräfte im Tiefbau für unsere umfassenden Aufgaben in der Erneuerung der Versorgungsinfrastruktur.

Unsere strategische Personalplanung ist da ein mächtiges Werkzeug. Ein Beispiel: Brauchen wir langfristig Kraftwerker, stellen wir jetzt Mechatroniker ein, um sie entsprechend weiterzuqualifizieren. Wir planen und steuern sukzessive deren Verantwortungsübernahme, was zeitlich eine Perspektive von bis zu fünf Jahren abdecken kann.

Sie wissen also schon fünf Jahre im Voraus, wen Sie wann brauchen?

Carsten Pitschke: Ja, das ist ganz entscheidend für die rechtzeitige Sicherung der nötigen Fachkräfte. Aufgrund der genannten demografischen Herausforderung unserer Belegschaftsstruktur müssen wir jetzt schon strategisch den Bedarf an Auszubildenden planen und haben dafür in den letzten Jahren unsere Ausbildungskapazitäten verdoppelt.

Wie gehen Sie mit an- und abschwellendem Personalbedarf im projektgetriebenen Geschäft um?

Lina Fein: Insbesondere in der Inbetriebnahme von Windparks haben wir uns so aufgestellt, dass wir innerhalb Europas Teams auch in verschiedenen Regionen einsetzen können. Beispielsweise kommen Kollegen aus Portugal auch im Rahmen von Dienstreisen bei Errichtungen in Finnland oder sonst wo in der Europäischen Union zum Einsatz, wo es gerade zeitweise mehr Bedarf gibt. Das macht für viele den Job auch sehr attraktiv.

Wie wichtig ist Rekrutierung aus dem Ausland?

Lina Fein: Wir können unseren hochspezialisierten Personalbedarf nicht ausschließlich über den deutschen Arbeitsmarkt decken. Gerade im akademischen Umfeld stellen wir viele Kolleginnen und Kollegen ein, die nicht ursprünglich in Deutschland beheimatet sind. Am einfachsten ist dies natürlich innerhalb der Europäischen Union. Fachpersonal aus nichteuropäischem Ausland zu rekrutieren, bringt natürlich mehr behördlichen Aufwand, aber auch das bekommen wir hin. Die Firmensprache ist Englisch, allein in Deutschland beschäftigen wir Mitarbeitende aus 89 Nationen.

Zu uns kommen Menschen, die Gutes leisten wollen – und vielleicht Probleme hätten, für die Rüstungsindustrie zu arbeiten.

Lina Fein, Head of People Attraction, Nordex

Carsten Pitschke: Die Stadtwerke selbst sind natürlich ein lokal starkes Unternehmen und mit 89 Nationen können wir nicht aufwarten. Düsseldorf ist aber eine internationale Stadt und die Stadtwerke spiegeln das wider. Unser letzter Personalreport zeigt, dass bei uns Kolleginnen und Kollegen aus über 20 Ländern arbeiten. Diese Buntheit ist für uns also normal.

Wie sehr kann die Digitalisierung helfen, nur die notwendigsten Verstärkungen beim Personal zu erreichen und dieses immer effizienter einzusetzen?

Arwid Detlefs: Die Firmen müssen für sich herausfinden, wie sie zum Beispiel die Prozesse mittels Digitalisierung vereinfachen und beschleunigen können, wie sie Schulungen optimieren und weiter vorantreiben können.

Richtige Führung ist ein hochrelevanter Faktor. Allerdings ist Führung nichts Gottgegebenes, sondern sollte gelernt werden.

Arwid Detlefs, Partner, Birn + Partners

Lina Fein: Natürlich setzen auch wir auf Digitalisierung von Prozessen, um generell Arbeitsabläufe zu vereinfachen. Einfache Tätigkeiten lassen sich ja auch schon über Robotic Process Automation abbilden, aber natürlich kommt auch mehr und mehr KI zum Einsatz. Wir haben bereits ein Tool, das uns, ähnlich wie Chat-GPT, auch unternehmensweit bei der Erstellung von Texten unterstützt.

Wie und wie sehr können Sie Fachpersonal an sich binden?

Lina Fein: Der Sinn der Arbeit ist für viele unserer Mitarbeitenden sehr wichtig. Auch die neuen Mitarbeitenden suchen spannende Aufgaben in einem sinnstiftenden Kontext. Zu uns kommen Menschen, die etwas Gutes leisten wollen – und vielleicht Probleme hätten, für die Rüstungsindustrie zu arbeiten.

Carsten Pitschke: Ich sehe die Versorgungsunternehmen da in der momentanen Phase der Energiewende als die großen „Purpose-Gewinner“, also Sinngewinner. Bei uns verbindet sich das zudem noch sehr greifbar mit der lokalen Nähe: Ob es um Investitionen in Windkraft, den Ausbau der Fernwärme, die wachsende Ladeinfrastruktur in der Stadt geht – all das kann ich jeden Tag sehen und anfassen und weiß: Das alles läuft letztlich nicht ohne mich.

Arwid Detlefs: Es geht um Identifikation.

Lina Fein: Ja, und um das Gefühl für die Mitarbeitenden, dass wir Entwicklungen steuern, um die Welt ein wenig in die richtige Richtung zu bewegen.

Was zählt noch?

Carsten Pitschke: Eine neuere Studie zeigt dieser Tage wieder, dass Wechselgründe nach wie vor das Gehalt, aber auch eine ausgeglichene Work-Life-Balance sind. Das heißt nicht pauschal viel Freizeit, sondern eher, dass die täglichen Aufgaben als Teil des Lebens Sinn machen. Auch das ist ja Balance. Ganz wichtig sind natürlich eine gute Unternehmens- und Führungskultur (letztlich zwei Seiten derselben Medaille). Führungskultur kann wirklich den Unterschied machen, darum investieren wir in der letzten Zeit besonders viel in dieses Thema.

Arwid Detlefs: Man sagt nicht zu Unrecht, Menschen heuern bei Unternehmen an und verlassen Führungskräfte. Diese negative Motivation begegnet mir regelmäßig in den Gesprächen mit Kandidaten über ihr Wechselmotiv. Richtige Führung ist ein hochrelevanter Faktor. Allerdings ist Führung nichts Gottgegebenes, sondern muss oder besser sollte gelernt werden.

Lina Fein: An Bedeutung gewonnen hat es, die Wertschöpfung des eigenen Einsatzes zu erfahren – was sich als New Work bezeichnen lässt. Die Mitarbeitenden wollen selbst Verantwortung tragen, wollen einen Unterschied ausmachen, wollen ihre Mitarbeit wertgeschätzt wissen. Kann man diese Art der Führung lernen? Es gibt auf jeden Fall Menschen, denen diese Führungsverantwortung leichter fällt als anderen ...

Carsten Pitschke: Die Stadtwerke haben ein neues Führungsleitbild für alle Führungskräfte entwickelt. Um dieses auch wirklich zu leben, haben sich alle 300 Führungskräfte gemeinsam auf die sogenannte „Führungsreise“ begeben. Der Kern dieser Reise sind vier zweitägige Workshopmodule, in denen wir uns entlang verschiedener Schwerpunkte mit unserer Kultur auseinandergesetzt haben. Ein Erfolgsfaktor war dabei, dass wir die Gruppen nicht nach Führungslevel oder Funktionen getrennt haben, sondern wirklich übergreifend gearbeitet haben – Gewerbliche und Kaufmännische, vom Meister bis zum Vorstand. Das allein hat die Kultur schon spürbar verbessert.

Jetzt weiterlesen und profitieren.

+ ERE E-Paper-Ausgabe – jeden Monat neu
+ Kostenfreien Zugang zu unserem Online-Archiv
+ Fokus ERE: Sonderhefte (PDF)
+ Webinare und Veranstaltungen mit Rabatten
uvm.

Premium Mitgliedschaft

2 Monate kostenlos testen